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Der Politikwissenschaftler und Publizist Hamed Abdel-Samad, der in Ägypten aufwuchs und in Deutschland lebt, beobachtet seit einer Woche die Demonstrationen in Kairo. Mit ihm sprach Angelika Wölk.
Der Freitag wurde als der Tag der Entscheidung für Ägypten angekündigt.
Abdel-Samad: Auf jeden Fall ist das ein sehr, sehr wichtiger Tag. Man spricht hier von dem Tag des Abgangs. Schon jetzt, am Morgen, sind wieder Zehntausende auf dem Tahrir-Platz versammelt und nach dem Freitagsgebet werden es noch viel, viel mehr werden.
Wie wird es weitergehen? Kommt es zum Bürgerkrieg?
Nein. Hier haben nicht Bürger auf Bürger eingeschlagen. Hier haben bezahlte Verbrecher, angeheuerte Regime-Anhänger auf Bürger geschlagen. Bürger sind im Krieg mit dem Regime, nicht mit Bürgern.
Was wird geschehen, wenn das Ultimatum ausläuft, das El Baradei Mubarak gestellt hat und das Regime bleibt regungslos?
Dann werden die Proteste weitergehen. Und jeder Tag wird Milliarden Dollar kosten, weil die Touristen ausbleiben, die Einnahmen für den Mubarak-Clan bleiben aus, der Zoll, die Banken funktionieren nicht, die Versorgung der Bevölkerung funktioniert nicht, die öffentlichen Einrichtungen funktionieren nicht. Kein Staat kann das aushalten.
Wird es zu einer neuen Solidarisierung der Araber untereinander kommen?
Ja. Alle Araber schauen auf uns. Ich erhalte Anrufe aus allen arabischen Staaten: Haltet durch, sagen sie. Und: Ihr seid unsere Hoffnung. Auf Facebook erhalten wir eine sehr große Unterstützung aus allen arabischen Staaten. Die Bevölkerung ist jung, sie alle wollen das Gleiche: Sie wollen Freiheit und Demokratie.
Was ist mit der Armee? Am Mittwoch hat sie die Gewalt der Regime-Anhänger nicht gestoppt. Es ist nicht immer klar zu erkennen, auf welcher Seite sie steht.
Die Armee ist nach wie vor gespalten. Sie muss einen Spagat aufrecht erhalten. Sie ist beliebt bei der Bevölkerung, aber der oberste Befehlshaber der Armee ist nach wie vor Mubarak.
Wie schätzen sie die weitere Entwicklung ein?
Es kann sein, dass wir eine Phase des Chaos durchmachen, auf politischer Ebene. Aber diese Erfahrung, die wir jetzt machen, braucht das Land. Das Land hat eine große Kultur hervorgebracht. Wir werden das schaffen. Wir haben Millionen junger Menschen, die unter 30 Jahren alt sind, die Zeit ist auf ihrer Seite.