Die USA diskutieren über die Veröffentlichung von Bildern des getöteten bin Laden. Präsident Obama hat entschieden, dass es nicht geschehen soll. Aber es ist kaum zu glauben, dass die Fotos unter der Decke zu halten sein werden.
Dass die USA zögern, ein Foto des getöteten Osama bin Laden zu veröffentlichen, kann eigentlich nur eines heißen: Sie bilden (bislang) irgendetwas ab, das den strategischen Absichten der US-Administration in die Quere kommt. Die Grausamkeit allein wird es nicht sein, das Bild kann ja kaum brutaler ausfallen als die Aktion selbst; weder CIA noch die US-Army sind als Vorreiter für Zimperlichkeit und Feingefühl bekannt. Warum plädiert ein mächtiger Mann wie CIA-Chef Leon Panetta für die Veröffentlichung eines Fotos – und es ist bisher noch nicht passiert?
Barack Obama will die Bilder nicht veröffentlichen – und doch ist kaum zu glauben, dass sie über kurz oder lang unter der Decke zu halten sein werden. Dazu haben schon zu viele Leute sie gesehen. Irgendwer wird dem Wikileaks-Impuls nicht widerstehen können und die Bilder lancieren. Aber je länger es dauert, desto stärker wird der Verdacht, dass es so lange gedauert hat, weil die Zeit für eine sorgfältige Manipulation der Bilder gebraucht wurde.
Amerikaner bislang nicht zimperlich
Die möglichst schnelle Veröffentlichung hätte am ehesten den unweigerlich aufkeimenden Verschwörungstheorien den Boden entzogen. Die Aufnahmen seien „grauenvoll“, sagte Obamas-Sprecher Jay Carney, aber wer würde denn eigentlich etwas anderes erwarten? Obamas Anti-Terror-Berater John Brennan hatte eine Veröffentlichung nicht ausgeschlossen, um Zweifel am Tod des mutmaßlichen Hauptverantwortlichen für die Anschläge vom 11. September 2001 auszuräumen. Auch Videomaterial von der Kommandoaktion und Bilder des Seebegräbnisses könnten gezeigt werden.
Dass es bislang noch nicht geschehen ist, spricht vor allem dafür, dass die Aufnahmen nicht den propagandistischen Absichten der Amerikaner genügen. Als sie seinerzeit Saddam Hussein aus dem Erdloch gezogen hatten, in dem sich der Diktator versteckt hatte, sendeten sie die Bilder von einem alten Mann mit Vollbart und wirrem Haar in die Welt, und wie ihm ein Arzt die Mundhöhle ausleuchtete. Als die Army in Bagdad einmarschiert war, markierte der Abriss des Saddam-Denkmals den militärischen Triumph; doch erst die Obdachlosen-Bilder von Saddam ließen den Mythos des Diktators als Überlebenskünstler in Kriegen und Machtkämpfen zerbröseln. Vor allem von Irak bis Marokko.
Zweifel am Tod
Gerade in der arabischen Welt, die Al Dschasira, Al Arabia und Internet längst weit mehr glaubt als jeder offiziellen Regierungs-Verlautbarung, sind Bilder dieser Art noch wichtiger als irgendwo sonst auf dem durchmedialisierten Globus. Die Menschen der arabischen Hemisphäre neigen immer noch zu Zweifeln am Tod des El-Kaida-Chefs. Den Krieg der Bilder hatte nämlich bislang Osama bin Laden gewonnen: Die Foto-Ikonografie des 21. Jahrhunderts ist zutiefst geprägt von den Augenblicken, in denen die von bin Laden kommandierten Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers rasen.
Obama sah dem Einsatz zu
Bin Laden ergänzte diese fast schon ikonografische Handschrift seiner Macht ein ums andere Mal, wenn er wieder eine Videobotschaft in die Welt sandte. Was er da sagte, war egal, die Botschaft der Bilder war die einer herausgestreckten Zunge, ein digitales „Ihr Versager kriegt mich ja doch nicht!“ Das einzige Mittel gegen diese Art von bösem Spuk wäre ein Foto vom toten bin Laden.
Prompt kursierte nur wenige Stunden, nachdem US-Präsident Obama den Tod des meistgesuchten Mannes der Welt verkündete, ein gruseliges Bild von der angeblichen Leiche Osama bin Ladens in Fernseh- und Online-Medien: ein zerschundenes Gesicht, das so viel Ähnlichkeit mit dem El-Kaida-Chef aufwies, dass nicht nur der pakistanische Sender Express TV, sondern auch andere Medien glaubten, es handele sich um ein authentisches Foto. Die Gier nach Bildern ist so groß, dass kritisch Nachfragen im Zweifelsfall gerne hintangestellt werden.
Fälschungen kursieren bereits
Dasselbe digitale Zeitalter aber, das es leichter denn je macht, Bilder zu fälschen, hat – durch das Internet – dafür gesorgt, dass das angebliche Foto vom Leichnam bin Ladens als Fälschung enttarnt wurde, die schon seit einiger Zeit im Internet kursiert. „Spiegel Online“ demonstrierte sogar, wie ein bin-Laden-Porträt von 1998 und ein Leichenfoto pixelweise zu der Fälschung zusammengemischt wurden.
Im 20. und 21. Jahrhundert, in der bilderreichsten Epoche aller Zeiten, ist kein Krieg gewonnen, solange nicht auch der Krieg um die Bilder gewonnen ist. Das war vielleicht auch früher schon so, wenn Albrecht Altdorfer Schlachten auf die Leinwand warf, wenn Jacques Louis David Napoleon beim Überqueren der Alpen verherrlichte oder Goya seine Opfer zeigte. Aber die Menge der Bilder war weit geringer und der Krieg darum leichter zu gewinnen.
Selbst am Ende des Zweiten Weltkriegs reichte es noch, auf Iwo Jima die Szene nachzustellen, in der Marines das Sternenbanner aufrichten, um den Sieg der Amerikaner gegen die Japaner im Zweiten Weltkrieg abzurunden. Im Ausnahmefall Vietnam war es umgekehrt: Nicht zuletzt die anklagende Aufnahme des vor Napalmbomben fliehenden Mädchens Phan Thi Kim Phúc ließ den Rückhalt der US-Truppen in der Heimat dahinschmelzen. Seither achten die Militärs sorgfältig darauf, die Kontrolle über den Krieg der Bilder nicht mehr zu verlieren. Die letzte Niederlage hieß Abu Ghreib. Umso seltsamer, dass die Amerikaner noch zögern, die offenbar existierenden Fotos von Osama bin Ladens Leiche zu veröffentlichen.