Berlin. Joachim Gauck ist als neuer Bundespräsident vereidigt worden. Am Freitagmorgen legte er seinen Amtseid ab und schwor auf die Originalausgabe des Grundgesetzes. In seiner Rede betonte er die Bedeutung von Freiheit als notwendige Bedingung von Gerechtigkeit“ und übte Kritik an Regierung und Regierten.

Der frühere DDR-Bürgerrechtler und Theologe Joachim Gauck ist als neuer Bundespräsident vereidigt worden. Auf der gemeinsamen Sitzung von Bundestag und Bundesrat legte Gauck am Freitag in Berlin seinen Amtseid ab. Er sprach die von der Verfassung vorgegebene Eidesformel mit dem Zusatz: "So wahr mir Gott helfe". Der elfte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland schwor seinen Eid auf die Originalausgabe des Grundgesetzes.

Gauck war am 18. März von der Bundesversammlung mit großer Mehrheit zum neuen Staatsoberhaupt gewählt worden. Einen Tag später hatte der 72-Jährige offiziell seine Amtsgeschäfte aufgenommen. Gauck ist der erste Ostdeutsche im höchsten Staatsamt und der bislang älteste Amtsinhaber.

Gauck fordert: "In der Krise mehr Europa wagen"

Gauck lobte in seiner Antrittsrede Deutschland als "Land des Demokratiewunders". Dass (West-)Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkriegs nicht in Revanchismus verfallen sei, sei ein Verdienst der Menschen in diesem Land. Gleichzeitig betonte er die Bedeutung der 68er, die dafür Sorge getragen hätten, dass die eigene Schuld nicht verdrängt worden sei.

In Bezug auf die europäische Integration sagte der 72-jährige Gauck: "Für meine Generation war Europa eine Verheißung. Für die Generation meiner Enkel ist Europa längst Lebenswirklichkeit." Das sei ein wunderbarer Gewinn. Deshalb forderte er: "Gerade in der Krise müssen wir mehr Europa wagen."

"In unserem Land sollen auch alle zuhause sein können"

Gauck ging auch auf die Integrationsdebatte ein. "In unserem Land sollen auch alle zuhause sein können, die hier leben", sagte er. "Wir leben in einem Staat, in dem Religionen wie der Islam, andere Sprachen, Traditionen und Kulturen vertreten sind. In dem sich der Staat immer weniger durch nationale Zugehörigkeit seiner Bürger definieren lässt."

Rechtsextremistischen Aktivisten, die die Demokratie angreifen, erteilte Gauck eine klare Absage: "Euer Hass ist unser Ansporn", sagte er. "Wir lassen unser Land nicht im Stich und schenken euch nicht unsere Angst." Gleiches gelte, so Gauck, auch für Linksextreme und religiöse Fanatiker.

"Das System ist nicht vollkommen, aber lernfähig"

Der neue Bundespräsident bezeichnete die repräsentative Demokratie als alternativlos. Das System sei zwar nicht vollkommen, aber lernfähig. Gauck forderte aber gleichzeitig die Zivilgesellschaft auf, von ihrem Teilhaberecht Gebrauch zu machen. "Seid nicht nur Konsumenten. Ihr seid Bürger, werdet Mit-Gestalter", rief Gauck den Menschen zu. Die Distanz der Bürger zu den Regierenden mache ihm Angst.

Von den Regierenden forderte Gauck: "Redet offen und klar." Beide Seiten, Regierende und Regierte, sollten sich mit der Distanz nicht abfinden.

Zum Abschluss seiner Rede bat Gauck um Vertrauen in seine Person, in die Regierenden und insbesondere um Vertrauen in sich selbst. Er schloss mit einem Zitat des indischen Bürgerrechtlers Mahatma Gandhi: Nur wer Selbstvertrauen habe, könne wachsen und Fortschritte erzielen. Dies gelte für Menschen genauso wie für Länder.

Lammert: Gaucks Wahl eint Deutschland 

Bundestagspräsident Norbert Lammert sieht die Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten als Zeichen für den "unaufhaltsamen Fortschritt der inneren Einheit" Deutschlands. Der CDU-Politiker hob bei der Vereidigung des neuen Staatsoberhaupts im Bundestag am Freitag vor allem Gaucks "Kraft zur Freiheit" hervor.

Anschließend sollte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) reden, der nach dem Rücktritt von Christian Wulff das Amt des Bundespräsidenten zeitweilig ausgeübt hatte. Danach sollte Gauck seinen Amtseid leisten. Zudem sollte das neue Staatsoberhaupt in einer Ansprache die Schwerpunkte seiner fünfjährigen Amtszeit umreißen.

