Berlin. . NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider hat einen Schuldigen für das Scheitern der Hartz-IV-Verhandlungen ausgemacht: Die FPD hätte die Union auf eine harte Linie gedrängt. Er wirft der Berliner Koalition zudem “ideologische Verbohrtheit“ vor.

NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider hat die schwarz-gelbe Bundesregierung nach den gescheiterten Hartz-IV-Verhandlungen scharf kritisiert. Der SPD-Politiker warf der Berliner Koalition am Mittwoch in Düsseldorf "Starrsinn" und "ideologische Verbohrtheit" vor. Vor allem die FDP nahm der Verhandlungsteilnehmer Schneider ins Visier. Am Rande der Gespräche in Berlin hätten ihm Unions-Politiker gesagt, mit CDU und CSU wäre eine Einigung mit der SPD "in zehn Minuten" möglich gewesen. Die Liberalen hätten die Union jedoch auf eine harte Linie gedrängt, kritisierte Schneider.

Nach dem Scheitern der Gespräche zwischen Regierung und Opposition über die Hartz-IV-Reform hat Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Länder im Bundesrat aufgerufen, dem Paket zuzustimmen. "Die Ministerpräsidenten können entscheiden für ihre Kommunen, für die bedürftigen Kinder im Land, dass man wirklich etwas für sie tun kann", sagte von der Leyen am Mittwochmorgen im ZDF-"Morgenmagazin". Angesichts der Milliardensummen, die mit dem geplanten Bildungspaket für Kinder in die Kommunen fließen sollten, wäre ein Scheitern des Pakets "fatal für die Politik". Am Freitag bei der Abstimmung im Bundesrat werde sich zeigen, ob im Land "Verantwortung übernommen werden kann in schwieriger Zeit".

"SPD und Grüne haben Vorschläge nie richtig begründen können"

Von der Leyen warf Vorwürfe der Opposition zurück, die Koalition habe die Verhandlungen bewusst scheitern lassen. Die Gespräche seien an dem Punkt gescheitert, als die Opposition "noch mal eine Schippe draufgelegt" habe und mehr Geld für Hartz-IV-Bezieher gefordert habe. SPD und Grüne hätten ihre Vorschläge nie richtig begründen können, kritisierte die Ministerin. Eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze ändere nichts am Problem der Menschen, die Arbeit suchten, sondern verfestige Armut. Angesichts der hohen Staatsverschuldung sei es wichtig, die knappen Mittel dort zu investieren, "wo es Zukunft gibt: in die Kinder und bei den Kommunen vor Ort".

Auch die CSU setzt nach dem Scheitern Verhandlungen auf ein Einlenken der SPD im Bundesrat. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt betonte am Mittwoch, das Angebot der schwarz-gelben Koalition bedeute "fünf Milliarden Euro zusätzlich für Kinder, Bedürftige und Kommunen". Die SPD werde "niemandem erklären können", warum sie dieses Paket ablehne und gleichzeitig Schuldzuweisungen gegen die Bundesregierung erhebe.

Dobrindt fügte hinzu: "Wir stellen unser Angebotspaket im Vermittlungsausschuss und im Bundesrat zur Abstimmung." Dann müsse die SPD dokumentieren, "ob sie wirklich Kindern zusätzliche Bildungsleistungen, Zeitarbeitern einen Mindestlohn und den Kommunen eine massive Entlastung vorenthalten will". Dobrindt mahnte: "Die SPD sollte in sich gehen und zugreifen."

SPD hält Merkel Scheitern der Hartz IV-Gespräche vor

SPD-Unterhändlerin Manuela Schwesig hat unterdessen am Mittwoch schwere Vorwürfe gegen die schwarz-gelbe Koalition. Es sei "ganz deutlich" zu spüren gewesen, dass die Koalition und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen den klaren Auftrag von Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) gehabt hätten, die Verhandlungen zum Scheitern zu führen, sagte die stellvertretende SPD-Vorsitzende am Mittwoch im ARD-"Morgenmagazin". Die bedürftigen Kinder brauchten aber Unterstützung. "Daran denkt aber Frau von der Leyen nicht und auch nicht die Kanzlerin", sagte Schwesig. "Frau Merkel ist eine eiskalte Machtpolitikerin. Ihr geht es nicht um die Kinder und auch nicht um die Betroffenen. Ihr geht es darum, Ruhe in der Koalition zu haben", fügte Schwesig hinzu. Von der Leyen und Merkel wollten machtpolitische Spielchen. "Darüber bin ich sehr sauer", sagte die SPD-Politikerin.

Die Koalition habe arme Kinder und Zeitarbeiter verraten, das sei ein "Riesenskandal", kritisierte Schwesig weiter. Die SPD wolle am Mittwoch im Vermittlungsausschuss und am Freitag im Bundesrat ihre Vorschläge einbringen. Schwesig forderte die Koalition zugleich auf, die von ihr geplanten fünf Euro mehr beim Hartz-IV-Regelsatz sofort auszuzahlen und das bisher auf dem Tisch liegende Bildungspaket umzusetzen.

FDP-Generalsekretär Christian Lindner wies die Vorwürfe zurück. Die Koalition habe ein "großes Paket" geschnürt und sei erheblich auf die Opposition zugegangen, sagte Lindner am Mittwoch im Deutschlandfunk.

