Kairo. .

Der libysche Staatschef Muammar al Gaddafi will die Protestbewegung in seinem Land weiter bekämpfen und notfalls als Märtyrer sterben. In Libyen macht sich derweil Endzeitstimmung breit.

Der libysche Staatschef Muammar al Gaddafi will die Protestbewegung in seinem Land weiter bekämpfen. Er werde notfalls als "Märtyrer" sterben, sagte er am Dienstag in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Ansprache. Seine Anhänger rief er auf, die Straßen von den Demonstranten zurückzuerobern.

Er wolle in seiner Funktion als "Revolutionsführer" weiterhin im Land bleiben. "Muammar Gaddafi hat keinen offiziellen Posten, von dem er zurücktreten könnte", sagte er. "Muammar Gaddafi ist Revolutionsführer", fügte er mit Blick auf die Forderungen nach seinem Rücktritt hinzu. "Das ist mein Land, das Land meiner Eltern und Vorfahren."

Es war eine wütende Rede, in deren Verlauf er immer wieder seine Faust schüttelte. Gekleidet war Gaddafi in ein braunes Gewand und Turban. Er sprach vor einem ausgebombten Gebäude, bei dem es sich um seine frühere Residenz handeln könnte, die bei einem US-Luftangriff in den 80er Jahren getroffen wurde und seitdem als Mahnmal dient.

Der Staatschef äußerte sich nach Angaben des Staatsfernsehens damit erstmals seit dem Beginn der Proteste in seinem Land in einer Live-Übertragung. Zuletzt hatte es Spekulationen gegeben, Gaddafi habe bereits das Land verlassen. Bei dem gewaltsamen Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Regierungsgegner in Libyen wurden nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten seit dem 15. Februar mehrere hundert Menschen getötet.

Innenminister soll sich von Gaddafi losgesagt haben

Der libysche Innenminister Abdel Fattah Junes al Abidi hat sich einem Fernsehbericht zufolge von Muammar Gaddafi losgesagt und unterstützt die "Revolution des 17. Februar". In einem von dem Sender Al-Dschasira am Dienstag verbreiteten Amateurvideo appellierte der Minister zugleich an die Armee, sich auf die Seite des Volkes zu stellen und auf dessen legitime Forderungen einzugehen.

Mit der immer weiter zerbröckelnden Macht Gaddafis verlassen ihn auch immer mehr frühere Angehörige des Herrschaftsapparats. Zahlreiche Spitzendiplomaten brachen mit dem Machthaber. Der Justizminister reichte seinen Rücktritt ein. Eine Gruppe von Armeeoffizieren rief die Soldaten dazu auf, sich auf die Seite des Volks zu schlagen. Zwei Militärpiloten landeten ihre Kampfflugzeuge auf der Mittelmeerinsel Malta.

Leichen und Gewalt - Endzeitstimmung in Libyen

In Libyen macht sich derweil Endzeitstimmung breit. Angesichts der gewaltsamen Unruhen haben zahlreiche Länder in dramatischen Rettungsaktionen versucht, ihre Staatsangehörigen aus dem Land zu holen. Die Bundesregierung entsandte am Dienstag eine Linienmaschine und zwei Bundeswehr-Flugzeuge, um Deutsche in Sicherheit zu bringen. Die chaotischen Zustände in dem nordafrikanischen Land verhinderten aber die Ausreise zahlreicher Ausländer.

Muammar Gaddafi während eines bizarren Kurzauftritts im Staatsfernsehen. Foto: Reuters
Muammar Gaddafi während eines bizarren Kurzauftritts im Staatsfernsehen. Foto: Reuters © Reuters

Die deutsche Botschaft in Tripolis und der Krisenstab arbeiteten mit „Hochdruck“ daran, den noch in Libyen verbliebenen Deutschen bei der Ausreise zu helfen, sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) in Berlin. Es würden auch weitere Möglichkeiten der Ausreise geprüft, unter anderem der Seeweg.

Westerwelle rief alle sich in Libyen aufhaltenden Deutschen auf, das Land zu verlassen. „Wir hören, dass einige bleiben und abwarten möchten“, sagte Westerwelle. Es solle aber „in der jetzigen Situation jede Möglichkeit der Ausreise“ genutzt werden. Bereits am Sonntag hatte das Auswärtige Amt eine Reisewarnung für Libyen herausgegeben. Am Montag wurden rund 100 Deutsche mit einer Lufthansa-Maschine aus Libyen ausgeflogen.

Nach UN-Angaben mindestens 250 Tote im Land

Augenzeugen berichteten am Dienstag von einem immer brutaleren Vorgehen bewaffneter Truppen Gaddafis gegen die Protestbewegung in der Hauptstadt. Nach UN-Angaben gab es mindestens 250 Tote im Land, Beobachter gehen allerdings von einer weit höheren Zahl aus.

Bei den Milizen handelt es sich dem Vernehmen nach um libysche Gefolgsleute Gaddafis und ausländische Söldner. Diese hätten im dem Armenviertel Faschlum, einer Hochburg der Opposition, die ganze Nacht Angst und Schrecken verbreitet und auf „jeden, der sich bewegt“ mit scharfer Munition geschossen, berichtete ein Bewohner der Nachrichtenagentur AP.

