Düsseldorf. Wie konnte im April 2011 das fatale Gerücht entstehen, aus dem Forschungszentrum in Jülich seien radioaktive Brennelementekugeln verschwunden? Das versucht seit Monaten ein Untersuchungsausschuss im Landtag zu klären - bislang vergeblich. Am Freitag wurde Staatssekretär Helmut Dockter vernommen.

Kommunikationspanne, schlampige Buchführung oder politisch gesteuerte Angstkampagne gegen die friedliche Nutzung von Kernenergie? Seit Monaten versucht ein Untersuchungsausschuss des NRW-Landtages herauszufinden, wie es im April 2011 zum fatalen und letztlich falschen Eindruck kommen konnte, aus dem ehemaligen Atomreaktor des Forschungszentrums (FZ) Jülich wären hochradioaktive Brennelementekugeln abhanden gekommen, mit denen Terroristen „schmutzige Bomben“ bauen könnten.

Am Freitag wurde der Staatssekretär des NRW-Wissenschaftsministeriums, Helmut Dockter (SPD), in den Zeugenstand des Untersuchungsausschusses zitiert. Er sollte erklären, warum seine Ministerin Svenja Schulze (SPD) tagelang die Alarmglocke schlug und 2285 Atomkugeln als vermisst meldete, obwohl das FZ Jülich in Übereinstimmung mit der unteren Atomaufsicht im NRW-Wirtschaftsministerium sowie mit Euratom den Verbleib in der „Kernmaterialbuchführung“ völlig korrekt bis aufs Milligramm nachgewiesen hatte. Die Opposition im Landtag vermutet, dass Teile der rot-grünen Landesregierung in der aufgeheizten Stimmung nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima zusätzlich Ätomängste im Land schüren wollten.

Alles nur eine Kommunikationspanne?

Staatssekretär Dockter berief sich wie andere Zeugen vor ihm auch schon jedoch auf die angebliche Schwierigkeit, die Jülicher Brennelemente zweifelsfrei zu bilanzieren. Alles nur eine Kommunikationspanne? Da bei Experimenten in dem einstigen Forschungsreaktor zahlreiche Brennelementekugeln zerbrachen, lässt sich nur die Gesamtmenge des Brennmaterials benennen, nicht aber die Kugelanzahl. Der Grünen-Abgeordnete und erklärte Kernkraftgegner Hans Christian Markert hatte Ministerin Schulze in einer Kleinen Anfrage aber explizit nach dem Verbleib der Atomkugeln gefragt. So soll es zu dem zwischenzeitlichen Zahlensalat gekommen sein.

Dockter stellte bei seiner Vernehmung in den Raum, dass auch das Forschungszentrum Jülich selbst die Schwierigkeit des exakten Nachweises des Kugel-Verbleibs zugegeben habe und eigentlich gemeinsam mit der Landesregierung im April 2011 eine Pressekonferenz geben wollte, die zur Klärung der Lage und Deeskalation der öffentlichen Debatte beigetragen hätte. Aus Loyalität zur schwarz-gelben Bundesregierung, die 90 Prozent Eigentumsanteile am Forschungszentrum hält, habe Jülich jedoch den Auftritt abgesagt, so Dockters Vorwurf. Die Fachabteilung des Wissenschaftsministeriums habe jedenfalls „klug gehandelt, nicht öffentlich einen größeren Eindruck von Sicherheit zu erwecken als gerechtfertigt war“.

Die CDU-Opposition wiederum sah sich nach Dockters Auftritt in der Einschätzung bestätigt, dass das Kugelzählen in dem seit fast 25 Jahren stillgelegten Jülicher Forschungsreaktor ohne Not "durch Ministerin Schulze zu einer hochdramatischen Angelegenheit hochstilisiert wurde“, so Obmann Benedikt Hauser. Interessant werden dürfte es noch einmal, wenn Schulze selbst vor den Abgeordneten Rede und Antwort stehen muss.