Washington. .
Ein Foto der Leiche von Osama bin Laden sollte veröffentlicht werden, meint CIA-Chef Leon Panetta – nicht zuletzt, um Verschwörungstheorien entgegenzutreten. Washington fürchtet allerdings die Reaktionen der islamischen Welt.
Das verstümmelte, blutige Gesicht mit dichtem Bart hätte dem toten Osama bin Laden gehören können. Mehrere pakistanische Fernsehsender zeigten dieses Bild, als der El-Kaida-Chef von einem US-Kommando erschossen wurde. Kurz darauf mussten die Sender zurückrudern - sie waren einer Fälschung aufgesessen. Der Wunsch nach Beweisen für den Tod des meistgesuchten Terroristen der Welt ist groß, doch die USA halten sich zurück. Schon sind Verschwörungstheoretiker am Werk, die Lücken mit kruden Erklärungen zu füllen.
Im Weißen Haus diskutierten Mitarbeiter von Präsident Barack Obama, ob sie Fotos des toten bin Laden veröffentlichen sollten. Angesichts der Spekulationen hat sich CIA-Chef Leon Panetta für die Veröffentlichung eines Fotos ausgesprochen. „Ich denke, wir sollten dem Rest der Welt zeigen, dass wir in der Lage waren, ihn zu stellen und zu töten“, sagte Panetta, die Entscheidung liege aber beim Weißen Haus. Die Bilder des in den Kopf geschossenen El-Kaida-Chefs seien „grauenvoll“, sagte Sprecher Jay Carney. Obamas Anti-Terror-Berater John Brennan hatte zuvor eine Veröffentlichung nicht ausgeschlossen, um Zweifel am Tod des Drahtziehers der Anschläge vom 11. September 2001 auszuräumen. Auch Videomaterial von der Kommandoaktion und Bilder des Seebegräbnisses könnten gezeigt werden.
Die US-Regierung steht vor einem Dilemma: Einerseits verlangt die Welt nach Klarheit, andererseits fürchtet sich Washington vor den Reaktionen in der islamischen Welt. Dabei griffen die USA bereits öfter zum Foto als Beweismittel für das Ableben von Erzfeinden: Während des Irakkriegs veröffentlichten sie 2003 Bilder von Saddam Husseins getöteten Söhnen Udai und Kusai. Im Juni 2006 zeigte das US-Militär Fotos des bei einem Bombenangriff umgekommenen irakischen El-Kaida-Chefs Abu Mussab el Sarkawi. Ein Bild vom gehängten Saddam Hussein sickerte im Januar 2007 ebenfalls durch, auch wenn die damalige US-Regierung sich darüber unglücklich zeigte.
Obama sah dem Einsatz zu
„Es wird einige Tumulte um die Frage geben, ob bin Laden wirklich tot ist“
Das Weiße Haus sagt, bin Laden sei eindeutig identifiziert worden: Vor Ort nach dem Feuergefecht, mit einer ausgeklügelten Fotoerkennungstechnik, schließlich zu 99,9 Prozent per DNA-Test. Doch selbst wenn die US-Regierung dies alles veröffentlichen würde - ganz unterbinden wird sie die Spekulationen ohnehin nicht können.
„Es wird einige Tumulte um die Frage geben, ob bin Laden wirklich tot ist“, sagt Robert Alan Goldberg, der ein Buch über Verschwörungstheorien in den USA geschrieben hat. Der Geschichtsprofessor der Universität Utah rechnet damit, dass sich einige Menschen zu Wort melden werden, die den El-Kaida-Chef gesehen haben wollen. Nicht zu vergessen seien Anhänger von 9/11-Verschwörungstheorien, die behaupten, bin Laden habe als Geheimagent für die CIA gearbeitet.
Die afghanischen Taliban zogen bin Ladens Tod in einer Erklärung im Internet bereits in Zweifel. Die Beweise der USA seien nicht überzeugend, heißt es. Die Taliban haben ein politisches Interesse, Spekulationen über das Schicksal des Terroristenführers anzuheizen. Viele Verschwörungstheoretiker hegen staatlichen Autoritäten gegenüber aber ein grundsätzliches Misstrauen und weisen deshalb die offizielle Darstellung der Realität zurück.
Osama bin Laden ist tot
Im Informationsvakuum entstehen Spekulationen
Der oberste Verschwörungstheoretiker der USA, Moderator Glenn Beck, torpedierte die Meldung vom Tod bin Ladens mit vielsagenden Fragen: War die Kommandoaktion nur Show? Ging es Obama um die Umfragewerte? US-Radiomoderator Alex Jones stellte die gewagte These auf, dass die US-Regierung bin Laden bereits seit Jahren als gefrorene Leiche im Tiefkühlfach aufbewahrt. Auf dem sozialen Online-Netzwerk Facebook entstanden dutzende Gruppen, in denen sich Zweifler der offiziellen US-Version zusammenfanden und Weltgeschichte aus einer recht ungewohnten Perspektive debattierten.
„Wenn es ein Informationsvakuum gibt, fangen die Leute an, zu spekulieren“, sagt Barna Donavan, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität St. Peter in New Jersey. Als er gehört habe, dass die Leiche bin Ladens im Ozean versenkt wurde, sei ihm klar gewesen, dass nun Verschwörungstheorien die Runde machen würden. Damit kann die US-Regierung aber offenbar besser leben als mit einem Grab Bin Ladens, das zur Pilgerstätte werden könnte.