Düsseldorf. Hannelore Kraft will im just begonnenen NRW-Landtagswahlkampf auf Volksnähe und Verwurzelung in ihrem Land setzen. Norbert Röttgen will die Noch-Ministerpräsidentin als Schuldenkönigin und seine Partei als soliden Gegenentwurf präsentieren. Ohne sich dabei festzulegen, wo er seine Zukunft ohne Wahlsieg sieht. Ein Kandidatencheck.

Nur einen Tag nach der Auflösung des Düsseldorfer Landtages hat zwischen Rhein und Ruhr der Wahlkampf begonnen. SPD und Grüne, die mit ihrer Minderheitsregierung gescheitert sind, werben für eine Fortsetzung der bisherigen Koalition. Die CDU hingegen will nach 20 Monaten Opposition unbedingt wieder an die Macht. Das Problem: Der mögliche Koalitionspartner FDP droht in die politische Bedeutungslosigkeit abzustürzen. Daher zeigen sich die Christdemokraten am Donnerstag offen für neue Konstellationen in Nordrhein-Westaflen. Die Neuwahl findet am 6. oder 13. Mai statt.

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gab als Ziel ihrer Partei aus, die SPD zur stärksten Kraft im Land zu machen und dann die Koalition mit den Grünen möglichst fortzusetzen. "Wir wollen das auf stabile Füße stellen", kündigte die SPD-Politikerin in Düsseldorf an.

Auch die Grünen bekannten sich klar zu einer weiteren Zusammenarbeit mit der SPD. "Das hat sich sehr gut gemacht mit Hannelore Kraft und mir", sagte die stellvertretende Ministerpräsidentin Sylvia Löhrmann (Grüne). Dies solle auch nach der kommenden Landtagswahl fortgesetzt werden. Löhrmann wird ihre Partei als Spitzenkandidatin in den Wahlkampf führen.

Röttgen ohne Koalitionsaussage

Diese demonstrative rot-grüne Eintracht wird bei der CDU mit Unbehagen gesehen. Denn wollen die Christdemokraten nach der Wahl wieder Teil der Regierung sein, brauchen sie einen Koalitionspartner. Die FDP fällt wohl angesichts miserabler Umfragewerte aus. Daher ließ CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen bereits Sympathie für ein schwarz-grünes Bündnis erkennen. Offiziell will er aber ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf gehen. "Da kommen alle demokratischen Parteien, die da sind, infrage", sagte Röttgen in Düsseldorf.

Thematisch will der CDU-Landeschef in den Bereichen Haushalt, Kommunen, Bildung und Umwelt punkten. SPD und Grünen wirft Röttgen zu viele Schulden, eine langsame Umsetzung der Energiewende und eine Vernachlässigung des Industriestandortes NRW vor. Dass er das Amt des Bundesumweltministers zeitgleich zum Wahlkampf ausführen kann, bezweifelt der CDU-Politiker nicht. "Ich glaube, dass das gut vereinbar ist", sagte er. Offen lässt sich Röttgen allerdings, ob er im Fall einer Wahlniederlage die CDU-Opposition im Landtag anführt oder wieder komplett nach Berlin geht.

Kraft hat sich hingegen klar zugunsten von Nordrhein-Westfalen positioniert. "Ich bleibe in NRW, ich habe meine Aufgabe hier und mein Herz hängt an NRW", sagte sie mit Blick auf Spekulationen zum Thema Kanzlerkandidatur. Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Frank-Walter Steinmeier, hatte zuvor eine künftige Kanzlerkandidatur der NRW-Ministerpräsidentin nicht ausgeschlossen. Kraft ist auch stellvertretende Vorsitzende der Bundes-SPD. Aus der elften Etage des Düsseldorfer Stadttors sieht die Welt anders aus als von unten. Der Rhein ist in gleißendes Sonnenlicht getaucht, langsam zieht ein Schleppkahn stromaufwärts. Der Landtag liegt da wie geduckt. Es ist Tag eins nach dem rot-grünen Haushaltscrash. Hannelore Kraft macht nicht den Eindruck, als wolle sie ihren Platz hier oben in der Staatskanzlei demnächst räumen.

