Brüssel. Die EU bekommt einen Präsidenten. Ein ansehnlicher Posten. Doch niemand weiß genau, was der Neue machen soll. Tony Blair und Jean-Claude Juncker sind trotzdem interessiert.
Auf die Arbeitsplatz-Statistik wird es keinen Einfluss haben, dafür ist der Job zu exklusiv. Aber Staats- und Regierungschefs, die eine Anschlussbeschäftigung suchen und noch nicht bei Gasprom unter Vertrag sind, haben jetzt eine zusätzliche Option: Sie können Präsident des Europäischen Rates werden. Ein ansehnlicher Posten. Wenn man nur wüsste, was der oder die zu tun hat.
Es ist nämlich keineswegs so, dass der EU-Präsident sein wird, was die Freunde der italienischen Oper den „Capo di Capi“ nennen. Nach dem Lissabonner Vertrag, der das Amt neu schafft, muss sich der Präsident das Sagen in Europa mit drei weiteren Spitzenfiguren teilen: mit dem Chef der Brüsseler EU-Kommission (derzeit der Portugiese Barroso), mit dem aufgewerteten „EU-Außenminister“ (bislang der Spanier Solana) und dem Präsidenten des Europa-Parlaments (zur Zeit der Deutsche Pöttering).
Fünf Jahre im Amt
Wie das funktionieren soll, weiß bisher keiner genau. Was der künftige EU-Vertrag dazu festlegt, geht zurück auf seinen Vorläufer, die gescheiterte Verfassung. Deren Väter hatten sich eine Idee zu eigen gemacht, die nach den Urhebern (Aznar, Blair, Chirac) „ABC-Vorschlag“ heißt: Der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs wird nicht mehr von einem alle halbe Jahre wechselnden Vorsitzenden aus ihrer Mitte geleitet, sondern von einem Präsidenten, der bis zu fünf Jahren amtiert und kein nationales Amt innehaben darf. Neben dem Gipfel-Management obliegt ihm auf Chefebene die Vertretung der Union nach außen. Mehr ist dem Text nicht zu entnehmen.
Rätselhaft ist bislang, mit welchem Apparat der Präsident ausgestattet werden soll und wie die Kompetenzabgrenzung zum Kommissionschef und zum Außenminister (offiziell: „Hoher Vertreter“, zugleich Vizepräsident der Kommission) praktisch aussieht. Eifersüchteleien sind von der Seite zu erwarten, die abgeben musste: dem Regierungschef der rotierenden Präsidentschaft. Auf Ministerebene (Ausnahme: Außenminister) gibt es die nämlich auch in Zukunft. Das aber heißt: Die Fachminister des Vorsitzlandes können sich weiterhin ein halbes Jahr als Leiter des jeweiligen EU-Kollegiums in Szene setzen. Der Regierungschef und sein Außenminister müssten diese schöne Rolle hingegen dem EU-Präsidenten respektive EU-Außenminister überlassen – auch auf einem Gipfeltreffen, bei dem sie den Gastgeber spielen.
Reges Interesse an dem Posten
Ein Unding, findet etwa der Chef der EU-Sozialisten, SPD-Mann Martin Schulz, der den Regierungen der 27 Mitgliedstaaten vorwirft, ihre Arbeit nicht anständig gemacht zu haben: „Alles ist unklar. Deshalb ist auch die Haltung derer, die sich um dieses Amt bewerben wollen, sehr unklar.“ Das Interesse ist rege und reicht vom Briten Tony Blair über den luxemburgischen EU-Altmeister Jean-Claude Juncker und seinen dänischen Kollegen Anders Fogh Rasmussen bis zum österreichischen Altkanzler Wolfgang Schüssel. Alles allerdings nur gerüchteweise. Aber Juncker hat sich bereits bei Co-Autoren der alten Verfassung schlau gemacht, wie das damals mit dem Präsidenten gemeint gewesen sei.
So, wie es jetzt im Vertrag steht, sagt einer, der dabei war: als „Mischform“ aus der alten rotierenden und der neuen, dauerhaften Präsidentschaft. „Allen war klar: Das ist ein Systembruch.“ Auch ein anderer Verfassungsvater, der SPD-Europaabgeordnete und frühere EP-Präsident Klaus Hänsch, bestätigt, dass die vage Rollendefinition Absicht war. Es sei durchaus vernünftig, Näheres der Praxis, sprich: der Durchsetzungskraft des ersten Präsidenten, zu überlassen. Der EU-Gipfel im Juni, der sich mit dem Thema befassen will, solle bloß nicht zu sehr ins Kleingedruckte gehen. Wen also empfiehlt Hänsch? „Einen kleinen Präsidenten aus einem großen Land oder einen großen aus einem kleinen.“ Was ist besser? „Die zweite Variante.“ Klingt nach Juncker.