Tokio. In der russischen Region Kursk sollen bereits 300 nordkoreanische Soldaten gefallen sein. Deren Notizbücher enthüllen grausame Befehle.
Der Mann, den das ukrainische Militär gerade festgenommen hatte, schien nicht viel von dem zu wissen, was vor sich ging. Aus Nordkorea sei er gekommen, genau wie ein anderer Soldat, der im Gefecht verwundet und dann festgehalten worden war. Aber zurück in die Heimat wolle er nicht, sagt er. Ihm sei nicht einmal klar gewesen, dass er in der Ukraine kämpfen würde. So sagt es der junge Mann mit bandagierten Händen in einem Video, das der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gepostet hat.
Im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine besteht mittlerweile kein Zweifel mehr: Beim nordkoreanischen Personal, das ab vergangenem Jahr in die Kriegszone geschickt worden ist, um die Bemühungen Russlands zu unterstützen, handelt es sich zumindest teilweise um Soldaten. Zwischen 11.000 und 12.000 Personen hat die Regierung Nordkoreas – die Russland längst auch mit Waffen und Zubehör versorgt – nach Russland entsandt. Viele von ihnen sind offenbar völlig ahnungslos, was ihre Aufgabe angeht.
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Im Ukraine-Krieg sollen schon 300 nordkoreanische Soldaten ihr Leben verloren haben
Laut dem Geheimdienst von Südkorea – das mit Nordkorea seit dem 1953 nur in einem Waffenstillstand gemündeten Koreakrieg formal im Kriegszustand verharrt – haben bereits 300 Soldaten aus Nordkorea ihr Leben verloren, 2700 sind verwundet worden. Am Wochenende kam zudem heraus, dass zwei Soldaten durch das ukrainische Militär gefangen genommen worden sind. Nun zeigt sich nicht mehr nur, dass die Soldaten schlecht vorbereitet scheinen und für das ukrainische Militär leichte Ziele sind.
Mit Verhören, gefundenen Gegenständen und Weiterem zeichnet sich allmählich auch ein Bild davon, um wen es sich bei den Nordkoreanern handelt, wie sie an die Front in einem Tausende Kilometer entfernten Krieg kamen und wie man sie vorbereitet hat. Im Notizbuch eines gestorbenen Soldaten zeigt sich etwa eine Zeichnung zum Abschuss von Drohnen, mit dem Merksatz: „Wenn der Köder stillsteht, stoppt die Drohne und wird abgeschossen.“ Der „Köder“ sind dabei offenbar Soldaten wie er und seine Kameraden.
Nordkorea sagt seinen Soldaten wohl auch, sie mögen sich in einer aussichtslosen Situation das Leben nehmen, ehe sie vom Feind gefangen werden. Notizen haben zudem gezeigt, dass es sich bei den nordkoreanischen Kämpfern auch um Häftlinge handelt. Von „Sünden“ und dem „Betrug“ an der Liebe der Partei wird da geschrieben. Im Ein-Parteienstaat Nordkorea mutet dies nach großen Vergehen an. Mit einem Einsatz für das Militär sollte dies offenbar zumindest teilweise wiedergutgemacht werden.
Dabei wurde den Soldaten offenbar gesagt, sie würden auf eine „Militärübung“ geschickt. Dies wiederum ist in Nordkorea ein geflügelter Begriff, sagt Vladimir Tikhonov, Professor für Koreastudien an der Universität Oslo und Experte für Nordkorea. Bis in den 1990er Jahre seien nordkoreanische Soldaten regelmäßig auf Erkundungsmissionen gewesen, um Südkorea auszuspähen. „Auch hier wurde der Begriff ‚Sonderübung‘ verwendet“, so Tikhonov.
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In Nordkorea wird von „Sklavensoldaten“ gesprochen
Angehörige der Soldaten werden unterdessen offensichtlich mit Nahrungsmitteln belohnt. Nur scheint ihnen nicht klar zu sein, was der Begriff „Sonderübung“ diesmal bedeutet. „Hier haben die Nordkoreaner die Implikationen davon, auf so eine Mission geschickt zu werden, anscheinend nicht verstanden“, so Tikhonov. Südkoreas Geheimdienst berichtet, dass diese Nachricht nun in Nordkorea durchdringt. Demnach werde in Nordkorea mittlerweile von „Sklavensoldaten“ gesprochen.
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Inwieweit dies zu Instabilität in Nordkorea führt, ist bisher nicht bekannt. Angesichts des eher schwachen Abschneidens nordkoreanischer Soldaten im Einsatz könnte man aber annehmen, dass damit auch der Respekt vor Nordkorea in der Welt abnimmt. Vladimir Tikhonov aber sieht es zumindest mittelfristig eher andersrum. Alles in allem erscheine es nämlich so, als wären die nordkoreanischen Soldaten tatsächlich das, wie die südkoreanische Regierung schon genannt hat: Kanonenfutter. Und dies sei für die Regierung Nordkoreas wohl in Ordnung, sofern der Staat davon profitiere. „Solange Geld fließt, Technologien transferiert werden und das Militär Erfahrungen in moderner Kriegsführung sammelt“, so Tikhonov. Der Einsatz im Ukraine-Krieg werde aus Pjöngjangs Perspektive tatsächlich als Trainingsmission betrachtet, nämlich für den Fall eines neuerlichen Kriegsausbruchs mit Südkorea. „Mit diesen Erfahrungen und neuer Ausstattung aus Russland wird Nordkorea eher gestärkt.“
Unterdessen geht Südkoreas Geheimdienst davon aus, dass Donald Trump, der am 20. Januar erneut sein Amt als Präsident der USA antreten wird, in Kürze einmal mehr den Austausch mit Nordkoreas Diktator Kim Jong-un sucht. Schon während seiner ersten Amtszeit von 2017 bis 2021 traf sich Trump mit Kim, wollte einen Deal zu einer Denuklearisierung Nordkoreas erreichen, scheiterte allerdings. Dabei war Nordkorea damals international viel stärker isoliert als heute. Nun würden Verhandlungen insofern wohl noch schwieriger.
Der Geheimdienst Südkoreas schreibt daher: „Wenn die USA der Ansicht sind, dass eine vollständige Denuklearisierung Nordkoreas in kurzer Zeit kaum zu erwarten ist, könnte ein ‚kleiner Deal‘ – klein angelegte Verhandlungen über ein Einfrieren von Nordkoreas Atomprogramms oder eine nukleare Abrüstung – möglich sein.“ Inwiefern sich Kim Jong-un überhaupt auf erneute Gespräche mit Trump einlassen wird, könnte auch davon abhängen, wie Nordkorea selbst seine Lehren aus dem Ukraine-Einsatz bewertet.
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