Riesa. In Riesa wählt die AfD Weidel zur „Kanzlerkandidatin“. Ihre Rede ist scharf. Und sie verrät drei Dinge über die Partei – und wer der Hauptgegner ist.
Wer wissen will, wo Alice Weidel steht, der muss am Ende der Geschichte beginnen. An dem Punkt, als Weidel zur Kanzlerkandidatin ihrer Partei von den Delegierten im Saal gewählt wurde. Als sie ihre Rede laut und scharf gehalten hat. Als Parteikollegen zu ihr kommen, ihr gratulieren. An dem Punkt kommt Björn Höcke nach vorne ans Podium. Er umarmt Weidel, er küsst sie auf die Wange, beide lachen.
Höcke ist Thüringer Landeschef der Partei. Und er Rechtsextremist, gehört zu den radikalen Treibern der AfD. Weidel lobte ihn in ihrer Rede für den Wahlerfolg in Thüringen im Sommer. Nun holt sich die AfD-Chefin das Lob vom Rechtsaußen zurück. Die AfD, die viele Jahre zerrissen war zwischen „Flügeln“, die sich innerparteilich immer wieder zerstritten hat, demonstriert beim Bundesparteitag im sächsischen Städtchen Riesa Geschlossenheit.
Mehr als eine halbe Stunde redet Weidel in der Arena in Riesa zu den Delegierten der AfD. Sie spricht laut, manchmal reckt sie die Fäuste nach oben. Es wirkt so, als lasse Weidel sich von der Stimmung im Saal anstecken. Hier sehen viele die AfD im Aufschwung, zitieren jüngste Umfragen, in denen die Partei besser dasteht. Eine oft zerstrittene AfD gibt sich in Riesa im Wahlkampf-Rausch.
Die Rede von Weidel gibt Aufschluss: über ihre Position in der Partei, über den Kurs der AfD – und darüber, wen sie zu ihrem Hauptfeind erklärt.
Alice Weidel: Das „nette Gesicht“ der Partei
Zum ersten, Alice Weidel sitzt fest im Sattel der Parteispitze. Sie findet einen Zuspruch, den bisher kein Vorsitzender der zwölf Jahre langen Geschichte der AfD hatte. Den „Live Talk“ mit US-Milliardär finden nicht alle in der Partei inhaltlich gelungen. Aber alle, mit denen man darüber spricht, scheinen stolz darauf, dass sich die AfD-Vorsitzende so eng mit dem reichsten Mann der Welt und engen Vertrauten von Bald-US-Präsident Donald Trump zeigt.
Zudem gilt Weidel vielen als das „nette Gesicht“ der Partei, selbst lesbisch, zieht sie mit ihrer Partnerin zwei Kinder groß. Weidel funktioniert als Feigenblatt für die radikalen Parolen gegen Minderheiten, die sonst oft in der AfD zu hören sind.
Weidel schlägt zugleich selbst immer schärfere Töne an. Das fällt in Riesa auf, das fiel auch schon in den vergangenen Wahlkampf-Wochen auf, als sie laut Medienberichten die Deutschen als „Sklaven“ der USA bezeichnete. Nun, auf dem Parteitag in Riesa, sagt Weidel, sie habe einen „Zukunftsplan“ für Deutschland. Was das für Weidel bedeutet, macht sie gleich als erstes klar: Mit der AfD seien die deutschen Grenzen „dicht“, es werde massenhaft abgeschoben. Weidel sagt: „Und wenn es dann Remigration heißt, dann heißt es Remigration.“ Sie nutzt offen einen Kampfbegriff der extrem rechten Szene. Der Saal applaudiert.
Was einen weiteren Hinweis für den radikalen Sound der Parteivorsitzenden liefert: Nur kurz thematisiert Weidel Steuersenkungen und Bürokratieabbau. Reißerisch ruft sie dagegen in den Saal, man werde alle Windräder „niederreißen“ und alle Studiengänge zu „Genderstudies“ („queer-rote Kaderschmieden“) schließen, die Professoren rausschmeißen. Die Delegierten jubeln, der Weidel-Sound kommt an.
AfD: Der Parteitag zeigt, dass die Partei ihren Kurs noch nicht gefunden hat
Zweitens, die ersten Stunden des Parteitags macht deutlich, dass die Spitze der AfD noch mit dem Kurs ringt. Der Bundesvorstand will auf dem Treffen in Riesa auch die Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA) abschaffen und durch einen neuen Verband ablösen. Der Verfassungsschutz stuft die JA als extremistisch ein. Mit dem Abstoßen der JA wollen die AfD-Spitzen auch eine Einstufung der Gesamtpartei als rechtsextrem abwenden. Sie wollen sich schützen gegen die extremistischen Kräfte in der Partei. Einen Antrag, diesen Punkt von der Tagesordnung zu nehmen, scheiterte auf dem Bundesparteitag. Es ist ein Etappensieg für Weidel.
Alice Weidel lobt Höcke, und nicht nur das: Sie hebt ihn in Riesa symbolisch auf die Bühne. Das ist interessant, denn zuletzt galt der Thüringer Rechtsextremist nicht mehr als so einflussreich in der AfD wie noch vor zwei Jahren. Trotz des Erfolgs bei den Wahlen schien Höcke seinen Zenit in der AfD erreicht zu haben. Warum macht Weidel ihn wieder groß? Das bleibt unklar.
Drittens, Weidel erklärt die Union zum Hauptgegner im Wahlkampf. In ihrer Rede in Riesa nennt sie die Grünen nur am Rande, streift die SPD und Kanzler Olaf Scholz allerhöchstens. Fast ausschließlich attackiert Weidel CDU und CSU sowie deren Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Und auch das in einem radikalen Ton. Die Union sei eine „Betrügerpartei“, kopiere die Programmatik der AfD. Zugleich mache sich die CDU in Thüringen „mit Kommunisten gemein“, weil sie dort mit der Partei von Sahra Wagenknecht koaliere.
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Alice Weidel lässt sich mitreißen – von den Emotionen der eigenen Macht
Auch das ist brisant. Denn Alice Weidel ist eine Königin – aber ohne Macht. Sie regiert die AfD, aber ihr fehlen echte Machtoptionen in Deutschland. Alle anderen Parteien distanzieren sich von der AfD, schließen eine Zusammenarbeit aus. Die Grünen und die SPD ohnehin, aber eben auch die Union unter Merz. An diesem Wochenende betonte Merz noch einmal die „Brandmauer“ gegen die AfD, knüpfte das Nein zu einer Zusammenarbeit mit den Rechtsaußen sogar an seine Person als CDU-Vorsitzender.
Genau diese Mauer baut Weidel mit ihrer Rhetorik gegen Merz und die Union selbst höher. Die Taktik, die dahintersteckt, bleibt unklar. Vielleicht weiß Alice Weidel selbst nicht genau, worauf ihre Worte abzielen. Vielmehr lässt sie sich mitreißen vom Saal, so scheint es. Von den Emotionen der eigenen Macht.
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