Wulff und Köhler bei der Vereidigung

An der Feier im Reichstagsgebäude nahmen auch Wulff und seine Ehefrau Bettina sowie die Altpräsidenten Richard von Weizsäcker, Roman Herzog und Horst Köhler teil. Bundesratspräsident Horst Seehofer würdigte in einer Rede die Verdienste Wulffs, der Ende Februar nach nur 20 Monaten zurückgetreten war. In dieser Zeit habe er Impulse für Dialog der Kulturen, für Zusammenhalt und Integration gesetzt

Kurz nach seinem Amtsantritt hatte der ehemalige DDR-Bürgerrechtler bereits angekündigt, mehr für den Bürgersinn werben, die Integration ausländischer Mitbürger vorantreiben und die guten Beziehungen zu den Nachbarländern pflegen zu wollen. In der kommenden Woche will Gauck seine erste Auslandsreise als neues deutsches Staatsoberhaupt nach Polen unternehmen.

Die elf Bundespräsidenten

Theodor Heuss (1949-59) galt als Glücksfall für die junge Republik. Seiner Amtsführung war es zu verdanken, dass das Amt des Bundespräsidenten zu hohem Ansehen gelangte. Dem Liberalen gelang es, Vorurteile der Weltöffentlichkeit gegen die Deutschen abzubauen. 1959 wurde sogar erwogen, ihm durch eine Änderung des Grundgesetzes eine dritte Amtszeit zu ermöglichen. Heuss lehnte ab, um keinen Präzedenzfall zu schaffen.
Theodor Heuss (1949-59) galt als Glücksfall für die junge Republik. Seiner Amtsführung war es zu verdanken, dass das Amt des Bundespräsidenten zu hohem Ansehen gelangte. Dem Liberalen gelang es, Vorurteile der Weltöffentlichkeit gegen die Deutschen abzubauen. 1959 wurde sogar erwogen, ihm durch eine Änderung des Grundgesetzes eine dritte Amtszeit zu ermöglichen. Heuss lehnte ab, um keinen Präzedenzfall zu schaffen. © imago stock&people
Auf Heuss folgte Heinrich Lübke. Der CDU-Politiker hatte das Amt des Bundespräsidenten von 1959 bis 1969 inne. Lübke trat drei Monate vor Ende seiner zweiten Amtszeit zurück. Hintergrund: die Kritik an seiner Rolle im Dritten Reich.
Auf Heuss folgte Heinrich Lübke. Der CDU-Politiker hatte das Amt des Bundespräsidenten von 1959 bis 1969 inne. Lübke trat drei Monate vor Ende seiner zweiten Amtszeit zurück. Hintergrund: die Kritik an seiner Rolle im Dritten Reich. © imago stock&people
Gustav Heinemann war von 1969 bis 1974 Bundespräsident. Er verzichtete auf eine erneute Kandidatur, obwohl er die dafür nötigen Mehrheiten gehabt hätte.
Gustav Heinemann war von 1969 bis 1974 Bundespräsident. Er verzichtete auf eine erneute Kandidatur, obwohl er die dafür nötigen Mehrheiten gehabt hätte. © imago stock&people
Walter Scheel ging als singender Bundespräsident in die Geschichtsbücher ein. Sein Schlager
Walter Scheel ging als singender Bundespräsident in die Geschichtsbücher ein. Sein Schlager "Hoch auf dem gelben Wagen" schaffte es sogar in die Musik-Charts. Scheel war von 1974 bis 1979 Bundespräsident.
Auf Scheel folgte Karl Karstens. Der fünfte Bundespräsident Deutschlands hatte das Amt bis 1984 inne. Er musste sich viel Kritik gefallen lassen, weil er Helmut Kohls absichtlich gestellte Vertrauensfrage billigte und Kohl wie geplant aus dem Amt entließ, damit der nach der Neuwahl 1983 mit stabileren Mehrheitsverhältnissen regieren konnte.
Auf Scheel folgte Karl Karstens. Der fünfte Bundespräsident Deutschlands hatte das Amt bis 1984 inne. Er musste sich viel Kritik gefallen lassen, weil er Helmut Kohls absichtlich gestellte Vertrauensfrage billigte und Kohl wie geplant aus dem Amt entließ, damit der nach der Neuwahl 1983 mit stabileren Mehrheitsverhältnissen regieren konnte.
Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte das höchste Staatsamt von 1984 bis 1994 inne. Bei von Weizsäckers Wiederwahl 1989 gab es erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik keinen Gegenkandidaten.
Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte das höchste Staatsamt von 1984 bis 1994 inne. Bei von Weizsäckers Wiederwahl 1989 gab es erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik keinen Gegenkandidaten. © imago stock&people
Roman Herzog folgte auf von Weizsäcker. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes machte vor allem 1997 von sich reden. Die von ihm gehaltene Rede ging als
Roman Herzog folgte auf von Weizsäcker. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes machte vor allem 1997 von sich reden. Die von ihm gehaltene Rede ging als "Ruck-Rede" in die Geschichte ein. © imago stock&people
Horst Köhler folgte Rau 2004. Erst im vergangenen Jahr wurde der ehemalige Direktor des Internationalen Währungsfonds im höchsten Staatsamt bestätigt. 2010 zog er die Konsequenzen aus der teils massiven Kritik an seinen Bundeswehr-Äußerungen und trat zurück.
Horst Köhler folgte Rau 2004. Erst im vergangenen Jahr wurde der ehemalige Direktor des Internationalen Währungsfonds im höchsten Staatsamt bestätigt. 2010 zog er die Konsequenzen aus der teils massiven Kritik an seinen Bundeswehr-Äußerungen und trat zurück. © imago stock&people
Christian Wulff war vom 30. Juni 2010 bis zum 17. Februar 2012 der zehnte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland.
Zuvor war er von 2003 bis 2010 Ministerpräsident des Landes Niedersachsen gewesen.
Am 17. Februar 2012 trat er zurück. Einige Tage zuvor Staatsanwaltschaft Hannover beim Bundestag beantragt, die Immunität von Bundespräsident Christian Wulff aufzuheben.
Christian Wulff war vom 30. Juni 2010 bis zum 17. Februar 2012 der zehnte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Zuvor war er von 2003 bis 2010 Ministerpräsident des Landes Niedersachsen gewesen. Am 17. Februar 2012 trat er zurück. Einige Tage zuvor Staatsanwaltschaft Hannover beim Bundestag beantragt, die Immunität von Bundespräsident Christian Wulff aufzuheben. © afp
Am 23. März 2012 wurde der frühere DDR-Bürgerrechtler und Theologe Joachim Gauck als elfter Bundespräsident vereidigt worden.
Am 23. März 2012 wurde der frühere DDR-Bürgerrechtler und Theologe Joachim Gauck als elfter Bundespräsident vereidigt worden.
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"Ermutigende, optimistische Rede" - Parteien loben Gaucks Antrittsrede 

