Jerusalem. Hilfe kommt nicht an. Die wenigen Transporte, die es nach Gaza schaffen, werden immer häufiger von kriminellen Gangs geplündert.

Die weißen Laken, in die Sela Al-Fasih gewickelt wurde, sollten auch ihr Leichentuch sein. Sela ist eines von mindestens drei Neugeborenen in Gaza, die in den vergangenen Tagen laut palästinensischen Angaben an Unterkühlung starben. Hilfsorganisationen befürchten, dass die kommenden Wochen noch mehr Kältetote fordern könnten. Denn Gaza geht auf den kältesten Monat dieses Winters zu.

Regen, Hagel und Kälte treffen die Menschen in Gaza härter als je zuvor: Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung im Gazastreifen sind Binnenvertriebene. Sie leben in Notbehausungen und Zelten, wo sie nicht gegen Frost und Niederschlag geschützt sind. Zudem mangelt es an Winterausrüstung, da die Menschen auf der Flucht nur leichte Bekleidung mitnehmen konnten. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) warnt: Schon jetzt nehmen Infektionskrankheiten zu, die sinkenden Temperaturen werden die Lage noch verschlimmern. Da die Körper von der stetigen Unterernährung geschwächt sind, haben Viren ein leichtes Spiel. Besonders heftig trifft es Kinder.

Die Hilfe für Gaza kommt bei den Bedürftigen nicht an

„Die Kinder in Gaza frieren, sind krank und traumatisiert. Hunger und Mangelernährung und die schwierigen Lebensumstände bewirken, dass diese Kinder in ständiger Lebensgefahr leben“, warnt Rosalia Bollen vom UN-Kinderhilfswerk Unicef.

Vielen Familien fehlt es an Winterkleidung für Kinder, sowie an Matratzen und warmen Decken. Sie schlafen auf dünnen Unterlagen, die sie vor der aufsteigenden Kälte nicht schützen. Der Wind droht zudem die Zelte zu beschädigen oder abzureißen. Laut UN-Angaben stecken derzeit 22.000 dringend benötigte Zelte und 600.000 Decken in Jordanien und Ägypten fest, weil es an Einfuhrbewilligungen oder sicheren Lieferrouten fehlt. Zudem erhalten Nahrungslieferungen oft den Vorrang, wenn entschieden werden muss, welche Lastwagen nach Gaza gelangen. Die Versorgung mit Winterausrüstung kam deshalb zu kurz.

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Fast die gesamte Bevölkerung von Gaza ist von humanitären Lieferungen abhängig, da die Wirtschaft in Gaza infolge des von der Hamas am 7. Oktober 2023 begonnenen Kriegs zusammengebrochen ist. Zudem sind die Grenzen für Einfuhren geschlossen. Die Hilfslieferungen reichen aber bei weitem nicht aus, laut Hilfs-NGOs sind sie sogar rückläufig.

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    Zwar gibt es einen Vorrat an Hilfsgütern, er kommt bei den Bedürftigen aber nicht an. Drei Engpässe gibt es auf dem Weg der Hilfslieferungen: Einerseits behindern israelische Behörden den Zugang, indem sie Lieferungen keine Einfuhrgenehmigung erteilen. Die schwarze Liste verbotener Einfuhrgüter verändert sich dauernd und umfasst laut Angaben von MSF auch dringend benötigtes medizinisches Material wie Skalpelle oder Kühlgeräte für Medikamente. Häufig wird wegen eines einzigen verbotenen Produkts der gesamte Lastwagen an der Einfuhr gehindert, berichtet die Hilfsorganisation.

    Frauen trauern in Gaza-Stadt um tote Angehörige.
    Frauen trauern in Gaza-Stadt um tote Angehörige. © AFP | OMAR AL-QATTAA

    Im Norden von Gaza ist die Lage besonders heikel

    Transporte, die es nach Gaza schaffen, werden immer häufiger von kriminellen Gangs geplündert. So bestand ein UN-Konvoi mit Nahrungspaketen, der Mitte November in den Gazastreifen kam, zwar aus 109 Lastwagen – doch nur zwölf davon schafften es ans Ziel. Der Rest wurde gewaltsam geplündert, die Lenker wurden mit Waffengewalt gezwungen, die Fracht abzuladen und den Kriminellen zu übergeben. Diese verkaufen die Güter dann auf den Märkten zu Wucherpreisen weiter. Die Vereinten Nationen werfen Israel vor, tatenlos zuzuschauen, wie die Gangs auf dem Rücken der Bedürftigen florieren.

    Besonders angespannt ist die Lage im Norden Gazas, wo sich jene Menschen aufhalten, die nicht in den Süden flüchten konnten oder wollten. Seit Oktober herrscht dort eine weitgehende Blockade durch das israelische Militär. „Es ist praktisch unmöglich geworden, auch nur einen kleinen Bruchteil der so dringend benötigten Hilfe zu liefern“, beklagt Tom Fletcher, Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen nach einer Reise in den Gazastreifen. Seit dem 6. Oktober hätten die israelischen Behörden mehr als hundert UN-Ansuchen um Hilfslieferungen in den Norden Gazas abgelehnt.

    Vor elf Monaten hatte der Internationale Gerichtshof Israel aufgerufen, „sofortige und wirksame Maßnahmen“ zu treffen, um die Versorgung mit dringend benötigten humanitären Gütern in Gaza zu ermöglichen. Ärzte ohne Grenzen, deren Helfer in Gaza Bedürftige versorgen, kritisiert, dass Israel dieser Verpflichtung nicht nachkommt. „Israelische Behörden halten uns und andere humanitäre Organisationen davon ab, lebensrettende Hilfe zu leisten“, kritisiert MSF in einem Bericht.

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    Angriffe auf eines der letzten funktionierenden Krankenhäuser in Nord-Gaza

    Israels Militär dementiert, dass Hilfslieferungen blockiert werden. Den laufenden Beschuss im Norden des Gazastreifens erklärt man damit, dass die Hamas sich dort neu gruppiert und Kommandozentren inmitten der Zivilbevölkerung errichtet habe - unter anderem im Kamal Adwan Krankenhaus, einem der letzten funktionierenden Krankenhäuser im Norden.

    Die israelische Organisation Ärzte für Menschenrechte will das nicht gelten lassen. Sie hat das Höchstgericht in Jerusalem angerufen, damit dieses einen sofortigen Stopp der Angriffe auf das Krankenhaus verordnet – was als unwahrscheinlich gilt. Hilfsorganisationen, aber auch die Angehörigen der israelischen Geiseln, die immer noch von der Hamas in Gaza festgehalten werden, verlangen eine sofortige Waffenruhe. Entsprechende Verhandlungen blieben bislang aber ohne Erfolg.

    Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl