Berlin. Nach einer schweren Koalitionskrise hat die Kanzlerin eingelenkt: Die Union unterstützt nun ebenfalls die Kandidatur des früheren DDR-Bürgerrechtlers. Gauck ist damit der Kandidat von CDU,FDP, SPD und den Grünen - und will ein “reisender Politiklehrer“ sein.

Einigung nach einer dramatischen Koalitionskrise: Der ostdeutsche Theologe Joachim Gauck wird neuer Bundespräsident als Nachfolger von Christian Wulff. Die Spitzen von Union, FDP, SPD und Grünen verständigten sich gestern Abend im doch noch auf die Nominierung des 72jährigen, der 2010 schon einmal von Rot-Grün gegen Wulff ins Rennen geschickt worden war.

Gauck sagte, er wolle sich als Präsident dafür einsetzen, "dass die Menschen wieder lernen, dass sie in einem guten Land leben, das sie lieben können." In der Pressekonferenz zur Vorstellung des gemeinsamen Kandidaten betonte die Kanzlerin, sie ewarte von Gauck, dass er der politischen Debatte in Deutschland wichtige Impulse geben werde. Grünen-Chefin Claudia Roth sagt, Gauck mit seinem Eintreten für die Freiheit werde sowohl dem Amt wie auch der Demokratie neuen Glanz verleihen. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel bohrte kurz in der Wunde der Kanzlerin als er auf die "nicht erfolgte Wahl" bei der letzten Bundespräsidenten-Kür abhob - bei der stattdessen Merkels Kandidat Wulff ins Amt gehievt wurde. Dann aber schwenkte Gabriel um und lobte die Kanzlerin für die "Offenheit" bei der jetzigen Kandidaten-Suche. Gauck bringe die Glaubwürdigkeit mit, die das Amt nötig habe. Der viel gelobte selbst, sagte er sei "überwältigt und verwirrt". Gauck betonte, er wolle vor allem für jene Menschen sprechen, die "Ja zur Verantwortung" sagen und sich einbringen ins gesellschaftliche Miteinander. Im Prinzip ändere sich aber nicht viel für ihn, er bleibe wie bisher ein "reisender Politiklehrer".

Koalition stand auf der Kippe

Der Entscheidung der Partei- und Fraktionschefs im Kanzleramt für Gauck war ein schwerer Koalitionskrach vorausgegangen, den Kanzlerin Angela Merkel nur durch einen Rückzieher der Unionsspitze beenden konnte. Merkel und die Union hatte die von SPD und Grünen frühzeitig ins Gespräch gebrachte Nominierung Gaucks bis gestern Abend strikt abgelehnt. Doch nachdem die Koalitionsspitzen das Wochenende über vergeblich nach einem auch für SPD und Grüne vermittelbaren Konsens-Kandidaten gesucht hatten, ging die FDP am Nachmittag überraschend auf Konfrontationskurs: In einer Beratungspause sprach sich das FDP-Präsidium einstimmig für Gauck aus, lehnte mehrere von der Union angebotene Kandidaten ab. FDP-Politiker warfen der Union vor, sie wolle Gauck nur deshalb nicht, weil sie einen Gesichtsverlust befürchte – 2010 hatte sich Merkel sich für die Nominierung von Christian Wulff gegen Joachim Gauck stark gemacht.

Nach der FDP-Festlegung war bei Union und FDP von einer schweren Krise des Regierungsbündnisses die Rede – zeitweise schien ein Bruch der Koalition schien nicht mehr ausgeschlossen. Merkel beendete die Zerreißprobe dann durch ihr Einlenken. Andernfalls hätte sie riskiert, dass Gauck mit einer Mehrheit von SPD, FDP und Grünen gewählt worden wäre – dieses Vorgehen hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel signalisiert.

Der neue Bundespräsident muss innerhalb der nächsten 28 Tage von der Bundesversammlung gewählt werden. Der späteste Termin ist der 18. März.

Zähes Ringen

Seit Freitagabend hatten Union und FDP versucht, sich auf eine gemeinsame Linie zu verständigen. Gespräche am Samstag hatten keine Ergebnisse gebracht, stattdessen sagte Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle nach kurzer Bedenkzeit eine Kandidatur ab. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert entschied sich gegen eine Nominierung.

Am Sonntag tagten die Koalitionäre ab 13.00 Uhr erneut, die Runde wurde aber nach rund fünf Stunden offenkundig ergebnislos unterbrochen: Die FDP setzte sich für Gauck als neuen Bundespräsidenten ein und lehnte die beiden von der Union vorgeschlagenen Kandidaten, den früheren EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber und Ex-Umweltminister Klaus Töpfer, strikt ab.

Nach Agenturberichten hatte CDU-Chefin Angela Merkel zwischenzeitlich in einer Telefonschaltkonferenz des Parteipräsidiums erklärt, dass sie Gauck partout nicht mittragen wolle. In einer Präsidiumsschaltkonferenz der Liberalen gegen 18.30 Uhr beteuerte wiederum der Koalitionspartner sein Festhalten an Gauck. Huber und Töpfer wurden erneut abgelehnt. Die FDP pochte im Zweifel auf die Benennung eines ganz neuen Kandidaten, mit dem man in die Verhandlungen mit SPD und Grünen gehen könnte. Vor der gemeinsamen Sitzung mit der Opposition war völlig unklar, welchen Ausgang die Beratungen nehmen würden.

Linke will Gauck nicht

Die Linke machte erneut klar, dass sie Gauck nicht unterstützt. Linke-Fraktionschef Gregor Gysi erklärte, 2010 habe seine Partei Gauck nicht mitgewählt, weil dieser für den Afghanistan-Krieg gewesen sei, Hartz IV begrüßt habe und es für richtig befunden habe, dass die Linke vom Verfassungsschutz überwacht werde. Inzwischen habe Gauck auch die Occupy-Bewegung stark kritisiert. Parteichef Klaus Ernst sagte der "Leipziger Volkszeitung", es bleibe dabei, dass Gauck kein Konsenskandidat sei.