Essen. . Geschäfte mit Kriegsverbrechern, eine korrupte und unfähige Regierung und unnütze Gipfelkonferenzen. Im Interview mit DerWesten übt Menschenrechtler Rupert Neudeck harsche Kritik an den Ergebnissen der Bonner Afghanistan-Konferenz.

Der Journalist und Menschenrechtler Rupert Neudeck war bis zuletzt als Helfer in Afghanistan aktiv. Die Ergebnisse der Bonner Afghanistan-Konferenz wertet der Vorsitzende des Friedenskorps Grünhelme als „Katastrophe“.

Wie bewerten Sie die Ergebnisse Afghanistankonferenz?

Rupert Neudeck: Sie sind noch schlechter, als ich es erwartet habe, sie sind eine Katastrophe. Es geht schon wieder dahin, dass eine miserable Regierung über 2014 hinaus ausgehalten werden soll, die es bis heute nicht geschafft hat, als souveräne Regierung eines souveränen Landes 20 Prozent an eigenen Einnahmen zu generieren. Das ist eine Katastrophe für ein Land. Und für die Afghanen, diese unheimlich fleißigen Menschen, ist das eine noch größere Katastrophe.

Ist Präsident Karsai der falsche Mann an der Spitze des Landes?

Neudeck: Ich mache das nicht nur an Präsident Karsai fest. Das ist ein System, zu dem auch die Warlords und die Amerikaner gehören. Der Einfluss Amerikas hat dazu geführt, dass einige der schlimmsten Kriegsverbrecher nicht vor ein Tribunal kamen, sondern weiter höchste Positionen im Establishment Afghanistans inne haben. Das ist das System.

Die USA arbeiten mit Kriegsverbrechern zusammen?

Neudeck: Sie haben es getan, und tun es auch weiter. Sie haben nie damit aufgehört und wurden auch von uns nie in die Schranken gewiesen. Wir haben anfangs getönt, dass es einen Rechtsstaat aufzubauen gilt, also viel mehr als nur Demokratie. Aber wir haben längst aufgehört davon zu sprechen, weil wir gemerkt haben, dass das so gar nicht geht.

Aber demokratische Strukturen sind doch auch schon ein Fortschritt.

Neudeck: Auch von unseren demokratischen Grundsätzen verabschieden wir uns doch zusehends. Demokratie heißt, dass das Votum des Wählers auch eingehalten wird. Das war bei der letzten Wahl in Afghanistan nachweislich nicht der Fall. Der jetzige Präsident ist nach unseren Maßstäben eigentlich ein Wahlfälscher.

Braucht das Land eine neue Regierung?

Neudeck: Afghanistan braucht mehr als das. Das Land braucht eine Runderneuerung an Kopf und Gliedern. Das muss von den Afghanen verlangt werden, nicht von uns. Die Ergebnisse müssen dann aber auch stimmen. Da wir aber weiter für 80 Prozent aller der Einnahmen des Landes verantwortlich sind, haben wir auch eine Stimme dabei. Das ist also durchsetzbar, wenn man es denn will.

Die Konferenz war also unnütz?

Neudeck: Das haben, so glaube ich, die Bürger auch längst mitbekommen. Die Gipfelkonferenzen sind so eine Mode geworden in der Politik. Dann, wenn man mit dem Latein am Ende ist in der Politik, dann macht man Konferenzen. Das war bei der Bonner Konferenz jetzt so und das wird bei den Folgekonferenzen in Chicago und Tokio nicht anders sein.

Trotzdem werden wir nicht umhin kommen, die Regierung in Kabul weiter mit Milliarden zu unterstützen. Schließlich haben wir sie und die Wahlfälschungen akzeptiert.

Man kommt nicht umhin?

Neudeck: Nein, man hat sich ja bereits im Vorfeld der Konferenz entschieden, dass man weiter auf Karsai setzt. Deshalb darf man sich nicht wundern, dass es nun wie beim Hornberger Schießen ist. Wenn das eine kritische Konferenz geworden wäre, nicht nur mit Repräsentanten des Systems, dann hätte man mal Tacheles reden können. Hat man aber nicht. Und so sind die Reaktionen geprägt von abgrundtiefer Enttäuschung, vor allem bei den Afghanen, weil sie eine wirkliche Erneuerung ihres Landes erwarten.

Sie sind mit Ihrer Hilfsorganisation, den „Grünhelmen“, weiter in Afghanistan aktiv?

Neudeck: Nein. Seit Montag ruht die Arbeit.

Warum?

Neudeck: Wir haben die Arbeit unterbrochen aus Protest gegen die Haltung einer Regierung, die glaubt, dass Geld, das die Menschen in meinem Land spenden, Geld, dass viele Bürger hier nicht dicke haben, ihnen gehört. Die Regierung in Kabul tut so, als ob sie über die Spenden einfach so verfügen kann. Sie hat uns zudem nicht mehr erlaubt, Schulen zu errichten, die wir zu einem günstigen Preis bauen wollten. Wir sollen jetzt eine Genehmigung in Kabul erstreiten, das kostet aber Geld und Zeit. Außerdem sollen wir den Bau von einer afghanischen Firma machen lassen. Das kostet plus Korruption das Drei- bis Vierfache des Preises, den wir sonst hatten. Das werden wir unseren Spendern nicht zumuten. Erst dann, wenn meine Bundesregierung das ändert, werden wir wieder etwas tun dort.

Ist die Korruption das größte Übel Afghanistans?

Neudeck: Es ist ein sehr großes Übel. Aber noch schlimmer ist, dass eine Gewaltkultur eingerissen ist. Sie hat durch den Einmarsch der Sowjetunion begonnen und ist nie beendet worden. Die Welle von Gewalt und Waffen, die seitdem ins Land bekommen ist, haben wir bis heute nicht eindämmen können.