Berlin (dapd). Die Sozialdemokraten ziehen mit Sigmar Gabriel als Parteichef in die Bundestagswahl 2013 und wollen mit einem Kurs der linken Mitte wieder an die Regierung kommen. Auf dem SPD-Bundesparteitag in Berlin erzielte der 52-Jährige am Montag ein gutes Ergebnis von 91,6 Prozent der Delegiertenstimmen. 2009 hatte Gabriel bei seiner ersten Wahl eine Zustimmung von 94,2 Prozent erhalten. Die Frage der Kanzlerkandidatur soll frühestens Ende 2012 entschieden werden.
Der neue und alte SPD-Chef zeigte sich in einer ersten Reaktion äußerst zufrieden mit seinem Abschneiden. Am Rande des Berliner Parteitags sprach Gabriel von einem "ehrlicheren Ergebnis als in Dresden". Er sei nicht "everybody's darling" in der Partei. Dennoch freue er sich, dass er trotz seines konfliktreichen Kurses der Erneuerung der SPD ein "so hohes Maß an Zuspruch" erhalten habe.
In einer 90-minütigen Grundsatzrede hatte Gabriel die rund 500 Genossen zuvor aufgefordert, den Medienwirbel um den SPD-Kanzlerkandidaten "heiter und gelassen" zu ertragen. Er werde Ende 2012 einen Vorschlag machen, wer kandidieren soll. "Und dann entscheidet die Partei - und sonst niemand", betonte der SPD-Vorsitzende.
"Hier gibt es kein Casting. Die, die das schreiben, verstehen zu wenig von Politik", sagte Gabriel über den Parteitag, der als "Schaulaufen" der drei möglichen Kanzlerkandidaten der SPD interpretiert worden war. Neben Gabriel gehören dazu der Finanzexperte Peer Steinbrück und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Nun werde sicher geschrieben: "Gabriel kandidiert und verzichtet zugleich. Das tue ich nicht", stellte der Parteichef klar.
Gabriel buhlte in seiner Rede um die politische Mitte. "Politik für die Mehrheit und die Mitte in Deutschland: Das ist wieder Mitte-Links", sagte der SPD-Chef. Union und FDP hätten die Deutungshoheit über die Mitte längst verloren. Der Vorsitzende betonte: "Wir wollen mit den Grünen als Koalitionspartner regieren." Man müsse Koalitionen mit Inhalten begründen "und nicht nur mit purer Machttaktik", sagte Gabriel unter Anspielung auf die schwarz-gelbe Koalition.
Einer großen Koalition aus Union und SPD erteilte der SPD-Chef eine Absage. Eine Partei, "die 148 Jahre alt ist, die kann kein Juniorpartner sein, sondern muss die Regierung führen", erklärte Gabriel mit Blick auf die lange Tradition seiner Partei.
Zugleich warf der SPD-Vorsitzende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Versagen in der europäischen Schuldenkrise vor. Merkels Politik habe "die Krise vergrößert". Es sei "verheerend", dass die schwarz-gelbe Bundesregierung die Finanzmarkt-Besteuerung nicht vorantreibe.
Als Stellvertreter Gabriels wurden NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, die Arbeitsministerin in Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, sowie Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit wiedergewählt. Erstmals kandidierte die Bundestagsabgeordnete Aydan Özoguz. Sie erhielt 86,8 Prozent der Stimmen. Das beste Ergebnis der stellvertretenden SPD-Parteivorsitzenden erzielte Kraft mit 97,2 Prozent. Zum ersten Mal stimmten die Delegierten bei einem SPD-Parteitag elektronisch ab.
Auch SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles wurde mit 73,2 Prozent der Delegiertenstimmen im Amt bestätigt. In Dresden vor zwei Jahren hatte Nahles nur 69,6 Prozent erhalten. Zudem verabschiedeten die Delegierten ein Grundsatzprogramm mit der Forderung nach einem einkommensabhängig gestaffelten Kindergeld. Auf dem Parteitag wollten die Delegierten am Montag noch über die Bildungs- und Arbeitspolitik sowie die Alterssicherung beraten.
Die CSU griff Gabriels Rede scharf an. Der SPD-Chef gebe sich wie ein "selbstgefälliger Weihnachtsmann-Verschnitt", der vor Kaufhäusern mit minderwertigen Geschenken auf sich aufmerksam mache, kritisierte die CSU-Landesgruppenvorsitzende Gerda Hasselfeldt. Die Forderungen nach europaweiten Mindestlöhnen, der Vergemeinschaftung von Schulden und einer staatlich verordneten Wettbewerbspolitik seien unglaubwürdig. Dies sei nichts weiter als ein "Jingle Bells" der Opposition.
Auch nach Einschätzung von FDP-Generalsekretär Christian Lindner hat die SPD einen falschen Kurs eingeschlagen. "Von der Neuen Mitte führt Sigmar Gabriel die SPD zurück zur alten Linken." Das gute Ergebnis Gabriels bei der Wahl zum Parteivorsitzenden sei ein weiterer Beleg für den Abschied der SPD von der Politik der "Agenda 2010" des SPD-Altkanzlers Gerhard Schröder.
dapd