Athen. Ein Generalstreik gegen die Sparmaßnahmen der Regierung legt das öffentliche Leben im Pleite-Land lahm. Unterdessen fordert die EU-Troika weitere Kürzungen im öffentlichen Haushalt, bevor 130 Milliarden für ein zweites Rettungspaket gezahlt wird. Und die Zeit wird immer knapper
Ein Generalstreik gegen die jüngsten Sparmaßnahmen hat am Dienstag das öffentliche Leben in Griechenland teilweise lahmgelegt. Unter dem Motto "Es reicht" riefen die beiden großen Gewerkschaftsverbände für die Privatwirtschaft und den öffentlichen Dienst ihre Mitglieder zu Streiks und Kundgebungen auf. Bestreikt wurden Schulen, Ministerien, Banken und Krankenhäuser. In der Hauptstadt Athen setzten sich die U-Bahn und die Busse mit Verspätungen in Bewegung. Die Fährverbindungen wurden durch einen Streik der Seeleute behindert. Der Flugverkehr war indes nicht beeinträchtigt, da die Fluglotsen regulär arbeiteten.
Insgesamt 14.000 Menschen beteiligten sich nach Polizeiangaben an zwei Protestkundgebungen gegen die Sparmaßnahmen der Regierung. Eine der Demonstrationen mit 6.000 Teilnehmern verlief friedlich, bei der zweiten mit bis zu 8.000 Teilnehmern kam es vor dem Parlamentsgebäude zu Zusammenstößen mit der Polizei. Sicherheitskräfte gingen mit Tränengas gegen hunderte Demonstranten vor, die die Absperrungen vor dem Gebäude durchbrechen wollten.
Den letzten Generalstreik in Griechenland gab es am 1. Dezember. Die Regierung in Athen steht unter massivem internationalem Druck, die Staatsfinanzen zu sanieren. Die Gewerkschaften beklagen Versuche, das Arbeitsrecht auszuhöhlen und die Einkommen zu kürzen. Die Verhandlungen Athens mit Vertretern der sogenannten Troika aus Europäischer Union, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) sind noch nicht abgeschlossen. Im Gegenzug gegen weitere Milliardenhilfen soll die Regierung die staatlichen Ausgaben reduzieren.
Dem Pleitekandidat Griechenland läuft die Zeit davon
Pleitekandidat Griechenland läuft im Poker um dringend benötigte Rettungshilfen von EU und IWF die Zeit davon. Frankreich und Deutschland ermahnten das überschuldete Land am Montag eindringlich, im Streit über harte Reformauflagen endlich einzulenken. Andernfalls könnten die Milliardenhilfen nicht fließen. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy in Paris ungeduldig: "Ich kann wirklich nicht nachvolziehen, wie weitere Tage helfen sollen. Zeit ist jetzt der Schlüssel. Für die gesamte Euro-Zone steht viel auf dem Spiel." Auch Sarkozy erhöhte den Druck auf Griechenland: "Es ist eine Sache von Tagen, dann müssen wir zum Schluss kommen. Das ist die klare Botschaft." Gemeinsam mit Merkel machte er deutlich, dass das Schuldnerland als unsicherer Kantonist gilt: Griechenland soll per Sonderkonto sicherstellen, dass es ausländische Forderungen vorrangig bedient.
In den schleppenden Verhandlungen über ein zweites Rettungspaket liegen die Nerven blank: "Die Frist ist bereits verstrichen", warnte ein Sprecher der EU-Kommission in Brüssel. Die führenden Politiker in Griechenland lassen sich trotz der bedrohlich näher rückenden Staatsbankrotts jedoch weiter Zeit: Ein Treffen der Parteispitzen zum Reformprogramm wurde auf Dienstag verschoben.
