Berlin. . Wenn am Sonntag in Bremen die Bürgerschaft neu gewählt wird, dürfen auch 16-Jährige ihre Stimme abgeben. Auf Landesebene ist das eine Premiere. Wählen mitten in der Pubertät – geht das gut? Fragen und Antworten zum seit Jahren diskutierten Thema.

Schon die Werbung mutet jugendlich an: „Gib mir fünf!“ Geworben wird in Bremen für das neue Wahlrecht mit fünf Stimmen. Der Stimmzettel ist - ein Heft. Neue Seiten schlagen die Bremer am Sonntag zudem mit dem Wahlalter auf: Es wird von 18 auf 16 Jahre abgesenkt. Die jungen Leute dürfen wählen, allerdings nicht selbst gewählt werden.

Auf kommunaler Ebene ist es in fünf Ländern möglich, darunter in NRW. Die grün-rote Koalition in Baden-Württemberg schrieb sich das Projekt auf ihre Fahnen. Auf Landesebene wurde es zuletzt für die Wahl des Berliner Senats verworfen, sodass die Premiere den Bremern zusteht. Dabei wird der Urnengang an der Weser zur Feldstudie, zum Pilotprojekt. Noch in der Pubertät, aber schon wählen? Geht das gut?

Mehr Mitsprache für Jugendliche

Was spricht für das Wahlalter 16? Darauf gibt es zwei Antworten, die des Politikers und die des Wissenschaftlers. Die treibende Kraft sind die Grünen, die in den letzten Jahren mehrere Anläufe unternahmen, das Alter gar für Bundestags- und Europawahlen zu senken. Der Abgeordnete Kai Gehring aus Essen erklärt seine Beweggründe: „Unsere alternde Gesellschaft braucht mehr Mitsprache für Jugendliche“, sagte er unserer Zeitung. Sie seien heute so selbständig, dass „wir ihnen die Wahlentscheidung zutrauen.“ Er gibt zu bedenken, „wählen muss aber mit mehr politischer Bildung einhergehen.“

Wann hat ein Mensch die intellektuelle und soziale Kompetenz, eine politische Wahl einzuschätzen? Die ist nach Ansicht von Klaus Hurrelmann „eindeutig früher als mit 18 Jahren gebeben“, sagte er der Taz. In der Schule und durch die Medien würden junge Leute früher mit Themen des politischen Lebens konfrontiert. Die Geschlechtsreife, also die Pubertät, sei im Laufe der Zeit vorverlagert worden. Von 1900 bis heute sei sie um drei Jahre nach vorne gewandert. Nach seinen Worten hört die Kindheit nicht schon mit 15 oder 16 auf, sondern mit zwölf, dreizehn.

Erst mit 18 ist man uneingeschränkt geschäftsfähig

Was spricht gegen ein früheres Wahlrecht? Die Rechtspolitiker in der Union, FDP und SPD haben bei den Debatten im Bundestag stets mit der Volljährigkeit argumentiert. Mit 18 wird man völljährig, mit allen Rechten und Pflichten, ist erst dann auch uneingeschränkt geschäftsfähig.

Was hat die Bremer motiviert? Beschlossen wurde es im Oktober 2009, und damals begründete man es gerade mit dem Signalcharakter. Erstens, Jugendliche sollten nicht nur als „Problempotenzial“ angesehen werden. Zweitens erhofft man sich eine erhöhte Identifikation mit dem demokratischen System. Außerdem betreffen wichtige Fragen - Klimawandel, demografische Entwicklung, Schulpolitik - junge Leute besonders. Bei Bremen sollte man unbedingt noch die Verschuldung hinzufügen: Wer bezahlt die Schulden? Eben.

Die Wahl als pädagogisches Projekt?

Eine Wahl als pädagogisches Projekt? Das Wahlrecht erfordert politische Bildung, es ersetzt sie nicht, erwidern die Skeptiker. „Wer Wahlen als Aufputschmittel für Jugendliche betrachtet, verwechselt sie mit Coca Cola“, schrieb mal ein Wissenschaftler 1996; ein Bonmot, was noch heute in Debatten zum Besten gegeben wird.

Wie groß ist der Einfluss der Erstwähler? Eher gering, sagt Forsa-Chef Manfred Güllner. Im Stadtstadt geht es um 10.000 Erstwähler. Aus Umfragen weiß man, dass eine knappe Mehrheit der 16- und 17-Jährigen nicht wählen will. Bei einer simulierten Wahl unter 127.000 Kindern und Jugendlichen blieben extreme Parteien übrigens erfolglos, berichtet Wolfgang Gründiger von der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. Grüne, SPD und CDU bekamen je 20 Prozent, die Linke zehn, die Piratenpartei neun, die FDP acht Prozent.