Berlin. Mit seiner Aussage von den Nazi-Gaskammern als „Detail der Geschichte“ löste der Rechtsextremist Empörung aus. Seine Thesen wirken nach.

Er war der radikale Vorläufer des Rechtspopulismus in Europa: Jean-Marie Le Pen. Seine Tochter Marine Le Pen in Frankreich, Geert Wilders in den Niederlanden, Herbert Kickl in Österreich sowie Alice Weidel und Tino Chrupalla in Deutschland wären ohne ihn nicht denkbar.

Nationalismus, Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, antimuslimisches und antisemitisches Ideengut: Jean-Marie Le Pen vertrat rechtsextreme Thesen, die heute nicht mehr ganz so scharfkantig daherkommen. Viele wurden weichgespült, einige auch verworfen. Er liebte die Provokation und den Skandal in einer Zeit, als die französische Gesellschaft in großen Teilen noch immun gegen Rechtsaußenpolitik war. Le Pen ist am Dienstag im Alter von 96 Jahren gestorben. Er war vor wenigen Wochen in ein Pflegeheim gebracht worden.

Jean-Marie Le Pen: Quertreiber, Provokateur, Holocaustleugner

Er hatte schon früh die Obsession, Tabus zu knacken und den Naziterror zu relativieren. Weltweit bekannt und berüchtigt wurde Le Pen als Holocaustleugner. In einem Interview mit dem Radiosender RTL betonte er 1988: „Ich stelle mir einige Fragen. Ich sage nicht, es habe die Gaskammern nie gegeben. Ich selbst konnte keine besichtigen, und ich habe diese Frage nicht ausführlich untersucht. Aber ich glaube, dass es sich um ein Detail der Geschichte des Zweiten Weltkriegs handelt.“

Der Aufschrei in der französischen und internationalen Öffentlichkeit war groß. Der notorische Quertreiber hat die Äußerung über das „Detail der Geschichte“ immer wieder variiert und wurde von mehreren Gerichten zu Geldstrafen verurteilt.

Jean-Marie Le Pen: Der Lebensweg des Rechtsextremisten

Le Pen wurde am 20. Juni 1928 als Sohn eines Fischers und einer Näherin in Trinité-sur-Mer in der Bretagne geboren. Schon früh genoss er die Rolle des Enfant terrible. Ab 1947 studierte er an der Universität Paris-Panthéon-Assas Rechts- und Politikwissenschaften. Von 1949 bis 1951 war er dort Vorsitzender des Studentenbundes der juristischen Fakultät, den er antikommunistisch ausrichtete. Er wurde abgesetzt, nachdem er einen Priester bedroht hatte, der ihm wegen „offenkundiger Trunkenheit“ die Kommunion verweigerte.

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Seine Jugend widmete Le Pen der Verteidigung der Kolonialmacht Frankreich. 1953 trat er den französischen Fallschirmjägern bei. Im Mai 1954 wurde er mit seiner Einheit nach Ostasien verlegt und erlebte so die letzten Wochen des Indochinakriegs. Dort stieg er zum Offizier auf und wechselte zu den Fallschirmjägern der Fremdenlegion. 1956 diente Le Pen nach der Suezkrise kurz in Ägypten. In den Jahren 1956 und 1957 war er gegen die Unabhängigkeitskämpfer der „Front de Libération Nationale“ (FLN) im Algerienkrieg eingesetzt.

„Le Monde“ und andere französische Zeitungen warfen ihm vor, dass er während seiner Zeit in Algerien vermeintliche oder wirkliche Mitglieder der FLN gefoltert habe. Es gab mehrere Gerichtsverfahren. In einem Prozess wurde ein an einem Mordtatort zurückgelassenes Fahrtenmesser der Hitlerjugend (HJ) mit dem eingravierten Namen Le Pens auf der Scheide als Beweis vorgelegt.

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Le Pen gründete den „Front National pour l’unité française“ (FN)

Seinen Weg in die Politik fand Le Pen über den Anti-Steuer-Feldzug von Pierre Poujade. 1956 wurde er als jüngster Abgeordneter der Protestpartei „Union de défense des _commerçants_ et artisans“ in die Nationalversammlung gewählt. Poujades Bewegung trat für die Rechte kleiner Händler und Handwerker ein und wurde zum Synonym für Populismus („Poujadismus“).

1972 gründete Le Pen den „Front National pour l’unité française“ (FN), deren Vorsitz er übernahm. Die neue Partei war ein Sammelsurium aus ehemaligen Nazi-Kollaborateuren und Widerstandskämpfern, Veteranen aus dem Algerienkrieg und Vertreter von rechten Splittergruppen. Sie traten für den Schutz der „französischen Identität“, für strikte Beschränkung der Einwanderung und gegen den Kommunismus ein. Bei der Europawahl 1984 erreichte der FN mit elf Prozent der Stimmen den Durchbruch. Le Pen zog mit neun weiteren Abgeordneten erstmals in Europaparlament ein und wurde Fraktionschef der Europäischen Rechten.

Doch er wollte mehr. Bereits 1974 nahm der damals 45-Jährige an der französischen Präsidentschaftswahl teil, kam aber im ersten Durchgang nur auf 0,7 Prozent der Stimmen. Bei vier weiteren Versuchen erzielte er in der ersten Runde jeweils zweistellige Ergebnisse. 2002 schaffte er es sogar in den zweiten Wahlgang, wo er mit 17,8 zu 82,2 Prozent gegen den konservativen Amtsinhaber Jacques Chirac verlor. Immerhin: Der FN war zwar noch nicht salonfähig, aber er war nicht mehr das Schmuddelkind der französischen Parteienlandschaft.

Erbitterter Familienkrach mit Tochter Marine Le Pen

2011 gab Le Pen den FN-Vorsitz nach 39 Jahren an seine Tochter Marine ab. 2015 sagte sich Marine von ihrem Vater wegen Verharmlosung der Naziverbrechen und antisemitischer Äußerungen los. Jean-Marie Le Pen wurde aus dem FN ausgeschlossen.

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Hinter dem Familienkrach steckte ein erbitterter Macht- und Richtungsstreit. Marine Le Pen versuchte seit Jahren, der Rechtsaußenpartei mit einer gemäßigteren Rhetorik ein bürgerliches Image zu verschaffen und auch in der Mitte wählbar zu machen. Dazu gehörte auch, ideologischen Ballast aus früheren Zeiten über Bord zu werfen: So wurden etwa die Forderungen eines EU-Austritts und der Wiedereinführung des Francs gekippt. Der Schwenk zahlte sich in Form von gewaltigen Stimmenzuwächsen bei der Europawahl und der nationalen Parlamentswahl 2024 aus.

Offiziell lief dieser Kurs unter dem Etikett der „Entteufelung“. Auch wenn sich der FN, der heute weniger martialisch „Rassemblement National“ (RN) heißt, moderater gibt: Jean-Marie Le Pens Schatten ist im europäischen Rechtspopulismus immer noch sichtbar.