Berlin. Nicht nur der Gazastreifen ist Schauplatz des Nahostkonfliktes. Wer in der Westbank regiert und was ihren Status so kompliziert macht.
„All Eyes on Rafah“, wird seit dem Überfall der radikal islamistischen Hamas auf Israel von propalästinensischen Demonstranten skandiert. Will heißen: Die Aufmerksamkeit der Welt soll sich auf den Einsatz der israelischen Armee in der Grenzstadt des Gazastreifens richten. Das Militär versucht dort seit Monaten, die Hochburgen der Hamas zu zerstören – was nicht selten hohe Zahlen ziviler Opfer einschließt.
Doch während die Welt mit gemischten Gefühlen auf die Lage im Gazastreifen blickt, ist der Landstrich am Mittelmeer mitnichten der einzige historische Schauplatz des Nahostkonfliktes, der seit dem brutalen Überfall der Hamas auf Israel wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist. Auch wenn der 360 Quadratkilometer große Gazastreifen derzeit die meiste Aufmerksamkeit zieht, kommt es im weitaus größeres Westjordanland immer wieder zu Zwischenfällen.
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Westjordanland: So viele Menschen leben dort
Anfang September etwa wurden an der Grenze zu Jordanien drei Israelis erschossen. Ein aus Jordanien kommender „Terrorist“ sei aus einem Lastwagen ausgestiegen und habe auf Mitarbeiter einer israelischen Sicherheitsfirma geschossen, teilte die Armee mit. Ein Vorfall, der die Frage aufwirft: Welche Rolle spielt das Westjordanland in dem seit nunmehr über 70 Jahre lodernden Nahostkonflikt?
Das Westjordanland, auch Westbank (Westufer) genannt, erstreckt sich auf einer Fläche von 5860 Quadratkilometern im Westen Israels und teilt sich eine Grenze mit dem Nachbarland Jordanien. Entlang der Grenze fließt auch der namensgebende Fluss Jordan, der im Toten Meer mündet. Rund 3,3 Millionen Menschen leben im Westjordanland. Zum Vergleich: Im Gazastreifen sind es 2,2 Millionen auf 360 Quadratkilometern.
Teilungsplan von 1947 scheitert – Westjordanland unter jordanischer Besatzung
Das Westjordanland blickt auf eine bewegte Geschichte zurück; wie im Gazastreifen leben hier überwiegend Palästinenser. Für den bis heute andauernden Konflikt mit Israel ist der Teilungsplan von 1947 entscheidend. Das Vorhaben der UN sah vor, das britische Mandat für die Region zu beenden und die Gebietshoheit in die Hände von Palästinensern und Israelis zu übergeben. Den Konflikt wollte man mit der Aufteilung des Landes beenden. Auf dem Gebiet des Westjordanland sollte demnach ein arabischer Staat gegründet werden.
Nur einen Tag nach der Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 rückte dann eine Allianz der Staaten Jordanien, Ägypten, Syrien und Irak über die Grenzen. Sie lehnten den Teilungsplan der UN ab und stießen im sogenannten Palästinakrieg auf israelische Truppen, die den Krieg nach einem Waffenstillstand 1949 weitestgehend für sich entscheiden konnten.
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Ein Bild für die Geschichtsbücher: Arafat und Rabin beschließen gegenseitige Anerkennung
Dennoch blieb das Westjordanland zunächst von Jordanien besetzt und wurde 1950 annektiert, bis es im Sechstagekrieg 1967 von israelischen Streitkräften besetzt wurde. Dieser Zustand hält bis heute an, auch wenn zahlreiche Initiativen versuchten, eine friedliche Koexistenz zwischen Israelis und Palästinensern zu ermöglichen.
Das Bild von Israels damaligem Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin, dem Anführer der palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) Jassir Arafat und Ex-US-Präsident Bill Clinton ging 1993 um die Welt: Israelis und Palästinenser sollten sich im Oslo-Friedensprozess erstmals wechselseitig anerkennen. Das Abkommen sah ebenfalls vor, dass die Palästinenser den Gazastreifen und das Westjordanland autonom verwalten. Arafat und Rabin sollten für den Oslo-Friedensprozess später den Friedensnobelpreis bekommen.
Trotz dieser Bemühungen steht das Westjordanland noch heute unter israelischer Besatzung. Der Friedensprozess kam unter anderem deshalb zum Erliegen, weil Ministerpräsident Rabin 1995 von einem rechtsextremen Israeli ermordet wurde. Der neue Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verfolgte seit 1996 eine deutlich konfrontativere Politik. Die PLO hat den Friedensprozess nie ratifiziert.
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Westjordanland: Annektiert, besetzt und besiedelt
Heute regiert im Westjordanland die palästinensische Autonomiebehörde, wobei der im April neu vereidigte Regierung unter Regierungschef Mohamed Mustafa wegen der israelischen Besatzung nur ein eingeschränkter Handlungsspielraum bleibt. Die palästinensische Autonomiebehörde hat den Anspruch, alle Palästinenser vertreten zu wollen. Präsident ist Mahmud Abbas. Seine Fatah-Partei hatte sich 2006 mit der im Gazastreifen herrschenden radikal islamistischen Hamas verworfen.
Noch immer ist das Westjordanland ein Gebiet, das von zahlreichen territorialen Ansprüchen durchzogen ist: Weite Teile der Westbank sind besetzt, wobei große Sperranlagen und Zäune die Grenze zu Israel markieren. Immer wieder steht auch die expansive Siedlungspolitik im Fokus, die von der konservativen Regierung unter Netanjahu toleriert – mitunter forciert – wird. Zahlen der letzten Jahrzehnte zeigen, wie dadurch der Anteil der israelischen Bevölkerung auf Gebieten des Westjordanlandes immer weiter steigt. Mittlerweile sollen über 500.000 Israelis in der Westbank leben. 2010 waren es noch gut 300.000. Der Internationale Gerichtshof bezeichnete die Ausweisung von Siedlungsgebieten zuletzt als faktische Annexion.