Jerusalem. 33 Geiseln sollen in wenigen Tagen freikommen, eine Waffenruhe in Gaza soll in Kraft treten. Was Israel und die Hamas ausgehandelt haben.
Nach 15 Monaten Krieg ging am Mittwoch gegen 19 Uhr ein tiefes Seufzen der Erleichterung durch Israel und Gaza: Endlich werden in Gaza die Waffen schweigen, Flüchtlinge dürfen nach Hause zurückkehren. Und endlich kann wenigstens ein Teil der von der Hamas festgehaltenen Geiseln aus den Händen ihrer Entführer entlassen werden.
Vorerst soll die Waffenruhe 42 Tage lang dauern, 33 Geiseln sollen bis zum Ende dieser ersten Phase freigelassen werden. Im Gegenzug entlässt Israel mehr als 1000 palästinensische Gefangene aus Gefängnissen, und die israelische Armee zieht sich aus weiten Teilen des Gazastreifens zurück.
Israel: Diese Geiseln sollen zuerst freikommen
„Jeder einzelne, der zurückkehrt, bringt Hoffnung und Erleichterung, nicht nur für die eigene Familie, sondern für uns alle“, erklärte das Forum der Geisel-Angehörigen am Mittwoch. Von gelöster Stimmung kann bei den Familien der Geiseln dennoch keine Rede sein. Denn niemand weiß, wie viele noch am Leben sind. Unklar ist auch, ob sich alle Seiten an den Deal halten und am Ende wirklich alle noch lebenden Geiseln zurückkehren können. Die Familien der Geiseln sind deshalb höchst angespannt.
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Wer zuerst freikommt: Kinder, Jugendliche und Frauen. Teil der ersten Etappe sollen auch Männer über 50 Jahre sein, sowie kranke oder verletzte Männer. Jüngere und gesunde Männer kommen erst einmal nicht zum Zug. Zwar kann bezweifelt werden, dass es nach 15 Monaten in Hamas-Gewalt noch irgendjemanden gibt, der bei gesundem Zustand ist. Die Hamas behauptet dies aber. Israelische Kinder, deren Väter als Geiseln in Gaza ausharren müssen und von der Hamas nicht als krank eingestuft werden, müssen also weiterhin bangen.
Israel zahlt hohen Preis für das Abkommen mit der Hamas
Der Preis, den Israel für diesen Deal zahlt, ist kein geringer. Israel wird für jede Geisel mindestens 30 palästinensische Häftlinge freilassen müssen. Zum Vergleich: Beim ersten Geisel-Deal im November 2023 kamen auf jede Geisel drei palästinensische Gefangene.
Terroristen, die sich am Massaker vom 7. Oktober beteiligten, würden jedenfalls nicht freigelassen, versichern Vertreter Israels. Sehr wohl freigelassen werden aber offenbar rund 200 Terroristen, die wegen terroristischer Bluttaten zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt wurden.
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Wobei diese Liste noch nicht fix ist. Nachdem Israels Regierung den Geisel-Deal angenommen hat, wird die Liste der freizulassenden Terroristen publiziert. Danach hat die israelische Öffentlichkeit 48 Stunden lang Zeit, um einzelne Namen auf der Liste beim obersten Gericht anzufechten. Überlebende oder Angehörige von Opfern jener Anschläge, die den Terroristen zugerechnet werden, sollen so die Möglichkeit haben, über das Schicksal der Mörder mitzubestimmen.
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Israel: Verurteilte Terroristen sollen nicht freikommen
Wegen tödlicher Anschläge in Israel oder dem Westjordanland verurteilte Terroristen sollen jedenfalls nicht ins Westjordanland zurückkehren dürfen, sondern nach Gaza, in die Türkei oder nach Katar abgeschoben werden.
Die Zahl der Freilassungen von Palästinensern und der vereinbarte Teilrückzug der israelischen Armee aus Gaza: Das sind die Punkte, die Israels Hardlinern Magenschmerzen bereiten. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte ihnen den „absoluten Sieg“ über die Hamas versprochen, nun räumt die Armee das Feld, obwohl die Hamas immer noch in weiten Teilen Gazas das Sagen hat.
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Dafür hat sich Israel eine Reihe von Sicherheitsgarantien ausverhandelt. So wird an der Grenze zu Israel eine Pufferzone eingerichtet, die bis zu 1500 Meter breit sein soll. Der Gazastreifen ist an seiner engsten Stelle nur sechs Kilometer breit.
Die Binnenflüchtlinge im Süden des Gazastreifens dürfen zu einem großen Teil in den Norden zurückkehren, sie werden aber auf dem Weg in den Norden untersucht und durch Scanner geschleust. So soll verhindert werden, dass die Hamas sich im Norden weiter bewaffnet.
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Israel: Rechtsextreme in der Regierung protestieren lautstark
Einiges ist aber noch unklar. So garantiert Israel der Hamas ein Einstellen der Kämpfe. Ist das aber auch schon ein Ende des Krieges, wie die Hamas gefordert hat? In den Verhandlungen ging es offenbar auch darum, eine Formulierung zu finden, die beide Interpretationen zulässt. So sollte ermöglicht werden, dass sowohl Hamas als auch Israel gesichtswahrend dem Deal zustimmen konnten.
Wann die ersten Geiseln nach Israel zurückkehren können, ist noch unklar. Schätzungen gehen von Sonntag aus.
Zuerst braucht es einmal einen Beschluss in Israels Regierung. Lautstarken Protest gab es bis zuletzt von Israels mitregierenden Rechtsextremen. Auf ihre Stimmen ist Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zwar nicht angewiesen, um den Deal durchzubringen. Er braucht sie aber auch weiterhin als Koalitionspartner. Zudem kam der Widerstand auch aus seiner eigenen Partei. Um diese Gegenstimmen zu besänftigen, soll Donald Trump Netanjahu eine Reihe von Belohnungen in Aussicht gestellt haben, wie der israelische Investigativjournalist Ronen Bergman berichtete.
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Trump: Diese Belohnungen sollen in seinem Geschenkpaket an Netanjahu stecken
So soll Trump versichert haben, dass die USA Israel auch weiter den Rücken stärken, sollte die Armee die Waffenruhe brechen. Für weiteren Siedlungsausbau im Westjordanland soll Trump ebenfalls seine Unterstützung zugesagt haben. Außerdem im Geschenkpaket enthalten: Eine baldige Abschaffung der US-Sanktionen gegen israelische Siedlerterroristen.
Ob das die Rechtsextremen in Netanjahus Kabinett überzeugt? Beobachter in Israel rechnen damit, dass sie dem Deal am Donnerstag zustimmen werden, wenn Netanjahu die Details in der Regierungssitzung zum Beschluss vorlegt. Wie immer im Nahen Osten gilt aber auch diesmal: Alles ist offen.