"Merkel entfesselt", titelt die britische Times. Zwischen Hoffnung und Erwartung schwanken die Briten und sezieren verwundert die Wahlergebnisse der Teutonen.
Deutschland bekommt erstmals einen offen homosexuellen Außenminister, rauscht es aufgeregt im britischen Blätterwald. Und überhaupt: Irgendwie, notieren britische Reporter ihre Eindrücke, ist alles so "New Germany".
Das macht Eindruck auf der Insel: Auf dem Münchner Oktoberfest haben Reporter jetzt das erste Bierzelt nur für Homosexuelle entdeckt - man sieht dort Männer in Latex und "Leder, und zwar Ganz-Körper-Outfits, keine Lederhosen", schreibt die Times süffisant. Es ist das perfekte Symbol, um der Insel zuerklären, wie Deutschland im Jahr 2009 fühlt und tickt - und wie modern es offensichtlich trotz seiner so oft veralberten Riskoscheu, Apathie und Spießigkeit sein kann.
In die Anerkennung mischt sich Neugier: Der konservative "Daily Telegraph" beschreibt Guido Westerwelle als einen Mann mit "Dauerbräune, schnittigen Anzügen und einer gut erhaltenen Figur", der sich für einen Auftritt bei der TV-Sendung "Big Brother" nicht zu schade sei. Überhaupt wird ihm Schneid attestiert: Wer als schwuler Politiker in einem Bierzelt auftritt, der kann es gewiss auch mit dem iranischen Präsidenten aufnehmen, oder? Seine Pro-Afghanistan-Haltung nutze zudem den britischen Truppen.
Dass das schlechte SPD-Ergebnis ausgerechnet mit demLabour-Parteitag zusammenfällt, wo Gordon Brown gerade versucht, Partei und Popularitätswerte aufzubauen, gehört wohl zur immerwährenden Pechsträhne des Premierministers. "Trotz gieriger Banker und Boni trauen die Deutschen den Konservativen mehr Wirtschaftskompetenz zu", kommentiert ein Beobachter. "Das verheißt für Labour und die Wahl in Großbritannien 2010 nichts Gutes."
Nur einen Labour-Mann dürfte Merkels Triumph freuen: Tony Blair. "Merkel wäre bei einer Niederlage vermutlich Präsidentin des Europäischen Rates geworden", bloggt Nicholas Watt vom Guardian. "Jetzt kann Blair auf diesen Posten hoffen. Er ist bereits auf Stimmenfang - auch wenn sein Büro behauptet, er sei an dem Job nicht interessiert."
Mrs. Merkels Understatement, ihre sachliche Art der "effizienten Krisenmanagerin", hat den Briten ohnehin schon länger gefallen. Man ist gespannt: "Sie galt immer als Sozialdemokrat im Schafspelz, oder zumindest im Woll-Anzug", heißt es in der "Times", "jetzt kann sie das Gegenteil beweisen." Ohne Fesseln der Großen Koalition, habe sie "mehr Raum, um mutig zu sein, um ihre wahren Instinkte zu zeigen."
Allein Labour-Mann und Ex-Botschafter Tim Collard warnt vor allzu großen Erwartungen an die Dynamik der Teutonen: "Nichts verändert sich jemals in Deutschland, und selbst DAS ändert sich nicht. Während wir über die 48-Stunden-Woche debattieren, bewegt sich Deutschland in der 37-Stunden-Liga. Es wird auch in Zukunft nicht einfacher, jemanden am Freitagnachmittag zu erreichen. Ich liebe dieses Land."
In dem übrigens nicht alles so lahm ist, wie es klingt: "Wie schaffen die Deutschen es eigentlich immer, ihre Stimmzettel noch am gleichen Tag auszuzählen", rätselt ein Online-Leser.