Berlin. Die Union wirft dem Wirtschaftsminister „Täuschungsmanöver“ beim Atomausstieg vor. Der sagt, es ging damals um „machen was hilft und geht“.
Kurz vor Ende dieser Legislatur blickt der Bundestag noch einmal intensiv zurück an den Anfang. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg empfing am Donnerstag seine hochrangigsten und voraussichtlichen letzten Zeugen. Eingeladen waren Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundeskanzler Olaf Scholz. Und vor allem der Auftritt des Habecks war mit Spannung erwartet worden.
Den Untersuchungsausschuss hatte der Bundestag im vergangenen Sommer eingesetzt, um auf die Zeit der Energiekrise und den Atomausstieg zu blicken. Im Raum stand damals die Frage, ob der vor dem Hintergrund der Krise nicht nach hinten geschoben werden müsse. Wie die Sache ausging, ist bekannt: Nach einem Machtwort des Kanzlers liefen die Akw Lingen, Emsland und Isar II bis zum 15. April 2023 statt wie ursprünglich geplant bis zum 31. Dezember 2022. Der Ausschuss hat den Auftrag zu klären, ob der Prozess, der dahin führte, ergebnisoffen war – oder ob politisch ein Ergebnis vorgegeben war.
Bedrohte Energiesicherheit nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine
Wirtschaftsminister Habeck beginnt die Befragung am Donnerstag mit einem Blick zurück und erinnert daran, wie bedroht die deutsche Energiesicherheit nach dem Überfall auf die Ukraine war: Enorme Teile von Deutschlands Energieimporten kamen aus Russland, die Gasspeicher waren nicht voll genug, die Gefahr eines Lieferstopps von Gas mit all seinen wirtschaftlichen und sozialen Folgen war da. In dieser Situation, sagt Habeck, habe es für ihn vor allem eine Leitschnur gegeben: die Gasversorgung sichern, „machen was hilft und geht“.
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Doch nach einem Gespräch mit den Betreibern der verbliebenen Akw sei man zu dem Schluss gekommen, dass ein Streckbetrieb nicht helfen würde, weil ein längeres Laufen der Kraftwerke im Winter eine Pause im Sommer erfordern würde. Weil aber dann Gaskraftwerke mehr Strom hätten produzieren müssen, hätte das dem Auffüllen der Speicher und der Vorbereitung auf den nächsten Winter geschadet.
Er beschreibt auch, wie sich die Situation über den Sommer noch verschärfte durch den Ausfall zahlreicher französischer Atomkraftwerke für die Stromversorgung. Und wie im Herbst 2022 klar wurde, dass die deutschen Akw einen Beitrag zur Stabilität des Stromnetzes leisten können. Die Betreiber, erinnert sich Habeck, hätten zudem über den Sommer ihre Angaben zu möglichen Strommengen nach oben korriegiert.
Befragung im U-Ausschuss: Wildes Themen-Springen, harte Wortgefechte
Rund um diese Monate und Entscheidungen kreist die Befragung im Ausschuss. Die Diskussion springt dabei wild – zwischen dem Frühjahr und dem Sommer 2022, zu Sicherheitsüberprüfungen und abgebrochenen Versuchen, mit der Opposition im Frühjahr 2022 einen parteiübergreifenden „Energiekonsens“ herzustellen. Und immer wieder gleitet sie auch ab in Richtung von übergeordneten Fragen, etwa die, wer die politische Verantwortung für die Abhängigkeit von Russland trägt und was Atomkraft zur CO2-Einsparung beitragen kann.
Der Wirtschaftsminister gibt sich dabei keine Mühe zu verbergen, wenn er die Stoßrichtung einer Frage für wenig sinnvoll hält. Vertretern der Union und der FDP liefert er sich zum Teil lange Wortgefechte. Der Ausschussvorsitzende Stefan Heck (CDU) etwa wirft dem Wirtschaftsministerium vor, aus der Einschätzung eines Kraftwerksbetreibers (RWE) in einer Email die Einschätzung aller drei betreffenden Kraftwerksbetreiber gemacht zu haben. „Das ist aus meiner Sicht nicht richtig dargestellt“, entgegnet Habeck und verweist auf Gespräche mit allen Betreibern und ein gemeinsames Protokoll von Anfang März 2023.
Die vielen verschiedenen Fragestränge und die Interpretationen, mit denen manche Abgeordnete ihren Fragen ergänzen, zeigen, dass die 23. Sitzungen des Ausschusses bislang nichts zu Tage gefördert haben, was als schlagender Beweis in die eine oder andere Richtung gelesen werden muss.
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Union wittert Täuschung
Und so geht es nicht nur um das, was gesagt und getan wurde, sondern vor allem auch darum, wie das auszulegen sei. Ein CDU-Abgeordneter erinnert an die Befragung eines Referenten des Wirtschaftsministeriums, der anders als der damalige Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen der Meinung war, ein Streckbetrieb könne sinnvoll sein. Dass Graichen dann, obwohl er von der Argumentation des Mitarbeiters nicht überzeugt war, trotzdem darum bat, diese noch einmal schriftlich zu bekommen – war das dann ein Lippenbekenntnis, wie die Union vermutet?
Oder war es ein Ausweis, dass wirklich ergebnisoffen geprüft wurde, wie Habeck argumentiert? Und wenn diese schriftliche Argumentation den Minister nie erreicht hat – ist das die übliche Arbeitsteilung in einem Ministerium, wo der Chef nicht alles lesen muss, oder wurde ihm dieser Vermerkt vorenthalten?
Entsprechend weit auseinander liegen die Fraktionen dann auch in ihrer Bewertung dessen, was die Untersuchung bisher ergeben hat. Der Ausschussvorsitzende Heck sprach schon vor Beginn der Sitzung von einem „großangelegten Täuschungsmanöver“ der grün geführten Ministerien für Wirtschaft und für Umwelt, sein Fraktionskollege Andreas Lenz (CSU) von einer „Täuschungsmaschinerie“. SPD und Grüne sahen dagegen keine Anhaltspunkte, dass die Prüfung nicht ergebnisoffen gewesen sei.
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