Jerusalem. Gaza-Veteranen könnten im Ausland von der Justiz verfolgt werden. Indizien sammeln pro-palästinensische Gruppen auch in den sozialen Medien.
Auslandsreisen unbekümmert anzutreten, fällt Israelis immer schwerer: Vor allem Männer mit religiöser Kopfbedeckung müssen fürchten, Opfer antisemitischer Übergriffe zu werden. Aber auch Israelis, die nicht als Juden optisch erkennbar sind, laufen Gefahr. Nun warnen Behörden in Israel vor einer neuen Bedrohung. Sie betrifft jene Soldaten, die im Krieg in Gaza im Einsatz waren. Die Soldaten laufen Gefahr, im Ausland von der Justiz verfolgt zu werden. Der Vorwurf: Kriegsverbrechen.
Von Dutzenden Strafverfahren ist die Rede, auch in mehreren europäischen Staaten. Die Vorgangsweise ist immer dieselbe: Pro-palästinensische Gruppen sammeln Informationen über einzelne israelische Soldaten. Alles, was im Internet verfügbar ist, wird gefiltert, ausgewertet und zu Dossiers vereinigt. Diese Datensammlungen legen die Gruppen dann der Justiz in verschiedenen Ländern vor. Und die Justiz prüft die Vorwürfe dann.
Der jüngste Fall, der öffentlich wurde, betraf einen Israeli, der nach Brasilien reiste. Die Reise fand ein vorzeitiges Ende: Ein Brief vom Gericht in Brasilia ließ den Reservesoldaten wissen, dass die lokale Justiz gegen ihn ermittele. Der Vorwurf: Kriegsverbrechen. Israels Behörden halfen dem Israeli, so rasch wie möglich das Land verlassen zu können, um sich der Strafverfolgung zu entziehen.
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Brasilien, Sri Lanka und Zypern: Ermittlungsverfahren gegen israelische Reservisten
Den Namen des Reservesoldaten geben die Behörden in Israel nicht bekannt, nur so viel: Die in Belgien eingetragene pro-palästinensische Hind-Rajab-Stiftung habe über den Soldaten Informationen gesammelt und ein Portfolio erstellt, das sie der Justiz in Brasilien übermittelte. Nun gehen die Strafverfolgungsbehörden in Brasilien diesen Vorwürfen nach und haben den Reservisten aufgefordert, an den Ermittlungen mitzuwirken.
Ähnliche Fälle gab es zuvor bereits in Sri Lanka und Zypern. In Israel geht man davon aus, dass in zahlreichen Staaten ähnliche Verfahren anhängig sind, Schätzungen sprechen von Dutzenden Ermittlungsverfahren. Tausende Soldaten könnten davon betroffen sein. Im Extremfall kann es zu Haftbefehlen kommen. Die Reservisten werden daher aufgefordert, vorsichtig zu sein, ihre Reiseziele genau abzuwägen und keinesfalls in sozialen Medien darüber Aufschluss zu geben, wo sie sich gerade aufhalten.
Israel: Wie kommen pro-palästinensische Gruppen an das Material heran?
Soziale Medien und der fahrlässige Umgang mit ihnen machen es ihnen leicht. Immer wieder sorgten verstörende TikTok-Videos israelischer Soldaten von der Front in Gaza für Aufsehen: Manche prahlten damit, Dörfer in die Luft zu sprengen, andere veranstalteten Partys in den Privaträumen von Binnenvertriebenen. Wieder andere spielten sich auf Fotos als die neuen Machthaber in Gaza auf. Israels Armee hat sich von diesen Postings wiederholt distanziert.
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Viele Postings sind aber auch ganz harmlosen Inhalts und geben nur darüber Aufschluss, dass die Soldaten in Gaza im Einsatz waren. Auch diese Bilder dienen den Gruppen als Indiz für mögliche Kriegsverbrechen und werden der Justiz vorgelegt.
Auch, wenn sich die Vorwürfe in vielen Fällen in Luft auflösen: Die Anzeigen sollen auch als Mittel zur Einschüchterung dienen. Besonders gefährdet sind laut israelischen Juristen vor allem Doppelstaatsbürger, die ihre Angehörigen in der Zweitheimat besuchen und der Justiz dort unterworfen sind. Auch Soldaten im Offiziersrang gelten als Risikogruppe.
Bisher nur Indizien: Eher unwahrscheinlich, dass Soldaten Kriegsverbrechen nachgewiesen werden
Im aktuellen Fall in Brasilien wirft die Hind-Rajab-Stiftung dem israelischen Reservisten vor, an „massiver Vernichtung ziviler Häuser in Gaza“ beteiligt gewesen zu sein. Diese Zerstörung sei Teil einer größeren Kampagne, die Palästinensern in Gaza ein menschenwürdiges Leben verunmöglichen soll, heißt es. Die Stiftung habe der Justiz Videos, GPS-Daten und Fotos vorgelegt, mehr als 500 Seiten stark sei das Dossier. Aus den Belegen soll hervorgehen, dass der Soldat höchstpersönlich Sprengsätze angebracht hat.
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Ob das schon ausreicht, um den Soldaten festzunehmen, ist fraglich. Auch in den anderen Fällen gilt es als wenig wahrscheinlich, dass den einzelnen Soldaten und Soldatinnen Kriegsverbrechen nachgewiesen werden können. Leichter fällt die Verfolgung bei hochrangigen Politikern und Generälen, die für die Ausrichtung der Kampagne in Gaza Verantwortung tragen oder konkrete Befehle erteilt haben.
Im November hatte der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag bereits solche Schritte ergriffen und Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und Ex-Verteidigungsminister Joav Gallant verhängt. Ihnen wird vorgeworfen, „absichtlich und wissentlich der Zivilbevölkerung im Gazastreifen wesentliche Dinge für ihr Überleben einschließlich Nahrung, Wasser sowie Medikamente und medizinische Hilfsmittel sowie Brennstoffe und Strom vorenthalten zu haben“. Alle 125 Staaten, die sich der Judikatur des Gerichtshofs unterworfen haben, müssen diese Haftbefehle umsetzen – darunter auch Deutschland.
Israel weist den Vorwurf von Kriegsverbrechen zurück und verweist auf das Recht auf Selbstverteidigung gegen die beispiellosen Angriffe der Hamas und die Massaker und Geiselnahmen am 7. Oktober 2023. Die Hind-Rajab-Stiftung, die sich nach einem fünfjährigen Mädchen benannt hat, das bei einem israelischen Schlag ums Leben kam, wirft Israel hingegen Völkermord in Gaza vor. Ob dieser Vorwurf berechtigt ist, wird derzeit vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag geprüft.
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