Essen. . SPD-Chef Gabriel fordert angesichts der guten Konjunktur in Deutschland deutlich höhere Tarifabschlüsse. „2012 muss das Jahr der fairen Löhne sein.“ Im Interview mit der WAZ Mediengruppe sprach er auch über die Rettung Griechenlands und die Börsensteuer: Gabriel will mit Europapolitik punkten.

Grichenland muss gerettet werden, die Börsensteuer soll kommen. SPD-Chef Sigmar Gabriel will in der Europapolitik punkten. Wie, darüber sprachen mit ihm Walter Bau und Birgitta Stauber-Klein.

Das Thema Euro ist wegen der Kredit- und Medienaffäre des Bundespräsidenten untergegangen, scheint aber wieder an Bedeutung zu gewinnen. Was muss da passieren?

Sigmar Gabriel: Alle Sachverständigen und auch wir als Sozialdemokraten sagen Frau Merkel seit Monaten: allein durch ein gigantisches Sparprogramm quer durch Europa wird die Wirtschaft nicht in Gang kommen. Natürlich müssen die Staatshaushalte in Ordnung gebracht werden. Aber wenn wir nur sparen, führt das dazu, dass die Wirtschaft in den Krisenstaaten zusammenbricht. Wir brauchen dringend ein Programm für Wachstum und Beschäftigung, das man aber nicht über Schulden bezahlt.

Sondern?

Gabriel: Das müssen die Mitverursacher der Krise – die Zocker an den Börsen und in den Banken – über die Börsensteuer bezahlen. Diese Besteuerung der Finanzmärkte ist aber nicht nur aus finanziellen Gründen wichtig, sondern auch aus moralischen: Ich kann jedenfalls den normalen Arbeitnehmern nicht erklären, dass wir bei ihnen sparen oder die Steuern und Gebühren erhöhen und die Verursacher der Finanzkrisen ungeschoren davonkommen lassen.

Aber das ist ja nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Gabriel: Selbst die vorsichtigen Schätzungen der EU-Kommission gehen von über 10 Milliarden Euro allein für Deutschland aus. In der Eurozone werden rund 60 Milliarden Euro fließen. Pro Jahr!

Ohne Großbritannien.

Gabriel: Wer erklärt, diese Finanzmarktsteuer dürfe nur mit den Briten gemeinsam eingeführt werden, will in Wahrheit gar keine Besteuerung der Spekulanten. So treibt es die FDP seit Jahren und auch von Frau Merkel hören wir nur Lippenbekenntnisse. Wenn es konkret wird, steht sie mit ihrer CDU genauso auf der Bremse wie die FDP. Dieser Bundesregierung sind im Zweifel die Interessen von Banken und Spekulanten wichtiger als die der Bürger.

London ist immerhin der größte Finanzplatz in Europa.

Gabriel: Ich war mal Umweltminister. Immer wenn wir etwas für den Umweltschutz etwas durchsetzen wollten, kamen die Lobbyisten und haben gesagt, wenn wir das nicht weltweit machen, dann geht es gar nicht. In Wirklichkeit haben andere Staaten immer nachgezogen. Außerdem haben wir jetzt die weltweit stärkste Umweltwirtschaft. Die Eurozone ist so attraktiv, dass sie bei der Transaktionssteuer vorangehen kann. Nun muss die Kanzlerin ihre Richtlinienkompetenz wahrnehmen. Da kann sie nicht auf die Klientelinteressen der FDP Rücksicht nehmen.

Tut sie ja auch nicht

Gabriel: Was Frau Merkel sagt und was sie dann tatsächlich tut, sind in den letzten zwei Jahren meist zwei sehr unterschiedliche Dinge gewesen. Nur wenn der öffentliche Druck auf eine Besteuerung der Finanzmärkte groß genug ist, wird sie nachgeben.

Am 10.01.2012 gibt der Bundesvorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, der Politik-Redaktion der WAZ in der Ruhr-Universität Bochum ein Interview. Foto: Matthias Graben
Am 10.01.2012 gibt der Bundesvorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, der Politik-Redaktion der WAZ in der Ruhr-Universität Bochum ein Interview. Foto: Matthias Graben © WAZ

Muss man sich nicht langsam mit dem Gedanken befassen, dass Griechenland aus der Eurozone ausscheiden könnte?

