Kairo. .

Eyal Zisser (60) ist Professor für Geschichte des Nahen Ostens und Afrika an der Universität von Tel Aviv und war lange Jahre Direktor des Moshe Dayan Zentrums in Tel Aviv. Er gilt weltweit als einer der besten Kenner Syriens. Seine politischen Biografien über Vater Hafiz al-Assad und Sohn Bashar al-Assad sind wissenschaftliche Standardwerke.

Syriens Präsident Bashar al-Assad hat Panzer und Soldaten in die Stadt Daraa geschickt. Fast 400 Demonstranten sind bislang auf den Straßen gestorben. Wird das Regime seine Macht retten können?

Eyal Zisser: Ich habe meine Zweifel, auch wenn es darauf derzeit keine klare Antwort gibt. Wir leben allerdings nicht mehr in den achtziger Jahren, als Bashars Vater Hafiz al-Assad seine Armee nach Hama schickte und den dortigen Aufstand mit tausenden Toten blutig unterdrückte. Heute gibt es Internet und Al Jazeera, so ein brutales Massaker kann nicht noch einmal – wie damals - vor der Weltöffentlichkeit und der eigenen Bevölkerung verborgen werden. Allerdings hat sich die Mehrheit der Bevölkerung, vor allem in den großen Städten Damaskus und Aleppo, bisher nicht den Demonstrationen angeschlossen. Sie sitzt am Rand und wartet ab. Wenn sie sich entschließt mitzumachen, ist das Regime am Ende. Aber das ist bisher nicht der Fall.

Waren Sie überrascht von dem Aufstand der syrischen Bevölkerung?

Die Lage schien ruhig und stabil. Gleichzeitig wussten wir alle, dass die gesamte Region ihre diktatorischen Regime satt hat. Insofern waren die Demonstrationen in Syrien nicht total unerwartet.

Kann Assad die Lage durch politische Kompromisse oder Reformangebote noch in den Griff bekommen?

Zisser: Ich glaube nicht, dass dies noch funktioniert. Die jetzige Lage in Syrien ist vergleichbar mit der in Ägypten Anfang März, als Hosni Mubarak dem Volk einige politische Konzessionen angeboten hatte. Den Demonstranten aber geht es längst nicht mehr um einzelne Reformen, es geht ihnen um den Sturz des Regimes. Bashar al-Assad ist nicht Teil der Lösung, Bashar ist Teil des Problems – nicht er persönlich, sein ganzes Machtsystem. Ein derartiges Regime ist nicht reformierbar.

Welche Optionen bleiben Assad dann?

Zisser. Die Proteste mit Gewalt zu unterdrücken.

Kann er sich dabei auf das Militär verlassen?

Zisser. Syrien ist nicht Ägypten. In Syrien steht die Armee eindeutig hinter dem Präsidenten, er kann sich voll auf das Militär stützen – jedenfalls bislang. Einer der wichtigsten Befehlshaber ist sein Bruder, Maher al-Assad. Die alte politische Garde von Vater Hafiz dagegen spielt bei den Entscheidungen der heutigen Führung keine Rolle mehr. Assad hat sich inzwischen komplett mit Leuten seines Vertrauens umgeben. Alles, was geschieht, ist Bashar pur.

Wie werden sich die einfachen Soldaten verhalten?

Zisser. Das kann momentan niemand sagen. Bisher aber ist nicht erkennbar, dass Wehrpflichtige Befehle verweigern.

Welche Folgen hätte ein Sturz des Baath-Regimes für den Nahen und Mittleren Osten?

Zisser. Es wäre ein schwerer Schlag für den Iran, auch für die Radikalen in der Region. Ein Ende Assads bedeutet gleichzeitig aber auch eine Bedrohung der Stabilität – zumindest für eine gewisse Zeit. Unter dem Strich jedoch bin ich optimistisch.