Düsseldorf. Bisher schafft es die Bundeswehr in NRW kaum, berufstätige Reservisten einzuberufen. Das liegt vor allem an der Freiwilligkeit.
Der Kommandeur des Landeskommandos NRW der Bundeswehr, Brigadegeneral Hans-Dieter Müller, ist dafür, Arbeitgeber wieder dazu zu verpflichten, Reservistinnen und Reservisten für Wehrübungen zur Verfügung zu stellen. „Ich plädiere dafür, das ,Doppelte Freiwilligkeitsprinzip‘ bei der Einberufung von Reservistendienst Leistenden wieder aufzuheben“, sagte Müller dieser Redaktion. Diese Aufhebung hätte zur Folge, dass Unternehmen verpflichtet würden, Reservistinnen und Reservisten zum Beispiel für zwei Wochen im Jahr für das Militär freizustellen. „Im Moment ist das quasi rein freiwillig, da sowohl der Reservistendienst Leistende selbst als auch insbesondere der Arbeitgeber einer solchen Wehrübung zustimmen muss“, erläuterte der Offizier. Das schränke aber die Chancen für Interessierte, sich zum Beispiel im Heimatschutz zu engagieren, stark ein.

Wegen der zunehmenden Bedrohung durch Russland und im Zuge der von der Bundesregierung geforderten „Zeitenwende“ in der Sicherheitspolitik muss und will sich die Bundeswehr wieder verstärkt um die Personalgewinnung kümmern. Eine wichtige Säule dabei ist in NRW der so genannte Heimatschutz. Er unterstützt bei Bedarf Polizei, Technisches Hilfswerk, das Rote Kreuz und andere Organisationen. Im Kriegsfall muss er der aktiven Truppe bei der Landes- und Bündnisverteidigung helfen.

„Das Interesse am Heimatschutzregiment ist groß. Wir haben dort seit der Aufstellung im Oktober 2023 bisher rund 2.500 Bewerbungen erhalten“, sagte Müller. 665 dieser Bewerbungen hätten zu einer „Beorderung“ geführt. Wegen des Freiwilligkeitsprinzips müssten aber erfahrungsgemäß etwa 4000 Reservisten eingeladen werden, um mit 1000 von ihnen üben zu können. „Meist kann aus beruflichen Gründen nur jeder Vierte einer Einladung folgen“, erklärt Müller.
Um sich mit der Bundeswehr beim Thema Vereidigung abstimmen zu können, wünschen sich die Arbeitgeber in erster Linie Planungssicherheit und Transparenz. „Angesichts der Dynamik der Bedrohungslage ist Planungssicherheit selbstverständlich nicht ohne Weiteres herstellbar. Wichtig wäre aber, dass die Wirtschaft in die beginnenden Planungen eingebunden wird, damit sie sich und ihre Beschäftigten vorbereiten können“, sagte Ralf Mittelstädt, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammern (IHK) in NRW, dieser Redaktion.
Unternehmen in NRW hoffen angesichts der „Zeitenwende“ auf mehr Aufträge
Den Unternehmen ist bewusst, dass die Verteidigung heute einen viel höheren Stellenwert hat als früher. „Mit der veränderten Sicherheitslage in Europa ist das Thema bei vielen Unternehmen ganz oben auf der Agenda“, sagte Mittelstädt. „Es geht um die Sicherung von Handel und Lieferketten, aber natürlich auch um die präventive Vorbereitung der Unternehmen im Inland auf eine verschärfte Sicherheitslage“, so Mittelstädt weiter. Nicht zuletzt erhofften sich auch wieder mehr Unternehmen gerade in einer angespannten Konjunkturlage Aufträge von Seiten der Bundeswehr.
NRW rüstet auf, obwohl die „Zeitenwende“ (noch) eine Schnecke ist
Die „Zeitenwende“ lässt sich Zeit. Vom 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen, das Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) 2022 nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ankündigte, sei in Dienststellen wie dem Landeskommando NRW noch nichts zu spüren, erklärt Brigadegeneral Hans-Dieter Müller, der Kommandeur des Landeskommandos. „Das Geld des Bundes fließt vor allem in Großprojekte wie den Bau von U-Booten und den Kauf des Tarnkappenbombers F35“, sagt der 62-Jährige Offizier.
Die „Zeitenwende“ vollzieht sich also sozusagen im Schneckentempo, aber sie schleicht schon in die Köpfe der Bürgerinnen und Bürger. Das Militär, in den vergangenen Jahrzehnten fast unsichtbar geworden, kehrt langsam zurück. Vereinzelt donnern wieder Kampfflugzeuge über Wohngebiete, die Bahn transportiert Panzer, auf Autobahnen und Landstraßen sind mehr Militärfahrzeuge als früher unterwegs.
Brigadegeneral: „Russland baut bis zu 1500 Kampfpanzer im Jahr“
„Kriegstüchtig“ soll die Bundeswehr werden, hat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gesagt. Spätestens bis 2029. Dieser Satz macht vielen Menschen Angst, denn „Krieg“ schien ein Alptraum aus vergangenen Zeiten zu sein. Müller, der höchste Repräsentant der Bundeswehr in NRW, hält es indes für notwendig, die Armee besser auszustatten. Der aus Olsberg stammende Sauerländer begründet dies mit der russischen Aufrüstung und mit der imperialistischen Rhetorik des Kremls.
„Russland hat auf Kriegswirtschaft umgestellt und produziert zurzeit jedes Jahr zwischen 1.000 und 1.500 Kampfpanzer. Die meisten dieser Panzer landen in Depots, nicht etwa im Ukrainekonflikt“, sagt Müller, selbst ein Panzerartillerist. Die Bundeswehr habe dagegen derzeit knapp 350 Kampfpanzer Leopard.
Die Aufrüstung hat längst begonnen. Geheimer Plan wird ständig vervollständigt
Die militärische „Ertüchtigung“ Deutschlands und damit auch die Nordrhein-Westfalens hat längst begonnen, zumindest auf dem Papier. Sie folgt einem geheimen militärischen Plan, dem so genannten „Operationsplan Deutschland“, der die Unterstützung der Bundesländer einschließt. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat vielerorts schon die Kommunalpolitik und die Polizei für die so genannte „Zivil-militärische Zusammenarbeit“ (ZMZ) sensibilisiert. Vor wenigen Tagen erschien ein neues „Grünbuch“ zur ZMZ, an dem das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mitgeschrieben hat. Darin werden fiktive, aber aus militärischer Sicht denkbare Konfliktszenarien im Jahr 2030 beschrieben - von massiver russischer Sabotage bis hin zum Krieg.
Die Bundeswehr in Nordrhein-Westfalen
Für die Bundeswehr arbeiten in NRW rund 28.000 aktive Soldatinnen und Soldaten sowie 12.000 zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dazu kommen etwa 17.000 Reservistinnen und Reservisten.
In Bonn ist das Kommando Cyber- und Informationsraum ansässig. Kalkar-Uedem ist Dienstsitz des Weltraumkommandos der Bundeswehr. Die Luftwaffe hat soeben einen „ständig aktivierten Gefechtsstand“ in Dienst gestellt. Dazu wurde das Zentrum Luftoperationen in Uedem in die neue Führungsstelle „Air Component Command“ (ACC) umgewandelt.
Das Panzerbataillon 203 in Augustdorf wird dauerhaft nach Litauen verlegt.
Für das neue Heimatschutzregiment erhielt die Bundeswehr bisher rund 2.500 Bewerbungen. 665 Bewerberinnen und Bewerber wurden bisher angenommen.
NRW ist zudem ein bedeutender Standort der Rüstungsindustrie, Beispiel: Rheinmetall. 2025 soll in Weeze die Fertigung von Teilen des Kampfflugzeuges F35 beginnen.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat die militärische Bedeutung Nordrhein-Westfalens im Januar im Landtag skizziert. „NRW leistet einen wichtigen Beitrag zur ,Zeitenwende‘, sagte er. „Wir unterstützen die Rüstungsindustrie, wir stellen Truppen für Nato-Missionen zur Verfügung, und wir bemühen uns um immer mehr Tempo beim Ausbau militärischer Infrastruktur.“
Die Verteidigung Deutschlands ist zwar Aufgabe des Bundes. NRW müsse und wolle aber im Auftrag des Bundes Kasernen bauen und modernisieren, erklärte Wüst. „Innerhalb von vier Jahren soll das Geld für den militärischen Bundesbau in NRW um fast 300 Prozent erhöht werden“, kündigte er an. Neue Kasernen könnten schnell, günstig und unbürokratisch in „Modulbauweise“ entstehen.

