Berlin. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Geheim-Gremium ist ein Rückschlag für die Bundesregierung. Karlsruhe legt damit den Sonderausschuss für eilige Finanzhilfen vorerst auf Eis. Die Euro-Kritiker im Bundestag bewerten das Urteil als Erfolg. Sie sehen sich in ihrer Kritik bestätigt.
Der Bundestag macht sich die Kontrolle über neue Milliardenhilfen aus dem Euro-Rettungsfonds möglicherweise zu einfach: Das Bundesverfassungsgericht stoppte gestern ein neues Sondergremium des Parlaments. Es sollte mit nur neun Abgeordneten in eiligen oder streng vertraulichen Fällen Milliarden-Entscheidungen treffen, daran hat Karlsruhe zumindest Zweifel.
Die Opposition sieht sich bestätigt und spricht von einer „Ohrfeige“ für die Koalition. Das Gericht gab mit der Entscheidung einem Antrag der Berliner SPD-Bundestagsabgeordneten Swen Schulz und Peter Danckert auf einstweilige Anordnung statt.
In der Hauptsache will Karlsruhe bis Weihnachten entscheiden, bis dahin darf das Sondergremium keine Entscheidungen über den Einsatz des Rettungsschirms fällen.
In Krisenfällen muss der Bundestag gefragt werden
Die Konsequenz: Der 440 Milliarden Euro schwere Rettungsfonds EFSF kann zwar arbeiten, in neuen Krisenfällen wird aber die deutsche Zustimmung verlangsamt, weil Haushaltsausschuss oder Bundestag entscheiden müssten. Kläger Schulz zeigte sich zufrieden. Er sagte der WAZ: „Im Zweifel würde in dem kleinen Gremium sogar die knappe Mehrheit von fünf der neun Abgeordneten reichen, um weitreichende Entscheidungen zur Euro-Rettung zu treffen, und dann auch noch geheim – das geht so nicht.“ Der FDP-Haushaltspolitiker Otto Fricke warnte dagegen, Aufkäufe von Staatsanleihen durch den Rettungsfonds seien vorerst unmöglich, weil die notwendige Geheimhaltung nicht gewährleistet sei.
Für den Bundestag ist die Entscheidung ein Rückschlag bei dem Versuch, einen Mittelweg zwischen parlamentarischer Kontrolle und Handlungsfähigkeit des Rettungsschirms zu gewährleisten. Bei zentralen Fragen wie der Aufnahme neuer Euro-Länder in das Krisenprogramm soll laut einem vier Wochen alten Gesetzesbeschluss der Bundestag entscheiden, konkrete Hilfen muss der Haushaltsausschuss mit seinen 41 Mitgliedern freigeben oder im Eil- und Geheimnisfall eben das Sondergremium.
Das sollte eigentlich gestern erstmals zusammentreffen, die Konstituierung ist nun aber ausgesetzt. Die neun Abgeordneten sollen tagen und notfalls auch nachts telefonisch ihr Okay geben, wenn Entscheidungen über Hilfen für Staaten oder Banken innerhalb weniger Stunden getroffen werden müssen – oder nicht vorzeitig bekannt werden dürfen, damit die Börsen nicht nervös werden.
Ein wissenschaftliches Gutachten bestätigt die Kritiker
Vorbild ist ein Sonderausschuss für den deutschen Bankenrettungs-Fonds Soffin, der 2008 eingerichtet wurde. Nur: Es geht jetzt um ganz andere Größenordnungen, und das Verfassungsgericht ist ohnehin schon alarmiert.
Ein von Kläger Schulz angefordertes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das der WAZ vorliegt, bestätigt die Zweifel: Die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf das Sondergremium sei „problematisch“, weil die verfassungsrechtlich garantierte Beteiligung aller Abgeordneten verhindert werde und die Regierung selbst entscheide, worüber vertraulich nur wenige Parlamentarier informiert würden.
Die Expertise sieht die Zustimmung des Haushaltsausschusses als Minimum. Das würde auch den Klägern genügen, wie Schulz sagte. Die Bundesregierung drängt auf eine schnelle Gerichtsentscheidung. SPD, Grüne und Linke, die unterschiedlich starke Vorbehalte gegen das Neuner-Gremium hatten, begrüßten die Anordnung aus Karlsruhe