Die griechische Koalitionsregierung hat unterdessen ihren Widerstand gegen die von den Schuldeninspektoren geforderten Stellenstreichungen aufgegeben. Der griechische Minister für die Reform des öffentlichen Diensts, Dimitris Reppas, gab bekannt, dass die Koalitionsparteien einem Abbau von 15.000 Arbeitsplätzen im Staatsdienst noch in diesem Jahr zustimmten. Die Troika aus EU, EZB und Internationalem Währungsfonds macht weitergehende Reformen insbesondere im Arbeitsmarktbereich zur Voraussetzung für das zweite Rettungspaket in Höhe von 130 Milliarden Euro. Auf harten Widerstand stieß bisher die Forderung der Troika aus EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF), den Mindestlohn zu senken sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu streichen. Bis Ende 2015 sollen insgesamt 150.000 Jobs gestrichen werden. Falls sich die die Regierung tragenden Parteien in Athen in diesen Fragen nicht verständigen, soll dem Land der Kredithahn zugedreht und das vereinbarte zweite Rettungspaket nicht auf den Weg gebracht werden. Dies machte auch die Bundeskanzlerin unmissverständlich in Paris deutlich: "Ich will bekräftigen: Es kann keine Einigung geben, wenn Troika-Vorschläge nicht umgesetzt werden."
Sonderkonto für die Schuldner
Merkel und Sarkozy bekräftigten jedoch in einem am Abend ausgestrahlten Interview des ZDF und des französischen Fernsehens, dass sie eine Einigung mit Griechenland weiter für möglich halten. "Wir weigern uns, uns die Pleite Griechenlands auszumalen", sagte Sarkozy. Man sei sehr nahe an einer Einigung. Merkel erklärte, Europa sei weiter zur Solidarität bereit.
Es gibt jedoch einen Pferdefuß: Das klamme Land soll künftig Abstriche an seiner nationalen Souveränität hinnehmen. Mit einem Sonderkonto soll es sicherstellen, dass die ausländischen Gläubiger vorrangig an ihr Geld kommen. "Wir schlagen vor, dass die staatlichen Einnahmen in einen Sonderfonds gehen und blockiert werden, um die Schulden abzubauen", sagte Sarkozy bei den deutsch-französischen Regierungskonsultationen. "Ich unterstütze die Idee, dass man die notwendigen Zinszahlungen für die Schulden auf ein Extra-Konto legt, womit gesichert ist, dass Griechenland dieses Geld auch beständig bereitstellt", pflichtete ihm Merkel bei.
Faktisch würde damit bei der Verwendung der griechischen Staatseinnahmen der Bedienung ausländischer Schulden ein Vorrang vor allen anderen Ausgaben eingeräumt - und zumindest dieser Betrag dem Zugriff der griechischen Regierung entzogen.
Trotz der zugespitzten Lage wurde das Krisentreffen der Regierungsparteien in Athen um einen Tag auf Dienstag verschoben. Einen Grund für den Schritt nannte das Büro von Ministerpräsident Lukas Papademos nicht.
Die schriftliche Verpflichtung der Chefs der drei größten Parteien müsse erst bis zum Treffen der Eurogruppe im Lauf der Woche abgegeben werden, wenn das zweite Rettungspaket geschnürt werde, hieß es in Regierungskreisen in Athen. Der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos hatte eine Sitzung der Euro-Finanzminister für Mittwoch in Aussicht gestellt. Der Sprecher von Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker bekräftigte, es gebe nach wie vor keinen Termin für die Sitzung.
Appelle an die Regierung in Athen
Um die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands Mitte März zu vermeiden, müsste den privaten Gläubigern Mitte Februar ein förmliches Angebot zum Anleihetausch unterbreitet werden, wenn der Forderungsverzicht fristgerecht umgesetzt werden soll. Da der Schuldenschnitt nur im Gesamtpaket mit den staatlichen Hilfskrediten beschlossen werden soll, ist dieser Zeitplan jedoch nur noch mit Mühe zu halten.
Neben den EU-Regierungen hat auch der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, Griechenlands Parteien aufgerufen, die Troika-Forderungen nach weiteren Einsparungen zu erfüllen. "Ich erwarte, dass Griechenland und alle Parteien sich darauf konzentrieren, wie sie die Maßnahmen der Troika umsetzen können", mahnte der Sozialdemokrat in Berlin.
Auch EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hält ein Scheitern der Verhandlungen noch nicht für ausgemacht: "Ich hoffe, dass sie ihre zögerliche Haltung aufgeben. Es wird sehr unbeliebt sein. Aber wir sind in einer Periode, wo politischer Mut nötig ist." (rtr/dapd)