Berlin. Der Skandal um den Berliner Politiker Gelbhaar erschüttert die Grünen. Im Wahlkampf ist das ein gefundenes Fressen für andere Parteien.
Hinter den Grünen liegt eine Wahlkampfwoche zum Vergessen. Erst sah die Partei schlecht aus, als sie über Tage nicht erläutern konnte, wer von dem Vorschlag von Kanzlerkandidat Robert Habeck, Sozialabgaben auf Kapitalerträge zu erheben, konkret betroffen sein soll. Zum Wochenende traf der Fall Gelbhaar die Grünen dann mit voller Wucht. Die mutmaßliche Intrige wirft kein gutes Licht auf die Partei, die nach Ansicht ihrer Kritiker moralische Schwächen gerne bei anderen erkennt.
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Was war passiert? Der Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar vertritt den Ostberliner Stadtteil Pankow seit 2017 im Bundestag, seit 2021 sogar als direkt gewählter Abgeordneter. Die Partei nominierte den Verkehrsexperten im November mit 98,4 Prozent erneut zum Direktkandidaten. Im Folgemonat wurden jedoch Vorwürfe wegen sexueller Belästigung gegen den 48-Jährigen bekannt, die auch von einer Ombudsstelle der Partei behandelt wurden.
Grünen-Politiker Gelbhaar: Vorwürfe der sexuellen Belästigung „frei erfunden“
Gelbhaar bestritt die Vorwürfe als „frei erfunden“. Er zog dennoch seine Kandidatur für einen Platz auf der Landesliste zurück, wollte aber an der Direktkandidatur festhalten. Der Beschuldigte vermutete eine „in Teilen geplante Aktion“ gegen ihn und ging juristisch dagegen vor.
Der Vorstand des Grünen-Kreisverbands Berlin-Pankow entzog ihm jedoch das Vertrauen und forderte Gelbhaar auf, gänzlich auf eine Kandidatur zu verzichten. Anfang des Jahres bestimmten die Pankower Grünen bei einer Wiederholungswahl anstelle von Gelbhaar schließlich die Landesabgeordnete Julia Schneider zur Direktkandidatin.
Fall Gelbhaar: Sender RBB fiel auf angebliches Opfer Anne K. rein
Der Ruf und die politische Karriere von Gelbhaar waren ruiniert. Für die Partei sah es aber so aus, den unappetitlichen Fall gut sechs Wochen vor der Bundestagswahl erfolgreich beerdigt und einen Skandal verhindert zu haben. Am Freitagabend platzte allerdings die Bombe: Der öffentlich-rechtliche RBB erklärte, alle seine Online-Beiträge zu löschen, in denen es um „konkrete Vorwürfe“ gegen den Grünen gehe.
Die Berichterstattung habe sich auf Vorwürfe gestützt, „bei denen Frauen uns eigenes Erleben eidesstattlich versicherten“, teilte der RBB mit. Doch der Sender bekam Zweifel an der Identität einer der Frauen, die sich Anne K. nannte. „Mittlerweile steht fest: Anne K. war nicht diejenige, für die sie sich ausgab“, räumte der RBB ein. „Mit hoher Wahrscheinlichkeit existiert diese Frau gar nicht.“ Eine Bezirkspolitikerin der Grünen habe sich „zweifelsfrei“ gegenüber dem RBB als Anne K. ausgegeben und unter diesem Namen auch eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, hieß es in der Erklärung weiter.
Grünen-Politikerin Shirin Kreße legt Mandat nieder und tritt aus Partei aus
Die Grünen-Bundeschefs Franziska Brantner und Felix Banaszak drohten daraufhin mit einem Parteiausschlussverfahren, sollte sich der Verdacht einer parteiinternen Intrige bestätigen. Am Samstag teilte die Vorsitzende der Grünenfraktion in Berlin-Mitte, Shirin Kreße, ihrer Partei schließlich ohne Nennung von Gründen mit, dass sie so schnell wie möglich ihr Mandat niederlegen und aus der Partei austreten werde, wie die Berliner Grünen dieser Redaktion bestätigten.
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Der Fall ist aber nach diesem Wochenende keinesfalls erledigt. Die Grünen müssen klären, ob nun noch Anschuldigungen gegen Gelbhaar fortbestehen, die es aufzuklären gilt. Zudem muss sich die Partei mit dem auch in den eigenen Reihen erhobenen Vorwurf auseinandersetzen, Gelbhaar vorschnell und ohne Beweise ins politische Abseits befördert zu haben. Im nächsten Bundestag wird der Politiker nicht vertreten sein.
Gelbhaar-Intrige: Konkurrenz der Grünen nimmt Habecks Wahlkampfmanager ins Visier
Zudem ist die Intrige so kurz vor der Bundestagswahl ein gefundenes Fressen für die politische Konkurrenz – zumal der Wahlkampfmanager von Kanzlerkandidat Habeck, Andreas Audretsch, dadurch ohne Kampfabstimmung den zweiten Platz der Grünen-Landesliste für die Bundestagswahl ergatterte. Audretschs Aussichten auf einen sicheren Listenplatz waren zwar ohnehin gut, doch das Netz ist nun voll von politisch motiviertem Geraune.
Von einem „Schmutz-Skandal in Habecks engstem Umfeld“ spricht die stellvertretende CDU-Generalsekretärin Christina Stumpp auf der Plattform X, obwohl Audretsch jegliche Verwicklungen in die Intrige zurückweist. „Wenig glaubwürdig“ sei das, mutmaßt Stumpp. Die von „niedrigsten“ Beweggründen getriebene „Rufmordkampagne“ mache die Grünen „unwählbar“, findet der FDP-Bundestagsabgeordnete Marcus Faber. Er hoffe, die „Hintergründe um Audretsch“ könnten vollkommen aufgeklärt werden.
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