„In den Straßen liegen Leichen. Wer verletzt ist und blutet, kann keine Klinik und keinen Krankenwagen finden, um gerettet zu werden“, sagte der Informant, der am Montagabend aus dem Viertel floh. „Niemand darf mehr dort hinein, und falls doch jemand reinkommt, wird er erschossen.“

Ein anderer Anwohner berichte, dass Spezialeinheiten die Straßen kontrollierten und auf den Dächern postiert seien. „Das Leben ist gelähmt. Verwundete können nicht mehr ins Krankenhaus. Niemand kann mehr auf die Straßen.“

Der Oppositionsaktivist Mohammed Ali sagte, Gaddafi-Anhänger hätten auf Krankenwagen geschossen. Einige Demonstranten seien auf den Straßen verblutet. Ali sagte in Dubai, die Bewohner von Tripolis hätten am Dienstag ihre Häuser nicht verlassen. Zuvor hätten die Anhänger Gaddafis gewarnt, dass jeder auf den Straßen erschossen werde.

Westliche Medien können derzeit nicht direkt aus Libyen berichten. Die Angaben konnten von unabhängiger Seite nicht bestätigt werden.

Auftritt mit Regenschirm

In der Nacht zum Dienstag hatte sich Gaddafi erstmals seit Beginn der Unruhen öffentlich zu Wort gemeldet. In einem bizarren Kurzauftritt im Staatsfernsehen zeigte er sich auf dem Beifahrersitz eines offenbar vor seinem Wohnsitz stehenden Autos mit einem aus der geöffneten Tür gereckten aufgespannten Regenschirm. In dem nicht einmal einminütigen Auftritt trat der 68-Jährige Gerüchten entgegen, wonach er nach Venezuela geflüchtet sein soll.

Er habe eigentlich seine Anhänger auf dem Grünen Platz besuchen wollen, dann habe ihn aber der Regen davon abgehalten, sagte Gaddafi weiter. „Ich bin hier, um zu zeigen, dass ich in Tripolis bin und nicht in Venezuela“, erklärte er. „Glaubt diesen irreführenden Hundesendern nicht.“

Höhenflug des Ölpreises wegen Libyen-Krise

Unterdessen lässt die Krise in Libyen den Ölpreis weiter klettern. Der Preis für ein Barrel (159 Liter) der für Europa wichtigsten Sorte Brent stieg in London am Dienstag um 1,26 Dollar auf 107 Dollar, den höchsten Preis seit mindestens zweieinhalb Jahren. In Singapur kletterte der Preis für ein Barrel der wichtigsten US-Sorte um 7,34 Dollar auf 93,54 Dollar.

Libyen ist einer der größten Erdölproduzenten der Welt und hat mit 5,7 Milliarden Tonnen die größten nachgewiesenen Reserven in ganz Afrika.

Ausländische Ölfirmen haben wegen der politischen Unruhen bereits Personal evakuiert. Auch deutsche Öl- und Gasfirmen wie DEA oder Wintershall sind in dem Mittelmeerland. Der spanische Ölkonzern Repsol stellte am Dienstag seine Arbeit in Libyen ein.

