Berlin. Union und SPD werten die beim Griechenlandpaket verfehlte Kanzlermehrheit ganz unterschiedlich. Unions-Fraktionschef Kauder beteuert, auf die Kanzlermehrheit komme es nicht an. Die SPD sieht das naturgemäß komplett anders.

Nach der Bundestagsabstimmung über das zweite Hilfspaket für Griechenland bemühen CDU und SPD die politische Rechenkunst. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) sah im Verfehlen der sogenannten Kanzlermehrheit kein großes Problem. Die SPD, die überwiegend mit der Koalition gestimmt hatte, hielt der Regierung vor, gar keine Mehrheit mehr zu haben. Die Linke forderte derweil eine unabhängige Überprüfung des Pakets, weil das amtierende Staatsoberhaupt Horst Seehofer (CSU) nicht neutral sei.

Bei der Abstimmung im Bundestag hatten am Montag nur 304 Abgeordnete von Union und FDP für das Rettungspaket gestimmt. Die Kanzlermehrheit, also eine absolute Mehrheit der Koalition unabhängig von der Zahl der Anwesenden, wurde damit um sieben Stimmen verfehlt. Dies fiel jedoch nicht ins Gewicht, weil auch die meisten Abgeordneten von SPD und Grünen für das Paket stimmten.

Irrelevant oder Zeichen von Machtverfall?

Kauder sagte der "Bild"-Zeitung: "Auf die Kanzlermehrheit kam es überhaupt nicht an. Wir hatten eine deutliche eigene Mehrheit." Die Koalition habe ihre Handlungsfähigkeit bewiesen.

Der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, wertete die Abstimmung über das zweite Griechenland-Paket als Indiz für den Machtverfall von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). "Wenn sich Frau Merkel der Mehrheit nicht mehr sicher sein kann, auf der ihre Kanzlerschaft basiert, ist sie gescheitert", sagte Schneider der Onlineausgabe des Düsseldorfer "Handelsblatts".

Weiter Streit um Friedrich-Äußerung

Der CSU-Europapolitiker Thomas Silberhorn, der gegen das Paket gestimmt hatte, riet Griechenland zur Wiedereinführung einer eigenen Währung. "Den Griechen wäre besser geholfen, wenn sie die Eurozone verlassen", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Sein Parteifreund, Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), habe mit gleichlautenden Äußerungen nur zum Ausdruck gebracht, was vielen auf den Nägeln brenne.

Der Sprecher des Seeheimer Kreises der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Kahrs, forderte dagegen die Entlassung Friedrichs. Bundeskanzlerin Merkel könne keinen Minister im Kabinett behalten, der so gegen die Kabinettsdisziplin verstoße, sagte dem "Hamburger Abendblatt". Kahrs machte Friedrich für die verfehlte Kanzlermehrheit bei der Bundestagsabstimmung zum zweiten Griechenland-Hilfspaket mitverantwortlich. "Wenn ein Minister nicht steht, steht auch die Fraktion nicht", sagte Kahrs.

Die Linke vermisst den Bundespräsidenten

Linken-Fraktionsvize Ulrich Maurer forderte, das Rettungspaket für Griechenland juristisch unabhängig zu prüfen. "Ein so wichtiges Gesetz darf nicht von einem führungslosen Präsidialamt durchgewunken werden", sagte er der "Leipziger Volkszeitung". Seehofer sei Vorsitzender der Regierungspartei CSU. "Da sind Zweifel an der Neutralität allemal angebracht", sagte Maurer.

Der rüstungspolitische Sprecher der SPD, Michael Groschek, kritisierte die Größe des griechischen Militärhaushalts. "Würde Deutschland gemessen an der Bevölkerungszahl in griechischen Verhältnissen leben, hätten wir hier eine Million Soldaten stationiert", sagte Groschek der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Es sei empörend, dass Internationaler Währungsfonds, EU und Weltbank den Griechen zwar Einschnitte bei der Rente, aber nicht beim Militär vorschrieben. (dapd)