Berlin (dapd). Die Flugzeuge kamen in der Nacht des 6. September 2007. Sie drangen tief in syrischen Luftraum ein, bombardierten eine Militäranlage und kehrten wohlbehalten zurück - nach Israel. Der politisch riskante Angriff vor vier Jahren löste damals Unruhe und Spekulationen aus. Besonders eine Frage bewegte Fachleute lange: "Wen oder was haben die Israelis angegriffen?" Erst Jahre später wurde über Wikileaks öffentlich bekannt: Ziel war eine - offenbar mithilfe Nordkoreas - gebaute, geheime Atomanlage. In dem von Wikileaks enthüllten Dokument wurden US-Vertreter mit dem Satz zitiert: "Die israelische Mission war erfolgreich." Der Reaktor sei völlig vernichtet worden.
Die Aktion war nicht der erste Präventivschlag Israels gegen feindlich gesinnte Staaten, die versuchen, eigenen Nuklearkapazitäten zu entwickeln. Schon 1981 hatten die Israelis einen Luftwaffenangriff gegen den irakischen Leichtwasserreaktor Osirak geflogen - und die Anlage weitgehend zerstört. Wenn es um möglicherweise existenzbedrohende Waffensystem in der Hände seiner Feinde geht, kennen Israels Militärexperten vor allem ein Credo: nicht zu lange warten.
Treiben nun auch die Spannungen mit dem Iran auf eine militärische Eskalation zu? Es ist viel zusammengekommen, in den vergangenen Wochen. Die Atomenergiebehörde IAEA legte einen Bericht vor, nachdem es "glaubwürdige Hinweise" auf eine militärische Dimension des seit Jahren umstrittenen iranischen Atomprogramms gebe. Auf erhöhten Sanktionsdruck reagierten Iraner mit Angriffen auf die britische Botschaft. Mehrere westliche Staaten zogen ihre Vertreter daraufhin aus Teheran ab. Erfolg versprechende Verhandlungen über Irans Atomprogramm erscheinen derzeit als ein Wunschtraum. Im Westen wächst die Sorge, dass Israel in dieser Lage im Alleingang einen Überraschungsangriff starten könnte.
Wie eine solche Attacke ablaufen könnte, hat bereits vor gut zwei Jahren das renommierte Center for Strategic & International Studies (CSIS) in Washington analysiert. Danach würden höchstwahrscheinlich drei Atomanlagen angegriffen werden:
In der Universitätsstadt Isfahan eine oberirdische Anlage zur Uranumwandlung. Dort werden auch Brennstäbe hergestellt. Nach CSIS-Schätzungen würden fünf bunkerbrechende Bomben - getragen von fünf F-16-Kampfflugzeugen - reichen, um die weitgehend Anlage zu zerstören. Andre Fachleute betonen, ein Erfolg sei hier relativ leicht zu erzielen.
In der zentraliranischen Stadt Arak ein im Bau befindlicher, ebenfalls oberirdischer Schwerwasserreaktor. Auch hier sehen Fachleute kaum Probleme die Anlage zu vernichten. Nötig wären hier laut CSIS vier bis acht Kampfflugzeuge mit je einer bunkerbrechenden Bombe.
Ein anderes Kaliber ist die ebenfalls im Zentralirak gelegene Urananreicherungsanlage von Natans. Sie liegt die acht Meter tief unter der Erde, hat laut CSIS zweieinhalb Meter starke Betonwände hat und ist in den vergangenen Jahren noch zusätzlich verstärkt wurde: Sie erhielt eine mehrere Meter starke Betondecke und ist mit einer neuen, rund 25 Meter dicken Erdschicht bedeckt.
Um diese Anlage wirksam anzugreifen, wären nach CSIS-Schätzungen 50 bunkerbrechende Bomben nötig. Jeweils zwei dieser Waffen müssten nacheinander am gleichen Punkt aufschlagen. Die erste Bombe würde die Erdschicht aufreißen, die nachfolgende könnte dann die Betonkonstruktion zerstören.
Die entscheidende Frage lautet: Wie könnten israelische Flugzeuge diese Ziele gleichzeitig möglichst unbemerkt anfliegen? Das Überfliegen jordanischen, saudi-arabischen oder kuwaitischen Luftraums würde zu schweren politischen Verwerfungen in der Krisenregion führen. Vermutlich würde Israel mit Rücksicht auf die USA und deren Interessen auf diese Strecken verzichten.
Wahrscheinlich wäre daher ein Anflug direkt entlang der türkisch-syrischen Grenze, der nur auf einem letzten kurzen Streckenabschnitt über türkisches oder nordirakisches Gebiet führen würde.
Im iranischen Luftraum müssten die Angreifer die iranischen Abwehrsysteme ausschalten. Sie gelten als nicht besonders modern und effektiv. Die qualitativ hochgerüstete Luftwaffe Israels hätte nach Meinung vieler Experten die Möglichkeit, diese Abwehr zu unterdrücken: durch elektronische Störprogramme, durch gezielte Manipulationen von Kommunikationsanlagen oder - im Notfall - durch einen direkten Angriff.
Ein israelischer Schlag könnte demnach militärisch erfolgreich sein. Experten weisen darauf hin, dass Israel ihn auch mit seinen Jericho-Raketen führen könnten. Die Frage ist, welche politischen und militärischen Folgen eine solche Aktion hätte. Fachleute weisen darauf hin, dass Iran als Reaktion noch entschlossener und ohne Rücksicht auf internationale Reaktionen nach Atomwaffen streben könnte. Zudem sei es offen, wie lange das Nuklearprogramm durch einen Angriff verzögert werden könnte. Auch Vergeltungsschläge mit Raketen gegen Israel gelten als möglich. Hinzu käme, dass das in der Region weitverbreitete Misstrauen gegenüber dem Westen wachsen könnte.
Die Folgen selbst eines erfolgreichen Angriffs wären daher kaum kalkulierbar. Die drohenden Gefahren könnte Israel allerdings in Kauf nehmen, wenn es durch einen aggressiven, atomar bewaffneten Iran seine Existenz bedroht sieht.
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