Brüssel. Die EU-Kommission reagiert verblüfft auf die Entscheidung von Kanzlerin Angela Merkels, Günther Oettinger zum EU-Kommissar zu machen. Großen europapolitischen Gestaltungswillen wird der Nachfolger Günter Verheugens kaum entwickeln.
Verdutzt war er, der Kommissionspräsident, und er brauchte eine Weile, bis er sich einen Reim auf die Personal-Entscheidung der christdemokratischen Parteifreundin aus Berlin machen konnte. Angela Merkel schickt dem Kollegen Jose´ Manuel Barroso einen schon etwas überständigen Regionalfürsten namens Günther Oettinger. Mit der freundlichen Bitte, den Mann in Brüssel als das Schwergewicht zu begrüßen, das er zuhause längst nicht mehr ist.
Zu diesem nicht ganz aufrichtigen Spiel hat Barroso – das ist seine Stärke – eine aufgeräumte Miene gemacht und sich fast nicht anmerken lassen, dass dazu Verstellungskunst vonnöten war. Es gibt im Umfeld des Portugiesen genügend kundige Germanologen, die ihn aufklären konnten, dass es sich bei dem CDU-Schwaben um einen gehobenen Entsorgungsfall handelte. Kommt hinzu, dass Ministerpräsidenten deutscher Bundesländer in Brüssel nicht automatisch der politischen Champions League zugerechnet werden.
Einschlägiger Ehrgeiz ist nicht erkennbar
Eingeweiht wie er nicht war, gab es indes für den Kommissionschef keinen Grund, an die Decke zu gehen. Der Mitarbeiter Oettinger dürfte für den Vorarbeiter Barroso keine allzu sperrige Größe werden. Großen europapolitischen Gestaltungswillen wird der Nachfolger Günter Verheugens kaum entwickeln. Einschlägiger Ehrgeiz ist nicht erkennbar und über ein Netzwerk in der EU-Hauptstadt verfügt der Neuling nicht – die Strippen, die man nicht kennt, kann man nicht ziehen. Außerdem ist Oettinger nicht gerade als Kontakt-Riese bekannt.
Andererseits darf Merkel auf den Sachverstand des ökonomisch versierten Juristen vertrauen. „Der ist ja nicht doof”, sagt ein Brüsseler Kenner der deutschen Polit-Szene, „und in ein Fach kann man sich einarbeiten.” In welches? Wichtig soll es sein, aus dem Kernbereich Wirtschaft, wo es um die großen Gelder und Weichenstellungen geht. Das Binnenmarkt-Ressort beanspruchen die Franzosen, Wettbewerb ist für das Land mit den meisten Großunternehmen untunlich, Handel interessiert die Kanzlerin nicht. Bliebe der Schnittbereich Industrie, Energie, Umwelt.
Kleine Ausrutscher
Die unfreundlichen Töne der politischen Konkurrenz im Europäischen Parlament kann man vergessen. Oettinger ist kompetent genug, die fälligen Anhörungen zu überstehen. Was er sich an Ausrutschern geleistet hat, reicht nicht annähernd, um den Kandidaten des größten EU-Mitgliedslandes durchfallen zu lassen.
Es ist mithin nicht ausgeschlossen, dass sich der Schwabe in Brüssel als fleißige Dienstkraft der Kanzlerin bewährt (was eigentlich nicht die Aufgabe eines Kommissars ist), ohne dem Vorgesetzten Barroso ins Gehege zu kommen. Was nichts daran ändert, dass Berlin mit dieser Personalie reichlich provinziell auftritt. Für die beiden demnächst zu vergebenden Top-Posten (EU-Ratspräsident und EU-Außenminister) hat man weder eigene Kandidaten noch erkennbare Interessen ins Spiel gebracht. Barroso hat soeben seinen deutschen Pressesprecher Johannes Laitenberger zum Kabinettschef befördert. Für die Leitung des geplanten Diplomatischen Dienstes der EU irrlichtert der Name von Merkels außenpolitischem Berater Christoph Heusgen durch die Szene. Mehr Zug zu EU-Chefsesseln entwickelt Berlin derzeit nicht. Nur einen Spitzenjob haben die Deutschen fest im Auge: Bundesbankchef Axel Weber will und soll in zwei Jahren Präsident der Europäischen Zentralbank werden.