Berlin. . Nach der verfehlten Kanzlermehrheit bei der Abstimmung über das neue Hilfspaket für Griechenland bestreitet die Koalition beharrlich, handlungsunfähig zu sein. Peter Altmeier gab am Dienstag alles, um die große Mehrheit als Erfolg zu feiern.

In der Koalition ist Peter Altmaier der Problemlöser vom Dienst. Am Dienstag hatte er einen Großkampftag. Er sollte den Eindruck zerstreuen, dass die Regierung bei der Abstimmung über ein weiteres Hilfspaket für Griechenland auf die Opposition angewiesen war. „Quatsch“, sagt der Fraktionsmanager der Union. Wie ärgerlich ist es für Union und FDP, dass die Kanzlermehrheit im Bundestag verfehlt wurde? Und was hält sie zusammen?

Rückblick, 29. September 2011: Der Bundestag diskutiert über eine Rettungsaktion, wieder steht die Frage im Raum, ob die Kanzlerin die Mehrheit der 620 Abgeord­neten hinter sich hat und die Koalition mindestens 311 Stimmen selbst aufbringen kann. Als es ihr glückt, jubelt Unions-Fraktionschef Volker Kauder, „wir haben gezeigt, dass die Koalition handlungsfähig ist.“

Natürlich lassen FDP und Union jetzt nicht den Umkehrschluss zu, nachdem sie am Montag jene Kanzlermehrheit verfehlt haben. Selbstredend halten sie sich für handlungsfähig. Erstens hatten sie 304 ­Ja-Stimmen. Die übrigen 316 Parlamentarier stimmten großteils mit Ja und 29 fehlten, davon 23 aus den Reihen der Opposition. Zweitens ist die Kanzlermehrheit nicht nötig. Vorgeschrieben ist sie bei der (Ab-)Wahl des Kanzlers oder bei einer Vertrauensfrage. Wenn, dann ist die Kanzlermehrheit symbolisch wichtig. Und dann wäre auch der politische Schaden symbolischer Natur. Immerhin lässt sich am Ergebnis ablesen, wie das Vertrauen bröckelt.

Chancen überwiegen die Risiken

Im September haben sich 601 Abgeordnete beteiligt, jetzt 591. Mit Nein stimmten damals 13 Abgeordnete von Union und FDP, am Montag 17. Es sind Parlamentarier wie Christian Hirte, Paul Lehrieder, Hans-Georg von der ­Marwitz oder Christian Freiherr von Stetten. Den umgekehrten Fall gibt es auch. CSU-Mann Josef Göppel stimmte im September mit Nein und jetzt mit Ja, aber er ist die Ausnahme. Gemeinhin war ab­sehbar, dass Schwarz-Gelb die Kanzlermehrheit einmal verfehlen würde; wenn nicht Montag, dann demnächst bei der Abstimmung über den neuen Rettungsmechanismus ESM. Diesmal machte man sich nicht mehr die Mühe, ­po­tenzielle Abweichler vorab ins Gebet zu nehmen. Das Misstrauen gegenüber den Griechen wächst zusehends. Auch die Kanzlerin hatte die Hilfen defensiv vertreten. Die ­Chancen würden die Risiken überwiegen, lautete Angela Merkels Argument.

Schäuble spielte bei der Debatte Sodoku

Innenminister Hans-Peter Friedrich würde gern den Griechen Anreize geben, um aus dem Euro-Raum auszutreten. In Friedrichs CSU-Landesgruppe hatten sie sich drei Stunden lang die Köpfe heiß geredet. Mittendrin fragte ein Abgeordneter: „Sind wir nun dafür oder dagegen?“

Die Ratlosigkeit ist groß. In sie mischt sich auch das ­Gefühl, dass der Zug Richtung Transferunion abgefahren ist. Nur mäßig spannend war die Entscheidung im Bundestag offenbar für Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Fotografen erwischten ihn beim „Sudoku“-Raten.

Mehrheit war nie gefährdet

Nicht ganz so gelassen wirkt Merkel. Schon die Kür eines Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten war aus dem Ruder gelaufen. Es waren zwei Frusterlebnisse innerhalb von wenigen Tagen. Da musste sich Altmaier mächtig ins Zeug legen, um die Lage zu entdramatisieren. Die Auf­regung um die verfehlte Kanzlermehrheit konnte er nicht verstehen. Die einfache Mehrheit reiche doch aus. Gefährdet war sie auch nie, denn SPD und Grüne stimmten überwiegend für das Hilfspaket.

Duchhalten, was sonst?

Im europäischen Vergleich steht Deutschland besser da als andere Staaten, ökonomisch wie politisch; bedenkt man nur, dass viele von Merkels EU-Partnern abgewählt worden sind. Einige Aufgaben hat die schwarz-gelbe Koalition noch vor sich, etwa die Pflegereform, einen Vorstoß zur Steuersenkung – auch das hält zusammen. Gewählt sind Union und FDP ohnehin bis 2013. Sie haben ein Jahr Zeit, um jeweils ihre Ausgangsposition für die nächste Wahl zu verbessern. Von einer „Kanzlerdämmerung“ wollen sie in der Koalition nichts wissen. Durchhalten, was sonst?