Berlin. Bundesfinanzminister Schäuble blickt positiv in die Zukunft und rät bei der Finanzkrise zu mehr Gelassenheit. Die Finanzmärkte würden sich 2012 wieder beruhigen. Das sehen Wirtschaftsexperten anders. Die Krise sei lange nicht überstanden und könnte weiter eskalieren.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) geht nach eigenen Worten davon aus, dass sich die Finanzmärkte im kommenden Jahr beruhigen werden. Es werde zwar noch einige "Überraschungen und Aufgeregtheiten geben, aber wir sind in der Lage, das zu managen", sagte der Minister der "Bild am Sonntag". Er rate "zu etwas mehr Gelassenheit". Schäuble zeigte sich zuversichtlich, dass die Investoren künftig wieder in die Euro-Zone vertrauen werden: "Europa ist eine der wirtschaftsstärksten Regionen der Welt, und die Investoren wollen ihr Geld gewinnbringend anlegen."
Schäuble fordert weiter Finanztransaktionssteuer
Der Finanzminister betonte die Entschlossenheit der Bundesregierung, eine Steuer auf Finanztransaktionen einzuführen. Diese könne die "aberwitzigen Entwicklungen" an den Finanzmärkten zwar vielleicht nicht stoppen, aber zumindest abbremsen. "Ich möchte nicht abwarten, bis eine solche Steuer weltweit eingeführt worden ist. Sonst riskieren wir nicht nur die Stabilität unserer Finanzmärkte und neue Risiken, sondern gefährden die Legitimation des ganzen Systems bei den Bürgern", sagte Schäuble.
Schäuble kritisierte, "derzeit beschäftigen sich die Märkte viel zu stark mit sich selbst, statt die Realwirtschaft zu unterstützen. " Deshalb müsse die Politik das Tempo der Transaktionen entschleunigen. Sollte es keine Einigung in der EU geben, würden sich Deutschland und Frankreich gemeinsam dafür einsetzen, die Finanztransaktion-Steuer zunächst nur in den Euro-Staaten einzuführen. Widerstand gegen die Abgabe gibt es vor allem Großbritannien, das nicht Mitglied der Euro-Zone ist.
Wirtschaftsexperten waren vor weiterer Eskalation
Führende Wirtschaftsforschungsinstitute warnen vor weiteren Gefahren durch die Euro-Schuldenkrise. Der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), Thomas Straubhaar, mahnte am Sonntag, die Krise sei "noch lange nicht ausgestanden". Vielmehr könne sie sogar "weiter eskalieren".
Der Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen, Christoph M. Schmidt, forderte eine zügige Umsetzung der Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels. Man dürfe "aber nicht übersehen, dass die beschlossenen Maßnahmen in erster Linie die langfristigen Rahmenbedingungen verbessern". Dies könne zwar beruhigend auf die aktuelle Lage wirken. Aber die akuten Probleme mancher Staaten seien damit nicht gelöst.
Der RWI-Präsident und "Wirtschaftsweise" fügte in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd hinzu: "Der Sachverständigenrat hatte mit dem Schuldentilgungsfonds ein Instrument vorgeschlagen, um auch dieses Problem in den Griff zu bekommen. Die Politik ist dieser Idee leider - zumindest bisher - nicht gefolgt."
Schmidt betonte, die Mehrheit der Ökonomen sei sich einig, "dass Euro-Bonds aufgrund der mit ihnen verbundenen negativen Anreize schädlich wären". Insofern sei die Strategie der Bundesregierung richtig gewesen, auf vertragliche Regeln zu bestehen, die für eine bessere Kontrolle der Finanzpolitik der einzelnen Euro-Länder sorgen.
Der RWI-Präsident fügte hinzu: "Stehen solche Regeln, wird es für die Regierung vielleicht auch einfacher, zum Beispiel die Aufkäufe von Staatspapieren durch die EZB als kurzfristige Notmaßnahmen zu akzeptieren, obwohl sie gegen der Geist des EU-Vertrags verstoßen." Aber die Bundesregierung müsse "den europäischen Partnern gleichzeitig überzeugend signalisieren, dass ihr Beharren auf Prinzipien nicht das ganze europäische Projekt in Gefahr bringt".
HWWI: Euro-Bonds nicht verteufeln
Straubhaar mahnte, man sollte "in Deutschland Euro-Bonds nicht aus ideologischen Gründen verteufeln". Denn es werde "auch in einer Fiskalunion eine gemeinsame Kasse geben, um schwächeren und überschuldeten Ländern Notkredite finanzieren zu können". Ob die gemeinsame Kasse "Rettungsfonds" oder "Euro-Bond" genannt werde, sei "dabei dann nur eine nebensächliche und eher technische Frage".
Nach Ansicht des HWWI-Direktors steht "die Politik vor dem Zielkonflikt, gleichzeitig zu konsolidieren und die Konjunktur nicht abzuwürgen". Straubhaar fügte hinzu: "Schon die bisherigen Sparanstrengungen haben die von der Krise besonders betroffenen Länder in die Rezession geführt." Notwendig seien nun "überzeugende Konsolidierungsstrategien", die das Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit der Politik wieder herstellen und die Finanzmärkte beruhigen.
DIW kritisiert "Hysterie" auf den Finanzmärkten
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erwartet zu Beginn des neuen Jahres einen "leichten Rückgang der Wirtschaftsleistung" in der Bundesrepublik. Danach dürfte sich die Lage "beruhigen", sagte der DIW-Vorstandsvorsitzende Gert Wagner im dapd-Interview. Voraussetzung dafür sei jedoch, "dass die Politik die Eurokrise schnell in den Griff bekommt".
Wagner kritisierte zugleich, auf den Finanzmärkten sei "nach wie vor sehr viel Irrationalität und Hysterie im Spiel". Es bleibe "zu hoffen, dass alsbald mehr Nüchternheit einkehrt". (dapd/afp)