Bundesregierung will Bundesrat am Freitag eigenen Entwurf vorlegen

Die Bundesregierung will das Arbeitslosengeld II für etwa 4,7 Millionen erwachsene Hartz-IV-Bezieher um fünf Euro auf 364 Euro anheben. Zudem soll es Zuschüsse für rund 2,5 Millionen Kinder aus Geringverdienerfamilien für ein warmes Mittagessen, für Nachhilfe und Eintagesausflüge sowie für Vereine geben. Die Zustimmung der Länder dazu will die Koalition gewinnen, indem sie die Kommunen in Milliardenhöhe bei der Grundsicherung im Alter entlastet. Zudem sagte von der Leyen die Einführung eines Mindestlohns in der Zeitarbeitsbranche zu.

Die Gespräche mit der Opposition scheiterten auf den Tag genau ein Jahr nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Richter hatten der Politik aufgetragen, das Arbeitslosengeld II neu zu berechnen und Bildungsleistungen für Kinder stärker zu berücksichtigen. Sie hatten eine Frist bis Ende 2010 gesetzt.

Koalition sucht Entscheidungen

„Bedauerlicherweise sind heute Abend die Verhandlungen mit der Opposition gescheitert“, sagte von der Leyen in der Nacht zu Mittwoch. „Wir sind mit großem Einigungswillen auf die Opposition zugegangen.“ An die Regierungschefs der Länder appellierte sie, dem Vorhaben der Koalition am Freitag im Bundesrat zuzustimmen. „Wir hoffen, dass die Ministerpräsidenten abwägen, ob dies nicht der richtige Zeitpunkt ist, um die Kommunen zu entlasten“, sagte von der Leyen. Die Übernahme der Grundsicherung im Alter durch den Bund entlaste die Kommunen bis 2015 netto um 12,2 Milliarden Euro.

Die Opposition warf der Regierung vor, sie habe auf ein Scheitern zugesteuert. „Die haben boykottiert ohne Ende“, sagte Grünen-Verhandlungsführer Fritz Kuhn. SPD-Verhandlungsführerin Manuela Schwesig sagte, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe durchaus ein Machtwort gesprochen: „Das Machtwort war: Wir wollen, dass die Verhandlungen scheitern.“ SPD und Grüne zeigten sich zuversichtlich, dass die Regierung im Bundesrat keine Mehrheit finden werde. „Am Montag wird die B-Seite (die unions-geführten Länder) wieder zurückkehren an den Verhandlungstisch“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann.

Indirekt beteiligt an den Verhandlungen waren die Partei- und Fraktionschefs von SPD und Grünen. SPD-Chef Sigmar Gabriel, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sowie Grünen-Chefin Claudia Roth und Grünen-Fraktionschefin Renate Künast hielten sich nach Angaben aus der SPD in der dem Verhandlungsort benachbarten Landesvertretung von Rheinland-Pfalz auf. Mit ihnen stimmten sich die rot-grünen Verhandler telefonisch ab.

Bis zuletzt waren auch die Mindestlöhne ein Thema

Neben der Anhebung des Regelsatzes und den Bildungsleistungen für Kinder waren bis zuletzt Mindestlöhne und Verbesserungen für Zeitarbeiter. Hier bot von der Leyen Lohnuntergrenzen nicht nur für Zeitarbeiter, sondern auch für den Wachschutz und die Weiterbildungsbranche an. Das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wollte die Koalition dagegen für mindestens ein Jahr den Tarifparteien überlassen. Erst wenn sich dann keine Lösung abzeichne, solle eine Kommission zur Klärung der Frage eingesetzt werden, sagte von der Leyen. Die SPD wollte dagegen, dass Leiharbeiter bereits nach einem Monat wie die Stammbelegschaft bezahlt werden.

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© ddp/Sebastian Willnow

Die Linke wirft Koalition sowie SPD und Grünen mangelnden Einigungswillen bei den Hartz-IV-Verhandlungen vor. „Das war Nachtschattenboxen auf hohem Niveau“, kommentierte Linke-Parteichef Klaus Ernst am Mittwoch die in der Nacht gescheiterten Gespräche. Die Parteien hätten vor der Hamburg-Wahl keine Einigung gewollt. Die FDP wolle mit Sozialrassismus Wahlkampf machen. SPD und Grüne hätten Angst vor der Wut der Menschen, weil sie nicht für echte Verbesserungen kämpfen.

Die Position der Betroffenen habe in den nächtlichen Gesprächen niemand vertreten, sagte Ernst, dessen Partei in der Runde nicht vertreten war. Es sei gut, wenn das Regierungspaket im Bundesrat scheitere. Ernst hofft, dass die schwarz-gelb-grüne Koalition im Saarland in der Länderkammer nicht noch umfalle. Ernst ging davon aus, dass Hartz-IV-Empfänger jetzt „massenhaft“ klagen werden. Dann müssten die Sozialgerichte nach transparenten Kriterien festlegen, wie hoch ein verfassungsfester Regelsatz sein müsse.

Vor dem Treffen: Willen zur Einigung

Die Opposition hatte die Reform kurz vor Weihnachten im Bundesrat gestoppt. Seitdem lief das Vermittlungsverfahren. Für Mittwochmittag (11.30 Uhr) ist der Vermittlungsausschuss einberufen. Am Freitag tagt regulär der Bundesrat.

Vor dem Treffen hatten Union und SPD noch ihren Willen zur Einigung betont. „Wir stehen vor der letzten Verhandlungsrunde“, so Ar­beitsministerin von der Leyen (CDU). Nach einem Spitzengespräch wollten Union und FDP auf die Opposition beim Thema Mindestlohn zugehen. Die Koalition machte aber klar, dass sie die rot-grünen Forderungen nach mehr Hartz-IV-Geld für „willkürlich“ hält. Merkel gab sich skeptisch, ob das Reformpaket noch in dieser Woche unter Dach und Fach gebracht werden könne. (mit rtr/dapd)