Essen. . Verfassungsschützer stehen unter Rechtsextremismus-Verdacht, V-Leute finanzierten mit Steuergeldern Neonazi-Propaganda. Die Rolle von Polizei und Geheimdiensten rückt in den Mittelpunkt. Jede weitere enthüllte Panne kratzt am Image der Sicherheitskräfte. Experten warnen vor blindem Aktionismus.

79 Prozent der Deutschen vertrauen der Polizei. Zu diesem Ergebnis kam eine Umfrage des Magazins "Reader's Digest" noch vor rund einem halben Jahr. Würden die Deutschen heute befragt, stünde zu befürchten, dass der Anteil kleiner geworden ist. Die Ermittlungspannen bei der Aufklärung rechtsextremistischer Morde kratzen am guten Image der Sicherheitskräfte.

Die Ermittlungspannen seien, sagt der Münsteraner Polizei-Experte Bernhard Frevel, ein "verheerendes Signal an die Bürger". Diese könnten Angst bekommen, der Staat könne Verbrechen nicht aufklären oder verhindern. Ob die Fehler dabei konkret von der Polizei oder dem Verfassungsschutz begangen wurden, spiele dabei keine Rolle: "Das ist für den Bürger kaum zu unterscheiden."

Die Liste der Pannen ist lang:

  • Niedersächsische Ermittler observierten den inzwischen wegen Terrorverdacht verhafteten Holger G. - und ließen ihn nach nur drei Tagen aus den Augen. Dann löschten sie die Daten, die sie über den Verdächtigen gesammelt hatten.
  • Ermittler der Kölner Staatsanwaltschaft reisten nach Nürnberg, weil sie einen Zusammenhang zwischen dem Anschlag in der Keupstraße und den "Döner-Morden" vermuteten - und kehrten ergebnislos heim, weil sie keinen Zugriff auf die bundesweite Fahndungskartei bekamen.
  • Das Trio um Beate Zschäpe stand schon 1998 im Visier der Ermittler, doch dann tauchten die drei Verdächtigen unter und verschwanden spurlos.
  • Thüringische Ermittler bezahlten tausende Euro an V-Leute. Diese nutzten das Geld, um rechtsradikale Propaganda zu finanzieren.

All diese Pannen verblassen unter den Vorwürfen, denen sich der hessische Nachrichtendienst ausgesetzt sieht: Angeblich war ein Mitarbeiter des Landes-Verfassungsschutzes bei mindestens drei Morden zugegen. Der Mann wurde inzwischen vom Dienst suspendiert.

Nach der Pannenserie nicht in blinden Aktionismus verfallen

"Es ist offensichtlich, dass Ermittlungspannen passiert sind ", sagt Polizei-Experte Frevel. Er geht davon aus, dass nicht nur die Kommunikation zwischen den Institutionen, sondern auch innerhalb einzelner Behörden nicht ideal gelaufen ist. Dem stimmt auch Hans-Jürgen Lange, Politikwissenschaftler der Universität Witten-Herdecke, zu.

Die Pannen hätten zwar eine "ganz große Krise" bei den Sicherheitsdiensten ausgelöst, die es in diesem Ausmaß noch nicht gegeben habe, aber noch würden die Bürger die Legitimität der Geheimdienste aber nicht infrage stellen. Gerade deshalb sollte man jetzt in Ruhe überlegen, wo Reformen wirklich notwendig seien - und wo nicht.

Trennungsprinzip: Sicherheitsdienste dürfen Erkenntnisse nicht an die Polizei weitergeben

"Die Forderung, Verfassungschutzämter zusammenzulegen ist falsch", sagt Lange. Politiker, die diese Forderung vertreten, hätten sich keine Gedanken über die Konsequenzen gemacht. Welches Parlament kontrolliert einen Verfassungsschutz, der mehrere Bundesländer abdeckt? Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Landeskriminalämtern, die weiterhin für die einzelnen Länder zuständig wären? "Das schafft Strukturen, die nicht weniger kompliziert sind", sagt Lange, "dann müssen wir schon über eine richtige Föderalismusreform nachdenken."

Die Experten nehmen Polizei und Sicherheitskräfte bei allen Vorwürfen auch in Schutz: Sie sehen im System verankerte Probleme, für die die Ermittler nichts könnten. "Das im Grundgesetz verankerte Trennungsprinzip verbietet es dem Nachrichtendienst, Ermittlungsergebnisse an die Polizei weiterzugeben", sagt Frevel. Prinzipiell sei das sinnvoll. "Doch was da fehlt, ist eine zentrale Stelle, die Daten sammelt und ausgewählte Informationen an andere Behörden weitergibt." Die Lösung, die ihm vorschwebt: eine Behörde nach dem Vorbild des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums. Dort laufen Ermittlungsergebnisse von Polizei und Geheimdiensten zusammen - allerdings bislang nur, wenn es um Gefahren aus dem Ausland geht.

Parlamentsausschüsse brauchen mehr Informationen von den Geheimdiensten

Zusammen mit den Geheimdiensten rücken auch die Parlamente, die diese kontrollieren sollen, ins Visier. Im Bundestag und den Landtagen gibt es Ausschüsse, die die Geheimdienste überwachen sollen. "Diese Ausschüsse brauchen mehr Informationen darüber, was die Geheimdienste tun", sagt Frevel. Dann allerdings, müssten die Abgeordneten zur Verschwiegenheit verpflichtet werden.

Doch bei aller Brisanz der Vorwürfe - eine ernstzunehmende Staatskrise befürchten die Experten nicht. Selbst wenn die Bürger momentan verunsichert sein, haben die Pannen beim Verfassungsschutz wohl kaum langfristige Auswirkungen, vermutet Frevel: "Solche konkreten Dinge merken sich die meisten nicht lange."