Wien. Herbert Kickl ist Chef der rechten FPÖ – und soll bald die österreichische Regierung anführen. Wer ist dieser Mann?
- In Österreich sind die Koalitionsgespräche zwischen ÖVP, SPÖ und Neos geplatzt
- Jetzt bekommt die rechtspopulistische FPÖ die Chance, die nächste Regierung zu bilden
- An der Spitze der Partei steht Herbert Kickl, der sie geprägt hat wie lange keiner mehr
- Kickl fiel in der Vergangenheit mit abstrusen Sprüchen, schrägen Corona-Ratschlägen und Antisemitismus auf
- Wie tickt der Mann?
Am Ende, das eigentlich ja ein Anfang ist, tritt Alexander Van der Bellen mit ernstem Gesicht vor die Kameras in der Wiener Hofburg, im Hintergrund opulente rote Tapete. Der österreichische Bundespräsident (Grüne) erteilte Herbert Kickl von der rechtsradikalen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) den Auftrag zur Bildung einer Regierung. „Ich habe mir diesen Schritt nicht leicht gemacht. Ich werde darauf achten, dass die Prinzipien und Regeln der Verfassung korrekt eingehalten werden“, sagte Van der Bellen.
In Österreich wird damit nicht weniger als ein Paradigmenwechsel eingeläutet. Noch nie zuvor in der Nachkriegsgeschichte ist eine rechtspopulistische Partei mit der Regierungsbildung beauftragt worden. Auch wenn die FPÖ fest in der Wählerschaft verwurzelt ist – so weit wie jetzt ist sie noch nie gekommen.
Österreich: Herbert Kickl sieht sich als „Volkskanzler“
Es ist ein Triumph, den vor allem einer für sich verbucht: Herbert Kickl. Genüsslich konnte er in den vergangenen Monaten, nach den Nationalratswahlen im September, zusehen, wie sich die konservative ÖVP, die SPÖ und die liberalen NEOS in Gesprächen verhakt und schließlich überworfen haben. Ihr Ziel, eine FPÖ-geführte Regierung zu verhindern, haben sie nicht erreicht. Nachdem es kein Weiterkommen mehr gegeben hatte, schmiss ÖVP-Parteichef Karl Nehammer das Handtuch, übergab an seinen Parteifreund Christian Stocker und die ÖVP öffnete sich für Gespräche mit Kickls Partei.
Auf Instagram schrieb Kickl deutlich, wo er die FPÖ dabei sieht: „Uns trifft keine Verantwortung für verlorene Zeit, für chaotische Zustände und den enormen Vertrauensschaden, der entstanden ist. Im Gegenteil: Klar ist, dass die FPÖ der einzig stabile Faktor der österreichischen Innenpolitik war und ist.“
Der 56-Jährige wähnt sich jetzt an einem Punkt, von dem er lange geträumt hat. Im Wahlkampf hat er sich schon als „Volkskanzler“ gesehen. Manche fühlen sich bei ihm an den NS-Propaganda-Chef Joseph Goebbels erinnert. Wer ist dieser Mann?
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Ein Trümmerfeld war die FPÖ, als Herbert Kickl im Juni 2021 den Vorsitz übernahm. Die Partei hatte noch immer mit den Folgen des Ibiza-Skandal-Videos von 2019 zu kämpfen. Zwei angetrunkene Politiker waren da zu sehen, wie sie einer vermeintlich russischen Oligarchen-Nichte halb Österreich verkauften. Das war das Ende der Koalition von ÖVP und FPÖ. Und es war das Ende ihres damaligen Langzeit-Chefs Heinz Christian Strache.
Kickl war in der Öffentlichkeit als eher Charisma-befreiter Asket bekannt – als Wüterich, Triathlet, Skandal-Innenminister. Ein Mann, der früher eigentlich lieber im Hintergrund die Strippen zog und den es seit geraumer Zeit ganz nach vorne zieht.
Österreich: FPÖ als Stimme Russlands
Eine Pandemie und ein russischer Überfall auf die Ukraine liegen zwischen der Ibiza-Affäre von 2019 und heute. Ab 2020 hat sich die FPÖ zur Stimme der Leugner gemacht. Kickl kam zu zweifelhafter Berühmtheit, als er das Pferde-Entwurmungsmittel Ivermectin zur Behandlung von Covid-Patienten empfahl – sein „Plan B“ für die Pandemie. Im Krieg gegen die Ukraine wurde die FPÖ zur Stimme Russlands in Österreich.
Das Spiel mit Tabubrüchen, das rhetorische Eiertanzen, die Empörung, der Opfermythos sind Kickls politische Klaviatur – eine, die er virtuos bespielt. Kickl ist ein Angstmacher, der es jetzt bis nach ganz oben geschafft hat. Er war es, der die Reden von Jörg Haider (FPÖ-Chef von 1986 bis 2000) schrieb. Und Haider war es, der die FPÖ mit eben diesen Reden von einer schrulligen Kellerpartei zu einem extrem rechten Schlachtschiff machte. Dass Haider den damaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac einen „Westentaschen-Napoleon“ nannte, war Kickls Idee. Kickl dichtete auch Slogans wie diese: „Wiener Blut – zu viel Fremdes tut niemandem gut.“
Und heute? Politisch ist Kickl radikal und hat seine Partei noch weiter nach rechts gerückt. Unter seiner Parteiführung gibt es keine Abgrenzung zu den Identitären. Die seien nichts anderes als eine „NGO (Nicht-Regierungsorganisation, Anm. d. Red.) von rechts“. Von ihr borgt er sich denn auch Begriffe wie „Remigration“ oder das Märchen vom „Bevölkerungsaustausch“.
Die österreichische Expertin für Rechtsextremismus, Natascha Strobl, beobachtet bei alldem eine Normalisierung – aus Sicht der Forscherin ist es durch die FPÖ salonfähig geworden, auf diese Weise über Migration und Asyl zu sprechen. „Wir sehen ein ganz neues Phänomen“, sagte Strobl dieser Redaktion.
Kickl will „Ketten brechen“, wettert gegen „Volksverräter“, die auf eine „Fahndungsliste“ zu setzen seien, oder gegen einen „Bevölkerungsaustausch“, der von „Globalisten“ betrieben werde. Die Stoßrichtung: „Die da oben“, die „Systempolitiker“, von denen er sich bewusst abgrenzen will. Dabei ist er selbst einer. Kickl hat auch nie außerhalb des Politikbetriebs gearbeitet.
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Aber Kickl ist ein Skandalteflon, nichts bleibt an ihm hängen. Es gibt keine Skandalbilder, keine Gerüchte über Affären oder Exzesse. Sein Privatleben ist außen vor. Was man weiß: Kickl ist verheiratet, hat einen Sohn und lebt in einer Kleinstadt westlich von Wien. Nur diese eine Jugendposse ist bekannt: Als Jugendlicher hatte er einmal mit der späteren Grünen-Chefin Eva Glawischnig angebandelt. Auf Instagram postet er fast ausschließlich politische Slogans, gratulierte Donald Trump zum Wahlsieg in den USA – ab und zu mal ein Bild, wie er in den Bergen klettert.
Kickl, der sich als Systemsprenger sieht, soll nun eine Regierung innerhalb des Systems bilden. Ob ihm das gelingt, müssen die nächsten Wochen zeigen. Zu welchem Preis für die Demokratie – das wird sich viel später beurteilen lassen.