Der neue Bundespräsident Joachim Gauck hat für seine Antrittsrede parteiübergreifendes großes Lob erhalten. Darin hatte Gauck am Freitag mehr Mut der Deutschen gefordert und zu mehr Vertrauen aufgerufen. Zugleich kündigte er an, die Themen Freiheit und soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt seiner fünfjährigen Amtszeit rücken zu wollen.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Peter Altmaier (CDU), zeigte sich überzeugt, dass Gauck "ein politischer Präsident" sein werde. "Es war eine sehr ermutigende, eine sehr optimistische Rede", sagte er. Zugleich erinnerte Altmaier an Gaucks Dank an dessen Vorgänger Wulff und die Versicherung, dass der neue Bundespräsident das Anliegen der Integration weitertragen wolle.

Auch Opposition sehr zufrieden mit Gauck

FDP-Chef Philipp Rösler nannte Gaucks Antrittsrede eine "großartige Rede". Gauck sei ein Mann der Freiheit und "jetzt ein Präsident der Freiheit". Darüber könne sich ganz Deutschland freuen. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle ergänzte, die Rede sei beeindruckend gewesen. "Ich verspreche mir von seiner Arbeit, dass er die Menschen ermuntert, dabei zu sein, mitzumachen und sich einzubringen."

Euphorisch äußerte sich SPD-Chef Sigmar Gabriel: "Das war die beste Rede, die ich bislang hier im Deutschen Bundestag gehört habe. Ich kann mich nicht an jemanden erinnern, der mal so klar und deutlich dem Land Mut gemacht hat, aber auch Ziel und Richtung unseres Landes gewürdigt hat", sagte er. Die Sozialdemokraten seien "ein bisschen stolz, dass wir geholfen haben, ihn durchzusetzen".

Gysi freut sich, dass Gauck die Frage der sozialen Gerechtigkeit betont

Linksfraktionschef Gregor Gysi hob vor allem das Bekenntnis von Gauck zur sozialen Gerechtigkeit hervor. "Ich fand seine Rede in mancher Hinsicht bemerkenswert. Er hat der Frage der sozialen Gerechtigkeit eine Aufmerksamkeit geschenkt, wie bisher noch nie im Leben", sagte er. Zugleich habe er sich über die klaren Worte zum Rechtsextremismus gefreut. Schade sei nur, dass sich Gauck nicht mit einen Satz zur Linken-Gegenkandidatin Beate Klarsfeld geäußert habe.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast zeigte sich erfreut, dass Gauck einen großen Rahmen für die kommenden fünf Jahre seiner Amtszeit abgesteckt habe. "Er redet nicht nur über das, was schon gelungen ist, sondern hilft uns auch, dass wir noch weitere Erfolge haben", sagte sie. Ko-Fraktionschef Jürgen Trittin fügte hinzu: "Ich habe am heutigen Tag festgestellt, wir haben einen guten Bundespräsidenten." (mit dapd)

Gaucks Rede im Wortlaut