Für die Ministerpräsidentin gab es nach kurzer Nacht schon früh am Morgen kirchlichen Beistand. Ein hoher evangelischer Würdenträger rief an, um ihr die Herrnhuter Tageslosung vorzulesen: „Der Herr wird seinem Volk Kraft geben.“ So etwas erzählt die SPD-Frau jetzt besonders gern. Sie hat längst auf Wahlkampf umgeschaltet.

Hannelore Kraft, die Volksnahe 

Der Zeitplan bis zum wahrscheinlichen Wahltag am 13. Mai ist eng. Es muss schnell gehen. Schon am 31. März wird ein SPD-Parteitag die Reserveliste aufstellen, Kraft zur Spitzenkandidatin bestimmen, das Wahlprogramm beschließen. Sensationen sind nicht zu erwarten. Ein zentrales Thema soll das Ost-West-Gefälle bei den Förderprogrammen des Bundes werden. Kraft will die NRW-Karte spielen: „Jetzt ist der Westen dran.“

Im neuen Landtag will die SPD stärkste Fraktion werden und die Koalition mit den Grünen fortsetzen – das sind die Hauptziele. Kraft hofft damit auf eine rot-grüne Mehrheit im Bundesrat, um „mehr Druck“ in Berlin ausüben zu können. Immer hat sie dabei auch Norbert Röttgen im Visier, auch wenn der Name kein einziges Mal fällt. Sie kennt die Schwachstelle. Anders als ihr CDU-Gegenkandidat „werde ich mich auf Nordrhein-Westfalen konzentrieren“, sagt Kraft, und: „Berlin ist für mich keine Option.“

Dies schließt für die Mülheimerin die Erkenntnis ein, dass sie als Spitzenpolitikerin in der Hauptstadt nicht annähernd so volksnah agieren könnte wie sie es in NRW gewohnt ist. Auch deshalb hatten Spekulationen über Krafts angebliches Interesse an einer SPD-Kanzlerkandidatur nie viel Substanz. Jetzt will sie wieder „durchs Land ziehen“. Das liegt ihr. Die SPD-Zentrale schneidet den Wahlkampf ganz auf sie zu. Nur die wegen der Finanzierung aus Steuergeld umstrittenen „TatKraft-Tage“ wird es nicht geben.

Kraft kontert „Schuldenkönigin“ mit soliden Zahlen

CDU und FDP wollen Kraft auf dem finanzpolitischen Feld stellen. Es soll das Gewinner-Thema der Opposition werden. Kraft hält dagegen, mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von 165 Euro stehe NRW besser da als viele andere Bundesländer wie Hessen, Rheinland-Pfalz oder Niedersachsen. Und bei den Ausgaben pro Einwohner sei NRW mit 3111 Euro bundesweit am sparsamsten. Die „Schuldenkönigin“ hat sich mit Zahlen gewappnet.

„Da sind wir uns sehr nah“

Das Duo Kraft-Löhrmann tritt wieder getrennt an, aber irgendwie doch gemeinsam. Sie bilden das wichtigste Scharnier der noch amtierenden Regierung. „Sie ist eine gradlinige Frau aus dem Ruhrgebiet und sehr pragmatisch“, sagte Kraft über die Grüne, „da sind wir uns sehr nah.“

Kandidatencheck Hannelore Kraft (50 Jahre, SPD)

Sympathiefaktor Bürgernah, tritt unverkrampft auf, stellt schnell Nähe zu Menschen her. Das ist Teil ihres Erfolgsrezepts.

Wirtschaftskompetenz Obwohl Diplom-Ökonomin, vernachlässigte sie zu lange die Wirtschaftspolitik. Das hat sie korrigiert.

Führungsstärke An der Spitze der Regierung unumstritten. Hat intern keine Probleme, sich Respekt zu verschaffen. Gilt mitunter als launisch.

Rhetorik Redet ohne Umschweife, kommt direkt zur Sache. Glänzt nicht, wird aber verstanden.

Einfluss in der Partei Seit Rau war kein SPD-Chef in NRW so mächtig. Die Partei folgt ihr. Könnte sich im Bund stärker profilieren.

Promi-Faktor Hat ihren Bekanntheitsgrad rapide gesteigert. Sehr gefragt als Gast in Talkshows.