Gabriel: Nein. Denn die Folge wäre, dass dann der nächste Staat in das Visier der Spekulanten käme. Deutschland steht nur deshalb gegenwärtig so gut dar, weil unsere Exportindustrie so stark ist. Und gerade die ist auf den Euro angewiesen. Um Griechenland zu halten, müssen wir die massive Kapitalflucht bekämpfen und Wachstumsprogramme entwickeln.

Was stellen Sie sich darunter vor?

Gabriel:Wir müssen mit den Mitteln der Finanztransaktionssteuer in Bildung, Forschung, Qualifizierung investieren. Wir müssen den Menschen eine Perspektive geben!

In Spanien ist ein Großteil der jungen Leute arbeitslos, obwohl er oft akademisch ausgebildet ist.

Gabriel: Es stimmt, dass die berufliche Bildung in vielen europäischen Staaten viel betriebsferner ist als in Deutschland. Wenn gerade junge Leute Menschen in Südeuropa nur Hoffnungslosigkeit erleben, wie soll dann das gemeinsame Europa in Zukunft Bestand haben? Denn Europa kann man nicht ohne die Jugend gestalten

Wir haben wenig Arbeitslose, die Wirtschaft stemmt sich gut gegen die Krise um uns herum. Ist es nicht an der Zeit, für die Arbeitnehmer mal einen größeren Schluck aus der Pulle zu nehmen?

Gabriel: Ja, wir brauchen höhere Löhne und Gehälter. Das Jahr 2012 muss das Jahr der fairen Löhne sein. Davon sind wir weit entfernt. Das beginnt bei den Mindestlöhnen, der nächste Schritt müssen höhere Tariflöhne sein. Und Leih- und Zeitarbeiter müssen endlich gleich bezahlt werden. Gute Arbeit gibt es nur für guten Lohn. Und für die gleiche Arbeit muss es auch die gleiche Bezahlung geben.

Tarifpolitik ist die eine Sache. Was muss der Staat tun, um die Konjunktur am Laufen zu halten?

Gabriel: Klug ist, die Kurzarbeiterregelung zu verlängern, damit der Staat im Notfall schnell reagieren kann. Das ist sinnvoller, als Geld für das absurde Betreuungsgeld oder Mini-Steuersenkungen zu verpulvern, die niemandem wirklich helfen.

Zur SPD: Es gab einen Parteitag, wo Frau Kraft ein hervorragendes Ergebnis bekam und als die vierte Figur im Kanzlerkandidatenreigen auftauchte. Wie sehen Sie das?

Gabriel: Das Ergebnis zeigt den großen Respekt der SPD gegenüber den Leistungen von Hannelore Kraft. NRW hat für die SPD eine besondere Bedeutung und sie hat es geschafft, nach fünf Jahren Oppositionszeit zurück in die Regierung zu kommen.

Verglichen mit der Union, die mit mehreren Ministerinnen Furore macht, könnte die Troika Gabriel/Steinbrück/Steinmeier etwas altbacken aussehen.

Gabriel: Gott sei Dank hat die SPD mehr zu bieten als nur uns drei Männer. Neben Hannelore Kraft stehen an der Spitze der SPD Manuela Schwesig, Aydan Özoğuz, Andrea Nahles, Barbara Hendricks. Erstmals in der 149 jährigen Geschichte der SPD sind die Frauen in der engeren Parteiführung in der Mehrheit.

Sie streben eine rot-grüne Regierung an als klaren Kontrapunkt zu Schwarz-Gelb. Doch im Saarland läuft alles auf eine große Koalition heraus, in Berlin hat sich eine gebildet, in drei weiteren Bundesländern gibt es sie schon. Gerät die SPD in die Rolle des Partners einer großen Koalition?

Gabriel: Im Saarland haben die Grünen mit CDU und FDP eine jammervolle Regierung gegen die SPD gebildet. Und in Berlin haben sie sich direkt nach der Landtagswahl durch parteiinterne Streiteren selbst zerlegt. Beide Regierungsbildungen sind nicht an der SPD gescheitert. 2013 wird es darauf ankommen, ob die Grünen sich klar zu einer Richtungswahl entscheiden, zu einem Wechsel der Politik. Das geht nur mit Rot-Grün.