Streit um die Wehrpflicht: Müssen kommende Generationen wieder zum Militär?
Ein politisch und gesellschaftlich hoch umstrittenes Thema dürfte in diesem Jahr weiter Fahrt aufnehmen: die Wehrpflicht. Boris Pistorius plädiert für einen so genannten „neuen Wehrdienst“, der mit der Erfassung aller Männer und Frauen im wehrfähigen Alter beginnt und zunächst in erster Linie auf Motivation und Freiwilligkeit setzt.

Brigadegeneral Müller rät „perspektivisch“ aber zur Einführung einer „echten“ Wehr- oder Dienstpflicht für Männer und Frauen, „um die Personalstärke für die Bundeswehr erreichen zu können, die sie in wenigen Jahren benötigt.“ Zunächst müssten nach einem politischen Beschluss aber erst die Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Das Problem: Es gibt derzeit weder Gebäude noch Ausbilderinnen und Ausbilder für so viele Wehrpflichtige.
Im Ruhrgebiet steht heute nur noch eine Bundeswehr-Kaserne die militärisch genutzt wird
Früher war die Bundeswehr unter anderem in Essen-Kupferdreh, Essen-Kray, Dortmund-Sölde und Holzwickede präsent. Heute gibt es dagegen Im Ruhrgebiet nur noch eine Kaserne: In Unna, am östlichen Rand des Reviers. Wenn man den Wehrdienst attraktiv machen und dauerhaft Personal gewinnen möchte, sei die Nähe zum Dienstort wichtig, sagt Müller. Und er plädiert damit indirekt für neue Kasernen im Ruhrgebiet.
Problem Wehrerfassung: Viele Zeitsoldaten sind umgezogen und nicht mehr auffindbar
Der Weg dahin ist allerdings noch weit. Im Moment, erzählt Müller, scheitere Vieles schon an der Wehrerfassung. „Es ist heute sehr schwer, ehemalige Soldatinnen und Soldaten überhaupt zu erreichen. Ich habe etwa 1.200 Briefe an frühere Zeitsoldaten verschicken lassen, um sie für eine Beorderung in den Kreis- und Bezirksverbindungskommandos in NRW zu gewinnen, und in 364 Fällen hieß es: Nicht mehr zustellbar.“
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