Düsseldorf. Die Linke war in NRW schon fast tot, aber jetzt explodieren die Mitgliederzahlen. Dafür gibt es - neben Heidi Reichinnek - drei Gründe.
Im Herbst 2024 hätte kaum noch jemand einen Cent auf die Zukunft der Linkspartei gesetzt: Sahra Wagenknecht und ihr Bündnis schienen ihre früheren Mitstreiterinnen und Mitstreiter zur Bedeutungslosigkeit zu verdammen. Doch auf einmal dreht sich der Wind. Die Linke liegt inzwischen in Umfragen zur Bundestagswahl – im Gegensatz zum BSW - deutlich über fünf Prozent, und in NRW gelang es ihr, die Zahl ihrer Mitglieder zwischen Oktober 2023 und Anfang Februar 2025 auf rund 13.000 zu verdoppeln. Dieser Boom scheint ein politisches Wunder zu sein, aber er lässt sich sachlich erklären.
„Die Leute sehen uns als Bollwerk gegen rechts“
Wolfgang Freye aus Essen ist ein Urgestein der Linken in Nordrhein-Westfalen und kann die Trendwende kaum fassen. Bei der Europawahl 2024 erreichte die Linke im Ruhrgebiet nur 2,1 Prozent der Stimmen. „Ich hatte Sorge, dass meine Partei bei der Kommunalwahl im Herbst 2025 an der 2,5-Prozent-Hürde im Ruhrgebiet scheitern könnte“, erzählt der langjährige Vorsitzende der Linkspartei im Ruhrparlament. Jetzt freut er sich auf die Kommunalwahl.
Freye steht am Mittwoch mit anderen Wahlwerbenden an einem Info-Stand in Karnap, im tiefen Essener Norden, und stellt fest, dass sich viele Leute wieder gerne von den Linken ansprechen lassen. „Die sehen uns als Bollwerk gegen rechts, die sagen: Gut, dass ihr wieder im Kommen seid“, so Freye. Einige der Neugierigen seien schon im Alter der drei bekannten „Silberlocken“ Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow, die für die Linke Direktmandate im Bundestag anpeilen. Viele andere, erzählt Freye, seien 30 Jahre oder jünger. Fußballer würden sagen: Die Linke ist wieder auf dem Platz.
Bundestagswahl in NRW: Alles Wichtige zur Wahl im Newsblog
Wagenknechts Stern sinkt in den Umfragen, die Kurve der Linken zeigt nach oben

Prof. Lukas Stötzer ist Experte für Wahlprognosen und politisches Verhalten an der Universität Witten/Herdecke. Er nennt drei Hauptgründe für das Wiedererstarken der Linkspartei.
„Erstens hat das etwas mit der Migrations-Abstimmung im Bundestag zu tun. Vor allem junge Wählerinnen und Wähler haben gesehen, wie entschieden sich die Linke hier gegen Union, AfD und BSW positionierte“, erklärt er.
„Zweitens hat die Partei nach der Abspaltung des BSW wieder ein klassisches linkes Profil. Das kommt gerade bei jüngeren linken Wählern gut an, die nichts mit den migrationskritischen und russlandfreundlichen Äußerungen Sahra Wagenknechts anfangen können“, so Stötzer.
„Drittens macht die Linke einen sehr guten Online-Wahlkampf und erzielt dabei eine große Reichweite. Über Social Media erreicht sie besonders junge Wählerinnen und Wähler. Auf der anderen Seite funktioniert die ,Silberlocken-Kampagne‘ mit Ramelow, Bartsch und Gysi bei einem älteren Publikum“, sagte Stötzer dieser Redaktion.

Parteichef in NRW sieht die Linke als Teil einer „Jugendbewegung“
Wolfgang Freye ist sich sicher, dass der Aufschwung seiner Partei ohne die Abspaltung der Wagenknecht-Gefolgsleute kaum möglich gewesen wäre. „Das dürfte auch eine der Erklärungen sein für diese nie dagewesene Eintrittswelle“, ergänzt der Essener. „Viele haben sicher schon lange überlegt, ob sie in die Partei eintreten möchten, aber erst seit Wagenknecht weg ist, machen sie es.“
Dass Teile des BSW im Bundestag zusammen mit AfD und Union gegen das so genannte Zustrom-Begrenzungsgesetz stimmten, spiele eine große Rolle bei der Wiederauferstehung der Linken, vermutet Freye. „Das war ein absoluter Tabubruch. Die Menschen haben gesehen: Wir sind die Partei, die keine Stimmung gegen Flüchtlinge macht.“
Ob der Mitglieder-Boom nur eine Eintagsfliege oder von Dauer ist, lässt sich kaum vorhersagen. Prof. Lukas Stötzer vermutet, dass der Mitgliederzuwachs dann nachhaltig sein kann, wenn die Linke tatsächlich den Sprung in den nächsten Bundestag schafft.
U18-Wahl: Linke unter Jugendlichen beliebt
Bei der „U-18-Bundestagswahl“ (Jugendwahl) konnte die Linkspartei einen Erfolg verbuchen: Sie ging mit 20,8 Prozent der Stimmen als Sieger hervor - und konnte ihren Stimmanteil damit im Vergleich zu 2021 (7,5 Prozent) nahezu verdreifachen. Danach folgen die SPD mit 17,9 Prozent, die CDU/CSU mit 15,7 Prozent, die AfD mit 15,5 Prozent und Bündnis 90/Die Grünen mit 12,5 Prozent. Die Tierschutzpartei erhielt 3,8 Prozent, die FDP 3,4 Prozent und das BSW 3,4 Prozent.
Zwischen dem 7. und 14. Februar hatten 166.443 Kinder und Jugendliche im Rahmen der U18-Bundestagswahl ihre Stimme abgegeben. Veranstalter war der Deutsche Bundesjugendring.
Bemerkenswert ist nach Einschätzung des Linken-Landesvorsitzenden und Spitzenkandidaten seiner Partei in NRW, Sascha H. Wagner, dass Großteil der Neumitglieder jünger als 30 Jahre und dass mehr als die Hälfte der „Neuen“ Frauen seien.
„Unser Landesverband ist in Teilen zu einer Jugendbewegung geworden“, schreibt Wagner in einer Mitteilung. Das Bedürfnis nach einer konsequent sozialen Politik, die sich klar gegen den Rechtsruck positioniere, spiegele sich in den aktuellen Umfragewerten wider.