Berlin. . SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier spricht im Interview mit DerWesten über Ratingagenturen, die Wulff-Affäre und die Euro-Krise - und wirkt dabei leicht rat- und verständnislos. Für ihn lebt Kanzlerin Merkel auf einem anderen Stern als ihr Kabinett, die FDP und Bundespräsident Christian Wulff.
Die SPD stellt sich auf ein hartes Jahr ein: Die Euro-Krise könnte die deutsche Wirtschaft belasten und die Wulff-Affäre die Politik generell in Verruf bringen. Umso mehr wundert sich SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit der WAZ-Mediengruppe, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) „auf einem anderen Stern“ lebt. Er wirkt leicht rat- und verständnislos.
Herr Steinmeier, welche Folgen hat die Abstufung von Euro-Ländern und des EFSF durch eine Ratingagentur?
Steinmeier: Der Euro ist noch stabil. Aber die Wirtschaft in der Euro-Zone kommt unter Druck. Allein Spanien und Italien müssen sich bis Ende März 160 Milliarden Euro auf dem Finanzmarkt zur Refinanzierung beschaffen. Die Herabstufung von neun Euro-Ländern und in der Folge des Rettungsschirms EFSF lässt die Kosten für die Rettung weiter steigen und den deutschen Anteil sehr wahrscheinlich auch.
Brauchen wir eine europäische Ratingagentur?
Steinmeier: Ja, davon bin ich fest überzeugt. Wir dürfen uns dadurch jedoch keine Wunderheilung erhoffen. Alle arbeiten mit den gleichen Daten. Die Ratingagenturen müssen sich aber den Vorwurf gefallen lassen, dass sie dieselben Daten ganz unterschiedlich bewerten. Sie ignorieren zum Beispiel den Zielkonflikt zwischen Stabilität und Wachstumsimpulsen. Im letzten Jahr haben sie eine zu hohe Verschuldung und zu geringe Sparbemühungen der betroffenen Länder beklagt. Im Fall Frankreichs rügen sie das Ausbleiben von Wachstumspolitik. Es kann nicht beides gleichzeitig richtig sein.
Im Moment steht Deutschland noch ganz gut da - aber was kommt auf uns zu?
Steinmeier: Ja, wir scheinen auf einer Insel zu leben! Aber bekanntlich ist das nicht der Fall, erst recht wirtschaftlich nicht. 60 Prozent unserer Exporte gehen ins europäische Ausland und wenn die Nachfrage dort nachhaltig einbricht, werden deutsche Unternehmen weniger verkaufen und die Krise wird bei uns ankommen.
Im Saarland lässt sich die SPD auf eine große Koalition ein. Ist das prägend?
Steinmeier: Nicht so schnell. Die Koalition aus CDU, Grünen und FDP im Saarland ist an ihrer eigenen Unfähigkeit gescheitert. In der Situation hat sich die SPD sehr verantwortlich verhalten und sich Gesprächen mit der CDU nicht verweigert. Aber entschieden ist nichts, denn die CDU muss schon zu einem Politikwechsel bereit sein. Neuwahlen bleiben eine Option. So oder so, ist das kein Signal für den Bund. Ich halte die große Koalition nicht für eine dauerhaft gute Lösung.
Trotz Euro-Krise, Wulff-Affäre und der Schwäche der FDP steht die Kanzlerin in Umfragen gut da. Wie erklären Sie sich das? Sind Sie ratlos?
Steinmeier: Allenfalls verständnislos! Frau Merkel tut doch so, als lebe sie auf einem anderen Stern als ihr Kabinett, die FDP und der Bundespräsident. Aber sie hat diese Minister, ihren Koalitionspartner und im übrigen auch diesen Bundespräsidenten ausgewählt. Das spricht nicht gerade für eine hohe Kompetenz bei politischen Entscheidungen und der Personalauswahl. Ich bleibe dabei: Der Fall Wulff ist auch eine Causa Merkel.
Ist Wulff ein Nassauer?
Steinmeier: Das kann nur er selbst klären. Die Umstände seines privaten Hauskredits sind immer noch ungeklärt. Es ist unklar, woher das Geld stammt. Es ist der Eindruck entstanden, das er sich Vorteile verschafft hat, die anderen nicht zustehen. Und er hat diesen Eindruck bisher nicht ausgeräumt.
Ist er noch tragbar?
Steinmeier: Das müssen sie die fragen, die ihn gewählt haben.
Wir wollen wissen, welche Messlatte Sie anlegen? Was ist relevant?
Steinmeier: Christian Wulff hat an andere in solchen Fragen selbst immer hohe Maßstäbe gelegt. Er gehörte stets zu den ersten, die Konsequenzen gefordert haben. Wir erinnern uns an seine Rücktrittsforderungen gegen einen Bundespräsidenten Rau, dem lediglich der Vorwurf gemacht worden ist, die Flugbereitschaft der West LB mitgenutzt zu haben. Im eigenen Fall legt Christian Wulff die Maßstäbe für sich offensichtlich großzügiger aus.
Haben Sie die Sorge, dass die Bürger von Wulff auf alle in der Politik schließen?
Steinmeier: Der Schaden ist schon da. Viele wollen doch glauben, es sei übliche Praxis in der Politik, ständig nur auf der Suche nach persönlichen Vorteilen zu sein. Wenige Fälle reichen aus, um einige Vorurteile zu bestätigen. Deshalb schaden die Vorwürfe der Politik insgesamt.
Ist Wulff unwiderruflich beschädigt?
Steinmeier: Vertrauen und Respekt zurückzugewinnen, wird bei ihm ein besonders langer Weg werden. Und ich habe Zweifel, ob es gelingt.
Sie ließen sich wegen Ihrer Fraktionsklausur entschuldigen. Aber SPD-Chef Sigmar Gabriel blieb Wulffs Neujahrsempfang fern. Hätten Sie genauso gehandelt? Wieviel Respekt ist man Wulff schuldig?
Steinmeier: Respekt erhält man nicht qua Amt, sondern muss man sich erwerben. Da ist jetzt erst mal Christian Wulff in der Bringschuld.
Für den Fall eines Rücktritts, haben Sie Gespräche zwischen allen Parteien angeregt. Wäre Joachim Gauck Ihr Kandidat?
Steinmeier: Ich spekuliere nicht über Nachfolger, solange der Bundespräsident im Amt ist. Aber sollte er zurücktreten, kann ich mir nicht vorstellen, dass wieder jemand auf Biegen und Brechen durchgesetzt wird. Besser wäre dann ein Präsident, der sich auf eine breite Mehrheit stützt.