Essen. Die Bundesregierung wappnet sich gegen die Schweinegrippe: Die Regierung hat 50 Millionen Impfdosen bestellt. Das Robert-Koch-Institut rechnet mit einem weiteren Ansteigen der Fallzahlen. Politiker diskutieren eine mögliche Absage von Großveranstaltungen wie Fußballspiele.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) rechnet wegen des Urlaubsreiseverkehrs mit einer deutlichen Zunahme der Schweinegrippe-Fälle in Deutschland. RKI-Präsident Jörg Hacker erwartet möglicherweise täglich 400 bis 600 Neuerkrankungen. In den vergangenen drei Tagen sei die Zahl bundesweit um mehr als 1000 auf insgesamt 2844 Fälle stark gestiegen, sagte der RKI-Chef am Freitag in Berlin. Die Zunahme werde hauptsächlich durch Urlaubsrückkehrer verursacht. Der Staatssekretär in Bundesgesundheitsministerium, Klaus Theo Schröder, teilte mit, dass Deutschland 50 Millionen Impfdosen gegen die Infektionskrankheit bestellt hat. Angesichts der Ansteckungsgefahr könnte es nach Einschätzung des SPD-Politikers Gerold Reichenbach bald zur Absage von Großveranstaltungen kommen. Experten widersprachen dem.

Hacker sagte mit Blick auf den sprunghaften Anstieg: «Wir sehen das schon mit einer gewisser Sorge, ohne jetzt in Panik zu verfallen.» Bei einer größeren Verbreitung müsse aber auch in Deutschland mit schweren Verläufen der Krankheit gerechnet werden. Bislang seien fast alle Fälle milde verlaufen. Den Angaben zufolge gab es in Deutschland bislang nur drei Erkrankungen mit einem schweren Verlauf. Derzeit seien 75 bis 80 Prozent der Fälle «importiert». Viele hätten sich im Ausland mit dem Erreger infiziert, vor allem in Spanien. Er hoffe, dass Urlauber jetzt sensibilisiert seien und mehr auf die »unbedingt notwendige Hygiene« achteten.

Impfstoff soll Ende September/Anfang Oktober vorliegen

Schröder geht davon, dass der Impfstoff gegen die Neue Grippe Ende September oder Anfang Oktober vorliegen wird. »Dann kann das Impfen sofort beginnen», sagte er. Thüringen, das gegenwärtig den Vorsitz der Gesundheitsministerkonferenz hat, brachte am Freitag nach abschließenden Gesprächen zwischen Bund und Ländern eine entsprechende Bestellung auf den Weg. Damit folgten die Gesundheitsminister den entsprechenden Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Nach Angaben des Thüringer Gesundheitsministeriums hat die WHO als Vorsorgemaßnahme dazu geraten, zunächst besondere Personengruppen, wie Menschen mit chronischen Krankheiten oder Beschäftigte im Gesundheitswesen zu impfen. Diese Personengruppen umfassten rund 30 Prozent der Bevölkerung in Deutschland. Gegenwärtig befinde sich der Entwurf einer Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums zwischen Bund und Ländern in der Abstimmung, in der die Leistungspflicht der Krankenkassen sowie weitere Einzelheiten geregelt würden.

Option auf den Kauf weiterer Dosen

Dem Ministerium zufolge besteht die Option zum Kauf weiterer Dosen, um gegebenenfalls die gesamte Bevölkerung impfen zu können. Die 50 Millionen Dosen kosteten rund 700 Millionen Euro. Für eine bundesweite Impfung müssten laut Ministerium insgesamt zwei Milliarden Euro aufgewendet werden.

Der Katastrophenschutzexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Reichenbach, forderte unterdessen, «wenn das Virus noch gefährlicher wird und die Ansteckungsrate nach oben geht, müssen Großveranstaltungen wie Fußballspiele abgesagt werden». Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) widersprach: «Das zeichnet sich derzeit nicht ab." Ob diese Einschätzung auch noch im Oktober gelte, könne heute niemand voraussehen. Auch RKI-Chef Hacker sieht keinen Grund, wegen der Schweinegrippe in nächster Zeit Großveranstaltungen abzusagen.

Keine Prioritätenliste bei der Impfung

Politiker von CDU und CSU sprachen sich indese für eine Prioritätenliste zur Impfung gegen die sogenannte Schweinegrippe aus. Der CSU-Innenexperte Stephan Mayer sagte: «Neben gesundheitlich angegriffenen und älteren Menschen müssen auch Strafgefangene bevorzugt geimpft werden. Nur so kann verhindert werden, dass gefährliche Täter im Krankenhaus von Polizisten teuer bewacht werden müssen.» Der CDU-Sozialexperte Gerald Weiß erklärte, für ihn stehe der Schutz der am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen wie Rentner, schwangere Frauen und Kinder im Vordergrund.

200 neue Fälle in NRW

Die Schweinegrippe breitet sich in Nordrhein-Westfalen immer weiter aus. Innerhalb eines Tages sind wieder rund 200 neue Fälle von Schweinegrippe registriert worden, wie eine Sprecherin des Landesinstituts für Gesundheit und Arbeit in Münster auf Anfrage mitteilte. Die Zahl der gemeldeten Fälle seit Bekanntwerden der Krankheit lag damit am Freitag bei 1391. Seit Wochenbeginn hat sich die Zahl der registrierten Erkrankten somit mehr als verdoppelt. Drei Viertel aller betroffenen Bürger haben sich den Angaben zufolge inzwischen im Ausland angesteckt.

Am stärksten betroffen von der Schweinegrippe seien weiterhin die Regierungsbezirke Düsseldorf, Detmold und Köln. Die Schweinegrippe ist den Angaben zufolge inzwischen in allen Regionen des Landes vertreten. Wegen des enormen Meldeaufkommens seien die Gesundheitsämter im Land an die Grenzen ihrer Belastbarkeit geraten. Daher werde derzeit über weitere Möglichkeiten bei der Erfassung der Schweinegrippe-Patienten nachgedacht, sagte die Sprecherin. (ddp)