Berlin. . Die SPD feiert die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin und wählt sie mit 97,2 Prozent zur Vizechefin. Der neue und alte Parteichef stimmt in den Jubel ein, bringt sie sogar als Kanzlerkandidatin ins Spiel – untermauert aber gleichzeitig seine Führungsrolle.
Sie ist der heimliche Liebling des SPD-Parteitags: Mit 97,2 Prozent wählen die Delegierten Hannelore Kraft am Montag zur Vizechefin der Sozialdemokraten – und noch am selben Tag wird sie als Kanzlerkandidatin gehandelt.
Der neue und alte SPD-Chef Gabriel bringt sie selbst ins Spiel. „Hier gibt es kein Casting“, ruft er aus, das Angebot der SPD gehe „weit hinaus über drei Männer“. Als ersten Namen nennt er Kraft. Bisher wurden nur Gabriel selbst, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück als Merkel-Herausforderer gehandelt.
Den Bestwert bei den Wahlen zur SPD-Führung wertet Kraft als „Dankeschön für unseren Wahlsieg“, sagt die NRW-Ministerpräsidentin der WAZ. Die NRW-SPD habe „der gesamten SPD Mut gemacht“.
Kraft will sich in die Bundespolitik einmischen, „aber im Zentrum steht NRW“. Sie führe eine Minderheitsregierung, „das ist nicht einfach“. Zur Kandidatenfrage sagt sie, die SPD habe „eine Menge guter Leute“. Ihr Ziel sei, „die nächste Wahl in NRW zu gewinnen“. Wer die SPD 2013 als Kanzlerkandidat anführe, darüber werde man in aller Ruhe befinden. Zur Frage, ob sie die Königsmacherin sei, sagt Kraft, NRW sei der größte Landesverband, „aber am wichtigsten ist, dass wir geschlossen als Gesamtpartei bleiben.“
Witzig, selbstkritisch, viel Herz
Zuvor bestätigten die 480-Delegierten Gabriel mit 91,6 Prozent im Amt – 2,6 Prozentpunkte weniger als vor zwei Jahren. Mit der türkischstämmigen Aydan Özuguz als Vize-Chefin wählte die SPD zum ersten Mal eine Politikerin mit Migrationshintergrund in die Führung. Sie erhielt 86,8 Prozent der Stimmen.
Bei allem Lob für Hannelore Kraft: Gabriel untermauert auch seine Führungsrolle in der SPD. Er nutzt seinen Auftritt zu einem offensiven Rundum-Schlag, witzig, selbstkritisch, mit viel Herz für die Partei. Und ohne Scheu, sich als Vorsitzender sehr emotional auch die Themen Steinbrücks und Steinmeiers anzueignen, Steuern und Europa.
Gleich zu Anfang zieht der seit 2009 amtierende Vorsitzende Bilanz: Die SPD habe „ihre größte Krise der vergangenen Jahrzehnte“ überwunden, die Neuaufstellung sei abgeschlossen.
Mit der Faust in der Luft
Es dauert wenige Minuten, dann hat sich Gabriel warm geredet. Der schwarz-gelbe Regierungsstil sei zum „Turbolader für Politikverdrossenheit“ geworden, ruft er in den Saal und boxt mit der Faust in die Luft. Unter Merkel bekomme der Begriff der Krisenkanzlerin eine ganz neue Bedeutung: „Die anderen zeigen seit zwei Jahren nur, wie man Krisen vergrößern kann.“ Die FDP betreibe „Schnäppchenliberalismus“. Gabriel leitet in einer Lautstärke knapp unter der Heiserkeitsgrenze große Ansprüche für die SPD ab: Die Idee des Liberalismus habe bei der SPD eine neue Heimat. Oder: „Die Mitte in Deutschland ist wieder Mitte-Links“. 2013 wolle die SPD wieder den Kanzler stellen – mit den Grünen als Partner.
Gabriel skizziert dazu unter Beifallsstürmen der Delegierten einen Richtungswahlkampf, der wohl am besten zu ihm, nicht so sehr zu Steinbrück oder Steinmeier passt. Weniger Pragmatismus, mehr Werte, mehr Veränderungsanspruch wünscht er sich: „Wer Visionen hat, der muss wieder zur SPD gehen“, sagt Gabriel in Umkehrung eines Ausspruchs von Helmut Schmidt, der Visionäre einst zum Arzt schicken wollte.
Fünf Minuten feiern ihn die Delegierten: Belohnung für eine erfolgreiche Neuausrichtung der SPD, bei der Gabriel den Genossen auch manches zumutete. Der Vorsitzende ist sichtlich erleichtert. Zuspitzen sei nun die Aufgabe bis zur Wahl, sagt Gabriel. Seine Rede hat gezeigt, wer verantwortlich sein wird für das Zuspitzen: Der Parteichef selbst.