Düsseldorf/Essen. Die Revierstädte schaffen 2024 mit Ach und Krach ausgeglichene Haushalte. Ein Grund zum Feiern ist das nicht, denn der Preis ist hoch.
Die Städte des Ruhrgebietes könnten in den kommenden Jahren finanziell noch stärker unter Druck geraten als bisher. Laut dem neuen Kommunalfinanzbericht Ruhr droht sogar ein Rückfall in die prekäre Lage vor dem im Jahr 2011 vom Land NRW beschlossenen Stärkungspakt Stadtfinanzen.
„Das Ruhrgebiet hat sich kaputtgespart“, warnen Garrelt Duin (SPD), Direktor des Regionalverbandes Ruhr (RVR) sowie der RVR-Beigeordnete Markus Schlüter einleitend im Finanzbericht für das Jahr 2024. Zwar seien den Revierstädten zuletzt im Schnitt ausgeglichene Haushalte gelungen, aber der Preis dafür sei hoch, erklärte Prof. Martin Junkernheinrich, der den Finanzbericht zusammen mit Gerhard Micosatt geschrieben hat, gegenüber dieser Redaktion.

„Brücken sind wegen fehlender Investitionen kaputt, Straßen löchrig, Schulen marode, Verwaltungen geschwächt. Dazu kommt, dass NRW bei den Grund- und Gewerbesteuern ein Hochsteuerland ist“, so Junkernheinrich. In den guten Jahren mit konjunkturellem Rückenwind, niedrigen Zinsen und mit der Unterstützung durch den Stärkungspakt habe es so gerade eben im Ruhrgebiet zum Haushaltsausgleich gereicht. „Das kippt gerade allerdings weg. Die Einnahmen gehen zurück, und die Ausgaben laufen davon“, sagte der Finanzexperte.
Wunschzettel für eine neue Bundesregierung
Die kommunalen Spitzenverbände in NRW fordern vor der Bundestagswahl, dass in der neuen Legislaturperiode die Handlungsfähigkeit der Städte, Kreise und Gemeinden in NRW gesichert und gestärkt wird.
„Wie handlungsfähig der Staat ist, erleben Menschen zuallererst und unmittelbar in ihrer Stadt, in ihrem Kreis, in ihrer Gemeinde. Wenn sie sehen, dass Schulen, Kitas, Sportstätten, Verkehrsnetze, Ämter vor Ort funktionieren, dass bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird und Probleme gelöst werden – dann stärkt das auch die Demokratie. Die Kommunen sind die Gestalter vor Ort. Sie können ihre Aufgaben aber nur dann gut erfüllen, wenn Bund und Land ihnen den dafür notwendigen finanziellen Gestaltungsspielraum zugestehen. Wenn der Staat vor Ort funktioniert, schafft das Vertrauen und ist ein wichtiges Signal“, erklärten die Präsidenten der kommunalen Spitzenverbände, Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (Städtetag NRW), Landrat Olaf Gericke (Landkreistag NRW) und Bürgermeister Christoph Landscheidt (Städte- und Gemeindebund NRW) in einer Mitteilung.
Sie fordern neben einer kommunalen Altschuldenlösung und Möglichkeiten zu Investitionen: Alle von Bund und Land übertragenen Aufgaben müssten finanziell ausgeglichen werden. Die öffentliche Verwaltung in NRW müsse effizienter und digitaler werden. Sozialleistungen müssten laufend überprüft werden, um Fehlentwicklungen und Überlastungen der Kommunen schnell zu korrigieren.
Ein Indiz für die sich zuspitzende Lage: Die Kassenkredite der NRW-Kommunen sind laut dem Bericht in den ersten neun Monaten des Jahres 2024 um drei Milliarden Euro gestiegen. Diese so genannten „Liquiditätskredite“ dienen nicht etwa der Investition in Straßen, Brücken und Gebäude, sondern dazu, laufende finanzielle Verpflichtungen bedienen zu können.
Während die Kommunen in Bayern, Baden-Württemberg und vielen anderen Ländern die Chance haben, kräftig in ihre Angebote zu investieren, müssen die Kämmereien in NRW und besonders im Ruhrgebiet immer noch jeden Cent umdrehen. Ein Beispiel: Die Gemeinden in Thüringen investierten im Jahr 2024 bis zum dritten Quartal pro Jahr und Einwohner 240 Euro, NRW-Kommunen erreichten dagegen nicht einmal einen Euro pro Einwohner.
„Wir müssen uns ehrlich machen“, rät Finanzexperte Junkernheinrich. Die zuletzt erfolgreiche Konsolidierung der Haushalte sei zwar ein Erfolg, greife aber zu kurz. Drei große Probleme müssten gelöst werden: Erstens die ständig steigenden Sozialkosten, die der Bund den Städten auferlege. Zweitens die Altschulden: Die Städte im Revier machten inzwischen wieder neue Schulden, obwohl die alten noch nicht getilgt seien. Drittens müssten die Städte finanziell so ausgestattet werden, dass sie sich für den Klimawandel rüsten und einen zeitgemäßen öffentlichen Nahverkehr anbieten können.

Eine neue Bundesregierung sollte sich daher zügig um die bisher gescheiterte Altschuldenlösung kümmern, empfiehlt Junkernheinrich. Außerdem brauchten die Kommunen einen Rückbau der Bürokratie. „Das geht nur mit Vereinfachung bei Gesetzen und Verordnungen von Land und Bund.“ Anträge auf Förderung seien heute zu kompliziert, pauschale Investitionszuweisungen seien besser, so der Finanzexperte.
RVR-Direktor Garrelt Duin unterstützt die Forderungen der kommunalen Spitzenverbände, die Städte und Gemeinden stärker als bisher am Steueraufkommen zu beteiligen und die Altschuldenproblematik endlich zu lösen. „Wenn diese beiden Maßnahmen beherzt umgesetzt werden, bekommen unseren Kommunen im Ruhrgebiet endlich wieder mehr Spielräume für die dringend erforderliche Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur, den Neu- und Ausbau von Schulen und Kindergärten, die Digitalisierung und die Wärmewende“, sagte er am Dienstag dieser Redaktion.
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