Berlin. . Ausgerechnet Philipp Rösler, Chef der Noch-Zwei-Prozent-Partei FDP, bescherte den Deutschen im Alleingang einen Bundespräsidenten. Den Menschen beizubringen, dass es ein Unterschied ist, ob die FDP regiert oder nicht, ist Röslers Traum. Er hat dafür hoch gepokert. Der Mut der Verzweiflung, diesmal hat er sich ausgezahlt.

Chapeau, Herr Rösler! Das hätte man dem sonst eher unbeholfen agierenden Chef einer Noch-Zwei-Prozent-Partei gar nicht zugetraut. Im Alleingang den Deutschen einen Bundespräsidenten beschert zu haben: Es gab in der Geschichte der Republik nicht viele Politiker, die das von sich sagen konnten.

Bei wem schließlich sollte sich Joachim Gauck für die bevorstehende Erhebung ins höchste Staatsamt, bei wem sollte sich die relative Mehrheit der Deutschen, die sich Gauck in dieses Amt gewünscht hat, bedanken, wenn nicht bei den Liberalen? Dass Rote und Grüne den Kandidaten erneut unterstützten, wollte an sich noch nicht viel besagen. Wäre die Union bei ihrer Ablehnung geblieben, und die FDP an ihrer Seite, das Traumbild eines Präsidenten Gauck hätte sich schnell wieder verflüchtigt.

Präsidentschaft Wulffs war aus Angst und Elend der Koalition geboren


So haben in dieser Legislaturperiode zum zweiten Mal die Befindlichkeiten einer im Regierungsstress aufgeriebenen FDP über die Berufung des Schlossherrn im Bellevue entschieden. Schon die Präsidentschaft Christian Wulffs war ja aus Angst und Elend der Koalition geboren.

Gefragt war damals, nach dem Verlust der Regierungsmacht in NRW und der Beerdigung des Projekts Steuersenkung, kein überparteilicher Kandidat, sondern ein Signal des schwarz-gelben Zusammenhalts. Und dies vor allem der siechen FDP zuliebe. Deshalb durfte im Frühsommer 2010 der Kandidat Gauck noch keine Chance haben.

Heute besteht an schwarz-gelben Signalen kein Bedarf, weil an die Zukunft dieses Bündnisses über 2013 hinaus ohnehin kein Mensch mehr glaubt. Jeder für sich, heißt da die Parole. Die Liberalen sind von der Union oft genug düpiert worden, um für koalitionäre Nibelungentreue nicht mehr viel übrig zu haben. Dass sie am Wochende mit der Sorge leben mussten, die Union könnte sich über ihre Köpfe hinweg mit der Opposition einigen, passt ins Bild dieser Koalition. Das statt dessen für einen Moment das Phantom der Ampel sichtbar wurde, die FDP Arm in Arm mit Rot und Grün, passt auch.

Den Menschen beizubringen, dass es ein Unterschied ist, ob die FDP regiert oder nicht, ist Röslers Traum. Er hat dafür hoch gepokert. Der Mut der Verzweiflung, diesmal hat er sich ausgezahlt.

Essener zu Gauck

René Willems (55):
René Willems (55): "Das muss jemand mit einer weißen Weste sein, der jetzt deutscher Bundespräsident wird. Auch bei uns in Holland wurde das Thema diskutiert. Ich denke, dass die Deutschen jetzt jemanden brauchen, der Ehrlichkeit ausstrahlt. Vielleicht ist Gauck der Richtige dafür."Foto: Sebastian Konopka © WAZ FotoPool
Winfried Schiffer (56):
Winfried Schiffer (56): "Ich freue mich sehr, dass Joachim Gauck Bundespräsident werden soll, er ist mein Lieblingskandidat. Während die meisten Bundespräsidenten vor ihrem Amtsantritt unscheinbar waren, hat Gauck bereits jetzt eine enorme Präsenz. Aber auch für ihn ist das nun eine schwere Aufgabe." Foto: Sebastian Konopka © WAZ FotoPool
Thomas Synowietz (34):
Thomas Synowietz (34): "Ich frage mich, ob es überhaupt jemanden gibt, der das Amt erfüllen kann. Bei den Ansprüchen, die an den Bundespräsidenten gestellt werden, scheint das nahezu unmöglich. Es ist vielmehr ein moralisches als ein politisches Amt und dadurch noch schwieriger zu besetzen."Foto: Sebastian Konopka © WAZ FotoPool
Gudrun Vosloh (64):
Gudrun Vosloh (64): "Gauck ist gut, eine Frau wäre aber besser gewesen. Ich finde, es wäre mal Zeit für eine Frau in diesem Amt. Von Joachim Gauck erhoffe ich mir, dass er es schafft, die noch immer in den Köpfen existierende Mauer zwischen Ost und West abzubauen. Wenn nicht er, wer dann?!" Foto: Sebastian Konopka © WAZ FotoPool
Susanne Mück (46):
Susanne Mück (46): "Ich bin überrascht und freue mich, dass Joachim Gauck Bundespräsident werden soll. Ich hätte nicht erwartet, dass er noch mal kandidiert. Sicherlich kann man erst später beurteilen, ob er der Richtige ist, aber mir war er schon vor zwei Jahren sympathischer" Foto: Sebastian Konopka © WAZ FotoPool
Dirk Schulze (51):
Dirk Schulze (51): "Mich wundert es, dass überhaupt jemand diesen Job noch machen möchte. Ob es jetzt Gauck wird oder ein anderer, dem neuen Bundespräsidenten wird doch jetzt ganz genau auf die Finger geschaut und damit wird es noch schwerer, dem Amt gerecht zu werden."Foto: Sebastian Konopka © WAZ FotoPool
Nico Gregorius (19):
Nico Gregorius (19): "Souverän und ehrlich sollte der Bundespräsident sein. Man muss Vertrauen zu ihm haben können. Ich finde es schwierig, jetzt schon zu entscheiden, ob Joachim Gauck der Richtige dafür ist. Das wird sich so richtig erst zeigen, wenn er eine Weile im Amt ist."Foto: Sebastian Konopka © WAZ FotoPool
Pascal Kaczorowski (18):
Pascal Kaczorowski (18): "Man ist es in Deutschland gewohnt, dass es einen Bundespräsidenten gibt, einen Mann da ganz oben - aber ist das heute noch sinnvoll? Ich weiß wirklich nicht, ob wir dieses Amt noch brauchen. Ich warte jetzt erstmal ab, wie sich Joachim Gauck so verhält." Foto: Sebastian Konopka © WAZ FotoPool
Kerstin Voss (43):
Kerstin Voss (43): "Joachim Gauck ist die richtige Wahl, weil er kein Politiker ist. Außerdem ist er Pfarrer, das finde ich auch gut. Ich wünsche mir, dass er sich in dem Amt besser bewährt als Christian Wulff und nicht seine eigenen wirtschaftlichen Interessen in den Vordergrund stellt." Foto: Sebastian Konopka / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool
Sven Küpper (34):
Sven Küpper (34): "Joachim Gauck tritt ein auf jeden Fall ein schweres Erbe an. Fast scheint es, als gäbe es zwei Arten von Politikern: Jeder hat irgendwie eine Leiche im Keller; da gibt es die, die Glück haben und nichts entdeckt wird und die, bei denen alles aufgedeckt wird."Foto: Sebastian Konopka © WAZ FotoPool
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