Muammar al Gaddafi

Auf den Straßen von Bengasi...
Auf den Straßen von Bengasi...
...feiern die Menschen den Einzug...
...feiern die Menschen den Einzug...
... der libyschen Rebellen nach Tripolis. Viele der feiernden Menschen...
... der libyschen Rebellen nach Tripolis. Viele der feiernden Menschen...
... dürften den gleichen Wunsch haben: Diese Männer bringen ihn mit einem selbst gemalten Plakat deutlich zur Geltung. 42 Jahre...
... dürften den gleichen Wunsch haben: Diese Männer bringen ihn mit einem selbst gemalten Plakat deutlich zur Geltung. 42 Jahre...
... Regierungszeit machten  Muammar al Gaddafi zu Afrikas dienstältestem Herrscher, er selbst nannte sich deshalb den
... Regierungszeit machten Muammar al Gaddafi zu Afrikas dienstältestem Herrscher, er selbst nannte sich deshalb den "König der afrikanischen Könige". Oberst Gaddafi, nach eigenen Worten 1942 in einem Beduinenstamm ... © AP/Sergei Grits
... in der Wüste nahe der Stadt Surt geboren, putschte sich im September 1969 unblutig an die Macht und rief wenige Jahre später den
... in der Wüste nahe der Stadt Surt geboren, putschte sich im September 1969 unblutig an die Macht und rief wenige Jahre später den "Staat der Massen" aus. Der regiert sich ... © AP/Francois Mori
... zumindest in der Theorie selbst und braucht folglich keinen Staatschef, weshalb Gaddafi sich nie so nennen ließ.
... zumindest in der Theorie selbst und braucht folglich keinen Staatschef, weshalb Gaddafi sich nie so nennen ließ. © REUTERS
Zu den harmlosen Sonderlichkeiten des Revolutionsführers gehört das berühmte Beduinenzelt, das er selbst zu Staatsbesuchen ins Ausland mitnimmt, weil er nicht in einem Haus schlafen mag. Eine weitere Schrulle ...
Zu den harmlosen Sonderlichkeiten des Revolutionsführers gehört das berühmte Beduinenzelt, das er selbst zu Staatsbesuchen ins Ausland mitnimmt, weil er nicht in einem Haus schlafen mag. Eine weitere Schrulle ... © REUTERS
... ist die frische Kamelmilch, auf die er morgens nicht verzichten mag, weshalb immer auch ein paar Kamelstuten mit ins Flugzeug müssen, wenn er auf Reisen geht.
... ist die frische Kamelmilch, auf die er morgens nicht verzichten mag, weshalb immer auch ein paar Kamelstuten mit ins Flugzeug müssen, wenn er auf Reisen geht. © REUTERS
Seine Herrschaft konnte Gaddafi aber nur mit eiserner Hand festigen. Politische Gegner wurden gnadenlos unterdrückt. Zugleich achtete er bei der Verteilung ...
Seine Herrschaft konnte Gaddafi aber nur mit eiserner Hand festigen. Politische Gegner wurden gnadenlos unterdrückt. Zugleich achtete er bei der Verteilung ... © REUTERS
... von Macht und Posten darauf, dass die komplizierte Stammesstruktur seines Landes nicht aus dem Gleichgewicht geriet. Ablehnung und Protest war Gaddafi daher während seiner Herrschaft bisher nur außerhalb seiner Heimat gewohnt.
... von Macht und Posten darauf, dass die komplizierte Stammesstruktur seines Landes nicht aus dem Gleichgewicht geriet. Ablehnung und Protest war Gaddafi daher während seiner Herrschaft bisher nur außerhalb seiner Heimat gewohnt. © REUTERS
Zum internationalen Paria wurde Gaddafi nach einer Serie von Anschlägen, die seinem Regime zugeschrieben wurden.
Zum internationalen Paria wurde Gaddafi nach einer Serie von Anschlägen, die seinem Regime zugeschrieben wurden. © REUTERS
Anfang der 90er Jahre verhängten die Vereinten Nationen ein Handelsembargo. Jahrelang hielt Gaddafi dem Druck stand, doch im Frühjahr 2003 entschädigte er dann die Opfer der beiden Flugzeuganschläge, ...
Anfang der 90er Jahre verhängten die Vereinten Nationen ein Handelsembargo. Jahrelang hielt Gaddafi dem Druck stand, doch im Frühjahr 2003 entschädigte er dann die Opfer der beiden Flugzeuganschläge, ... © REUTERS
... wenig später schwor er öffentlich seinem Rüstungsprogramm ab. Im darauffolgenden Jahr zahlte die Gaddafi-Stiftung auch Entschädigungen an die Opfer des La-Belle-Anschlags.
... wenig später schwor er öffentlich seinem Rüstungsprogramm ab. Im darauffolgenden Jahr zahlte die Gaddafi-Stiftung auch Entschädigungen an die Opfer des La-Belle-Anschlags. © AFP
Damit vollzog Gaddafi eine radikale Kehrtwende und streckte die Hand nach dem Westen aus. Libyen wurde wieder hoffähig, die UNO hob das Embargo auf. Internationale Konzerne standen ...
Damit vollzog Gaddafi eine radikale Kehrtwende und streckte die Hand nach dem Westen aus. Libyen wurde wieder hoffähig, die UNO hob das Embargo auf. Internationale Konzerne standen ... © REUTERS
... fortan in Tripolis Schlange, um Geschäfte mit dem viertgrößten afrikanischen Ölproduzenten einzufädeln. Die Europäer machten ihn zum Partner, um Flüchtlingsströme aus Afrika einzudämmen.
... fortan in Tripolis Schlange, um Geschäfte mit dem viertgrößten afrikanischen Ölproduzenten einzufädeln. Die Europäer machten ihn zum Partner, um Flüchtlingsströme aus Afrika einzudämmen. © REUTERS
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Fidel Castro befürchtet Nato-Invasion in Libyen

Die blutigen Unruhen in Libyen könnten nach Darstellung des früheren kubanischen Präsidenten Fidel Castro als Vorwand für eine Nato-Invasion in dem nordafrikanischen Land missbraucht werden. In einem am Dienstag in einer staatlichen Zeitung veröffentlichten Kommentar schrieb Castro: "Man kann mit Gaddafi übereinstimmen oder nicht." Die Welt sei mit allen möglichen Nachrichten über das Geschehen in Libyen überschwemmt worden. Man müsse jedoch warten, bis zweifelsfrei festgestellt sei, was Fakt oder Lüge sei.

Einer Sache schien sich der frühere kubanische Revolutionsführer aber sicher zu sein: Die US-Regierung sei in keiner Weise um den Frieden in Libyen bemüht und werde nicht zögern, der NATO den Befehl zu erteilen, in das ölreiche Land einzufallen, schrieb Castro. Dies sei vielleicht nur eine Frage von Stunden oder Tagen. (afp/dapd)