Kairo/Damaskus. . Die Proteste gegen die Dikatur in Syrien nehmen an Schärfe zu. Kritik am Regime wird erbarmungslos verfolgt, doch der Wunsch nach Freiheit vieler Syrer ist nun größer als die Furcht. „Freiheit, Freiheit“ heißt es überall im Land.

Vor zwei Monaten noch gab er sich unerschütterlich: Syrien habe größere Probleme als viele arabische Nachbarn, sei aber deutlich stabiler. Grund dafür sei die enge Bindung seiner Führung „an die Überzeugungen des Volkes“. Gebe es einen Riss zwischen offizieller Politik und den Interessen des Volkes, entstehe jenes Vakuum, das Unruhen erzeuge, dozierte Syriens Präsident Bashar Assad im Interview mit dem „Wall Street Journal“.

Doch seit vier Wochen stehen auch in Syrien die Zeichen auf Sturm. Die Protestbewegung wird immer größer, ihre Forderungen immer radikaler. Verlangten Demonstranten zunächst Reformen, Arbeitsplätze und bessere Gehälter, wollen sie heute den Sturz des Regimes. „Freiheit, Freiheit“ heißt es überall im Land und „Assad, geh nach Hause!“

Regime schlägt zurück

Das Regime reagiert mit einer Mischung aus Härte und wenigen politischen Konzessionen. Auch Syriens Staatschef ließ sofort auf friedliche Demonstranten schießen, mehr als 220 Bürger starben. Zugleich sicherte er im Fernsehen das Ende des seit 1963 geltenden Ausnahmezustands zu, den er am Gründonnerstag per Dekret aufhob. Abgeschafft wurde der berüchtigte Sondergerichtshof, der tausende politische Gefangene zu langen Haftstrafen verurteilte.

Ein drittes Dekret lässt ab sofort friedliche Demonstrationen zu, wie sie „die syrische Verfassung garantiert“. Doch Assads Geheimagenten schwärmen weiter aus, um Regimekritiker zu verhaften. Weitere Reformen wie Pressefreiheit oder das Ende des Ein-Parteien-Systems versprach der Präsident zu prüfen, ohne sich aber konkret festzulegen.

Seit elf Jahren ist Bashar Assad (45) an der Macht. Am 10. Juli 2000 wurde er mit 97,29 Prozent der Stimmen zum Staatschef Syriens gekürt und vereidigt – die erste Vater-Sohn-Machtfolge in einer arabischen Republik. Trotz einiger Reformen blieb Syrien der härteste Polizeistaat der Region. Vater Hafiz Assad hatte ihn in 30 Jahren Diktatur geschaffen. 1982 schlug er einen Aufstand der Muslimbruderschaft in Hama mit Soldaten nieder, 20 000 Menschen starben. Das Massaker ist bis heute unvergessen.

International isoliert

Sohn Bashar studierte nach dem Abitur Augenheilkunde, ging 1992 ans Saint Mary’s Hospital in London, wo er seine Frau Asma kennenlernte. Beide haben drei Kinder. Zurück in Damaskus und in den Fußstapfen des Vaters lernte er schnell. Nach dem 11. September 2001, dem Sturz Saddam Husseins und der US-Invasion 2003 sah sich Syrien mit Iran und Nord­korea zum Schurkenstaat gestempelt. Nach dem Attentat 2005 auf Rafik Hariri, Ex-Premier des Libanon, war das Land international isoliert. Trotzdem begann Syrien unter türkischer Vermittlung indirekte Friedensgespräche mit Israel, die seit dem Gaza-Krieg 2008 auf Eis liegen.

Seit drei Jahren ist Syrien international wieder hoffähig. Staatsgäste aus den USA und Europa suchen den Kontakt, ausländische Investoren haben das Land als lukrativen Markt entdeckt. Schicke Restaurants, Hotels und modische Boutiquen schmücken die Hauptstadt. Limousinen aus japanischer und deutscher Produktion fahren in den Straßen von Damaskus.

Allgegenwärtiger Geheimdienst

Assad erlaubte ausländische Banken, Importe und private Universitäten, förderte den privaten Wohnungsbau, ohne sein Land aber politisch zu öffnen. Der Geheimdienst blieb stets allgegenwärtig.

Die kurze liberale Phase des „Damaszener Frühlings“ nach dem Thronwechsel endete bald mit der Verhaftung vieler Protagonisten. Die hatten schon damals ein Ende des Ausnahmezustands gefordert, die Abschaffung der Sonder­gerichte und die Freilassung aller politischen Gefangenen. Doch Kritik am Regime wurde erbarmungslos verfolgt und bestraft. Das Internet war zensiert, eine freie Presse existierte ebenso wenig wie eine aktive Zivilgesellschaft.

Politische Diskussionen blieben tabu. Öffentliche Kritik an der Korruption oder das Murren über die wachsende Armut unter den 20 Millionen Einwohnern führten direkt ins Gefängnis.

Heute ist der Mut der Syrer größer als ihrer Furcht. Nach dem letzten Freitagsgebet gingen wieder Zehntausende auf der Straße, um das Ende des Regimes zu fordern – es waren mehr Menschen als je zuvor.