Brüssel. Heiß diskutiert wird beim EU-Gipfel in Brüssel die Besetzung zweier Top-Posten: "Präsident des Europäischen Rates" und EU-Außenminister. Der Brite Tony Blair und der Luxemburger Jean-Claude Juncker haben kaum Chancen auf den Thronsessel. Aber wer wird's dann?
Brüssel. Beim Lissabon-Vertrag gilt Murphy's Gesetz: Was schief gehen kann, geht schief. Oder verzögert sich. Das tschechische Verfassungsgericht hat den EU-Regierungen nicht den Gefallen getan, gleich gestern die jüngste Klage gegen den Vertrag abzuweisen. Der Spruch wird erst kommende Woche erwartet. Der Brüsseler EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag kann bei den anstehenden Personalfragen noch nicht Nägel mit Köpfen machen. Die definitiven Entscheidungen fallen womöglich auf einem Sondergipfel im November. Was die Staats- und Regierungschefs nicht hindern wird, die Sache in dieser Woche schon kräftig vorzukauen. Vor allem geht es um zwei Top-Posten, den „Präsidenten des Europäischen Rates" und den Außenminister („Hoher Vertreter"). Wie wird man das?
Proporz ist wichtiger als Kompetenz
Wie in Berlin gibt es dafür auch in Brüssel Regeln: Man bewirbt sich nicht, man bringt sich ins Spiel oder lässt sich ins Spiel bringen. Wer zu stark ins Spiel gebracht wird, ist schnell verbrannt. Porporz (konservativ-sozialdemokratisch, Mann-Frau, Nord-Süd, Ost-West) ist wichtiger als Kompetenz. Keine Feinde sind wichtiger als starke Freunde.
Nach diesen Regeln haben sich die beiden aktivsten Interessenten für den Posten des Ratspräsidenten ihre Chancen weitgehend verdorben. Tony Blair (Ex-Premier Großbritannien) und Jean-Claude Juncker (Premier Luxemburg) haben sich sowohl zu stürmisch beworben wie auch zu viele Feinde. Blair führte das Feld der nicht erklärten Kandidaten lange Zeit an.
Inzwischen hat ihn die Regierung in London offensiv empfohlen, und nun hört man an jeder Ecke der EU, was alles gegen ihn spricht: sein strammes Eintreten für den Irak-Krieg und George Bush, seine Bockigkeit bei den Finanzverhandlungen 2005, die Außenseiter-Position Großbritanniens in Europa (nicht Mitglied der Euro-Zone und des Schengen-Raums). Und Blair verstößt dramatisch gegen Regel 3 („keine Feinde") – selbst die EU-Sozialisten tun sich mit ihm schwer.
Programm der Regierung Merkel II sei "unterbelichtet"
Den Christdemokraten Juncker, den Stubenältesten im Europäischen Rat, haben hingegen auch die Linken lieb. Dafür hat er bei den konservativen Parteifreunden zuletzt an Boden verloren. Jetzt hat er das Programm der Regierung Merkel II in puncto Konsolidierung als „unterbelichtet" kritisiert – und sich zugleich als Präsidentschaftskandidat gemeldet. „Wenn mich eine solche Bitte erreichen würde, hätte ich keinen Grund, ihr kein Gehör zu schenken." Andere dürften dafür sorgen, dass es so weit nicht kommt.
Bessere Chancen haben der Niederländer Jan-Peter Balkenende und der Belgier Herman van Rompuy oder auch der frühere österreichische Kanzler Wolfgang Schüssel, allesamt Christdemokraten.
Die Sozialdemokraten spitzen sich mehr auf den EU-Außenamtschef. Dafür haben sie einen starken Kandidaten anzubieten: Der britische Außenminister David Miliband ist trotz seiner eben erst 44 Jahre kein heuriger Hase mehr. Bei Labour gilt er als smartester Vertreter der Generation nach Blair. Den Linken und kontinentalen Pro-Europäern ist er längst nicht so verdächtig wie dieser. Dass Labour unter Premier Gordon Brown auf eine saftige Wahlniederlage zusteuert, dürfte Milibands Interesse an Europa fördern.
Eine Frau hätte gute Chancen
Wenn er eine Frau wäre, hätte er den Job sicher. Eigentlich sollte von den vier Leitungsfunktionen der EU (Kommission, Europäischer Rat, Parlament und Auswärtiger Dienst) mindestens einer an eine Frau gehen. Kommission und Parlament haben bereits männliche Vorsteher. So wird die Ex-Außenamtschefin Ursula Plassnik von der Österreichischen Volkspartei immer wieder als mögliche EU-Außenministerin genannt.