Norbert Röttgen, der Kandidat mit Rückfahrkarte nach Berlin 

Die rot-grüne Regierung war erst wenige Stunden gescheitert, da sah sich Norbert Röttgen bereits dutzendfach mit seinem persönlichen Unwort konfrontiert: „Oppositionsführer“. Immer wieder wurde der Bundesumweltminister und CDU-Spitzenkandidat für die vorgezogene NRW-Wahl gefragt, ob er auch im Falle einer Niederlage als „Oppositionsführer“ in Düsseldorf bleiben werde. Röttgen hatte unermüdlich geantwortet, er wolle Ministerpräsident werden und nicht Oppositionsführer, im Übrigen werde seine Partei diese Frage nach dem Wahltag beraten.

Als er am Mittwochabend noch vor den Fernsehkameras stand, trat in der CDU-Parteizentrale bereits der Landesvorstand zusammen. Helmut Linssen, der frühere Finanzminister und alte Fahrensmann, machte das Bekenntnis des Spitzenkandidaten zur Landespolitik zum Thema. Seine Erinnerung an den NRW-Wahlkampf mit dem einstigen Bundesminister Norbert Blüm als „Kandidat auf Durchreise“ sei noch sehr wach, grummelte Linssen Teilnehmern zufolge. Die Öffentlichkeit werde Röttgens Zukunft nun hinterfragen, zumal Ministerpräsidentin Kraft mit ihrer NRW-Verwurzelung werbe.

Selbst Schauerte mahnt zum NRW-Bekenntnis

Auch der Chef der Mittelstandsvereinigung, Hartmut Schauerte, warnte den Angaben zufolge sinngemäß, Röttgen müsse sein Verhältnis zur Landespolitik klären. Dazu muss man wissen, dass Schauerte zu den glühendsten Unterstützern Röttgens gehört. Der CDU-Wirtschaftsflügel hatte nach der Wahlniederlage 2010 rasch einen Mitgliederentscheid um die Nachfolge von Landeschef Jürgen Rüttgers angeregt. So konnte der rhetorisch beschlagene und bekanntere Röttgen gegen den Favoriten des Partei-Establishments, Ex-Landesminister Armin Laschet, klar gewinnen.

Damals erfand Röttgen das Credo einer „Politik mit den Augen unserer Kinder“, das ihn auch jetzt durch den Wahlkampf tragen soll. Gegen eine „hemmungslose Verschuldungspolitik von Rot-Grün“ will er ein Konzept der Generationenverantwortung setzen. Dabei soll der Bogen über solide Finanzen, Kinderbetreuung, Industriepolitik und Kommunalfinanzen geschlagen werden. Eine Debatte über die persönlichen Ambitionen Röttgens muss man vermeiden. Klar erscheint jedoch, dass der CDU-Bundesvize in Berlin nach Höherem strebt und keinesfalls als Oppositionsführer in den Landtag wechseln würde wie Rüttgers im Jahr 2000.

Bündnisoffen nach allen Seiten

Auch die Machtoptionen sind für die Union kein Idealthema. Der natürliche Koalitionspartner FDP droht zu verkümmern, zudem ist die Umfragenlage für Rot-Grün günstig. Röttgen behilft sich, indem er Bündnisoffenheit nach allen Seiten zeigt.

Ob sich Regierungsamt in Berlin und Wahlkampf hier vertragen? „Absolut machbar“, findet Röttgen, schließlich seien Schröder und Rau sogar als Ministerpräsidenten in einen Kampf ums Kanzleramt gezogen. Wobei er nichts über weitergehende Pläne gesagt haben will. Natürlich.

Kandidatencheck Norbert Röttgen (46 Jahre, CDU)

Sympathiefaktor Smarter Typ, der im persönlichen Gespräch punkten kann. Sein scharfer Verstand sorgt bisweilen für Distanz.

Wirtschaftskompetenz Fachmann für Energie, Umwelt, Wirtschaft. Will Ökologie und Ökonomie in der Industrie enger verknüpfen.

Führungsstärke Ist machtbewusst, hat die radikale Energiewende durchgesetzt. Gilt in der Bundespartei als Kanzlerreserve.

Rhetorik Seine große Stärke ist sein Redetalent. Spricht druckreif, analysiert knapp. Das Volkstümliche liegt ihm weniger.

Einfluss in der Partei Einflussreich, aber bei Konservativen umstritten. Es fehlt ein Netzwerk, weil sein Ehrgeiz Freunde verprellt.

Promi-Faktor Telegen und in den Medien präsent. Der Platz im Kabinett fördert den Bekanntheitsgrad.