Kairo. . Die Revolution in Ägypten geht weiter. Zehntausende demonstrierten am Donnerstag wieder in Kairo, der neue Premier entschuldigte sich für Übergriffe auf friedliche Protestierer. Die Armee stellte sich zwischen Mubarak-Anhänger und -Gegner.
Die Zelte sind in Fetzen, Verwundete liegen stöhnend auf dem zertrampelten Rasen. Ein junger Doktor in Kittel und Chirurgenhandschuhen desinfiziert vorsichtig ein blutendes Bein. Eine verschleierte Frau kühlt mit einem Wasserbeutel die blau geschwollene Wange eines Verletzten. „Weine nicht, weine nicht, du bist ein Held“, tröstet Khaled Ghozlan seinen elfjährigen Sohn, dessen Platzwunde am Kopf mit vier Stichen genäht werden musste. Zwischen Steinen, Scherben und Holzlatten haben junge Ärzte eine Art Notfall-Lazarett aufgebaut. Jeder packt an, um den Verletzten zu helfen.
Noch nie zuvor haben sich in Ägypten so viele Frauen an einer Demonstration beteiligt – junge und alte, verschleierte und unverschleierte. Rund um den Tahrir-Platz sind die Platten der Bürgersteige herausgerissen, liegen Glasscherben, verbrannter Müll und Metallplatten vom Bauzaun des Nile Hilton-Hotels.
Denn die Protestierer geben nicht auf. Nach 24 Stunden Chaos, Blutvergießen und Anarchie halten immer noch Tausende die Stellung auf dem Tahrir-Platz, dem Epizentrum des Volksaufstands gegen Hosni Mubarak. Den ganzen Tag rufen sie über Twitter die Bevölkerung zu Verstärkung auf. Und die Menschen kommen – bis zum Nachmittag hatten sich nach Berichten der Facebook-Aktivisten wieder 70 000 eingefunden. „Wir werden Mubarak stürzen – wie auch immer“, skandieren sie. Aber auch politisch ist die „Koalition für Änderung“ nicht bereit zurückzuweichen, zumal sich im ägyptischen Regime am Donnerstag erstmals Risse zeigen. Ein Ultimatum des neuen Vizepräsidenten Suleiman, man werde den Dialog mit der Opposition erst dann aufnehmen, wenn die Proteste aufhören, beantwortete die Führung der Aktivisten mit Nein und rief für Freitag nach dem Gebet erneut zu Großdemonstrationen auf. Gegen Mittag meldete sich der neue Premier Shafiq mit erstaunlichen Sätzen. Den Angriff auf friedliche Demonstranten nannte er einen Fehler. „Ich bitte um Verzeihung. Das war eine Million Prozent falsch”, sagte er und versprach, die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. Sein Innenminister dagegen bestritt, Polizisten in Zivil seien an dem Blutbad beteiligt. Die Bilder der Demonstranten, die Polizeiausweise der Schläger in TV-Kameras hielten, hatte er offenbar nicht gesehen.
Wie mittelalterliche Reiterhorden waren die Pro-Mubarak-Vandalen am Vortag mit Kamelen und Pferden auf dem Tahrir-Platz eingefallen. Die Tiere stammen aus dem Armenviertel rund um die Pyramiden. Normalerweise sind die Klepper für Touristen im Einsatz. Doch diesmal hatten Mubaraks Parteileute die Armen für umgerechnet sieben bis 14 Euro angeheuert, berichteten Augenzeugen. Andere behaupteten, ihre Vorgesetzten in den staatlichen Büros hätten sie zur Teilnahme gezwungen. Nicht nur sie, auch die vom Regime begünstigten Wirtschaftsmagnaten haben bei einem Machtwechsel viel zu verlieren. Und so setzten sie ihre Schläger am Donnerstag erneut in Marsch. Doch diesmal gab es kein Durchkommen mehr. Panzer und Soldaten schützten die friedliche Menge.