Berlin/Den Haag. Vor dem Internationalen Gerichtshof hat ein hochbrisantes Verfahren begonnen. Um was es geht und was auf dem Spiel steht.
Im Friedenspalast in Den Haag hat am Donnerstag ein hochbrisantes Verfahren begonnen. Südafrika hat Israel wegen Völkermords vor dem Internationalen Gerichtshof angeklagt. Fast drei Monate nach Beginn des Krieges gegen die Terroristen der Hamas in Gaza will die Regierung in Pretoria mit einem Eilverfahren ein sofortiges Ende der Kämpfe durchsetzen – bis der Vorwurf des Genozids geklärt ist.
Um was geht es?
Als Reaktion auf den Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 bombardiert Israel Ziele im Gazastreifen und greift mit Bodentruppen an. Die Lage ist dramatisch. Die Armee hatte die Einwohner aufgefordert, sich im Süden in Sicherheit zu bringen. Aber im Gazastreifen gibt es kaum noch sichere Orte. Die Grenzen sind geschlossen. Es fehlt an Wasser, Essen, Strom und Unterkünften. Die medizinische Versorgung ist zusammengebrochen. Die Hamas nutzt die Bewohner als menschliche Schutzschilde. Mehr als 23.000 Zivilisten, darunter 8000 Kinder, sollen nach Angaben aus dem von der Hamas geführten Gesundheitsministerium bereits getötet worden sein.
Wie lautet der südafrikanische Vorwurf?
Südafrika hat die Hamas-Verbrechen verurteilt, sagt aber, sie seien keine Rechtfertigung für einen Bruch der Genozid-Konvention, die Israel ratifiziert hat. Südafrika argumentiert mit der massenhaften Tötung von Zivilisten, selbst in den von Israel als „sicher“ bezeichneten Gebieten. Das Ausmaß der Zerstörung, die hohe Zahl der Toten und die dramatische humanitäre Lage würden zeigen, dass Israel auf die „physische Zerstörung“ der Bevölkerung ziele, heißt es in der Anklageschrift, die 84 Seiten lang ist. Sie listet auf acht Seiten auch die beklemmenden Äußerungen israelischer Politiker auf, die die Absicht des Völkermords belegen sollen. Zitiert werden unter anderem Verteidigungsminister Joav Galant, der von „menschlichen Tieren“ gesprochen hatte und sagte: „Wir werden alles auslöschen.“ Energieminister Israel Katz, der sagte: „Kein Tropfen Wasser, keine Strombatterie, bis sie aus dieser Welt scheiden.“ Und Vize-Parlamentssprecher Nissim Vatzuri, der erklärte: „Wir haben ein gemeinsames Ziel: den Gazastreifen vom Erdboden tilgen.“
Auf was beruft sich Südafrika?
Pretoria bezieht sich auf diese Aussagen und auf Einschätzungen von UN-Experten. Zudem wird auf Studien verwiesen, die die Weltgesundheitsorganisation, das Welternährungsprogramm und internationale Hilfsorganisationen veröffentlicht haben.
Wie reagiert Israel?
„Israel kämpft gegen Hamas-Terroristen, nicht gegen die palästinensische Bevölkerung, und wir tun dies in voller Übereinstimmung mit dem internationalen Recht“, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor Beginn des Verfahrens, das Israel als Teil einer internationalen Kampagne gegen sich versteht. Die Regierung beruft sich auf ihr Selbstverteidigungsrecht. Es gilt laut Völkerrecht, solange die Aggressionen des Angreifers andauern. Da die Hamas immer noch Raketen aus Gaza auf Israel abfeuert und weiter Geiseln gefangen hält, sieht Israel das Recht auf seiner Seite. Die moralische Verantwortung für diesen Krieg liege bei der Hamas. Das sehen viele Völkerrechtler genauso.
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Welche Voraussetzungen gelten für den Tatbestand des Völkermords?
Die UN-Völkerrechtskonvention von 1948 verpflichtet Staaten, Völkermord zu verhindern und Täter zu bestrafen. Die Konvention definiert Völkermord als Handlung, „die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“.
Was ist der Internationale Gerichtshof?
Der Internationale Gerichtshof ist das höchste Gericht der Vereinten Nationen und hat seinen Sitz in Den Haag. Er wurde nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 gegründet. Er befasst sich – anders als der Internationale Strafgerichtshof, mit dem er oft verwechselt wird – mit Konflikten zwischen Staaten.
Gibt es Besonderheiten bei diesem Weltgericht?
Kläger und Ankläger dürfen jeweils einen Richter zusätzlich zum permanenten Kollegium von 15 Richtern entsenden. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat den 87-jährigen Holocaust-Überlebenden Aharon Barak nach Den Haag geschickt. Die Entscheidung für den früheren Präsidenten des Obersten Gerichts kam überraschend. Weil er die geplante Justizreform, die Netanjahus rechts-religiöse Regierung 2023 trotz heftiger Proteste durchsetzen wollte, rigoros abgelehnt hatte, galt er vielen als „Verräter“. Doch nun braucht Israel ihn. Als Holocaust-Überlebender verhandelt er jetzt über eine Völkermord-Klage gegen sein Land.
Wann ist ein Urteil zu erwarten und welche Aussichten hat das Verfahren?
Die Verhandlung endet am Freitag mit der Anhörung Israels. Das Urteil im Hauptverfahren kann sich über Jahre hinziehen. Die Eilentscheidung, ob Israel die Kampfhandlungen einstellen muss, soll noch im Januar erfolgen. Professor Robbie Sabel von der Juristischen Fakultät der Hebräischen Universität warnte in der „Times of Israel“: Da es einen Block von „israelfeindlichen Richtern gibt, sollten wir uns Sorgen machen.“ Die Richter kommen unter anderem aus Russland, China, Marokko, Somalia, dem Libanon und Uganda. Für ein Urteil reicht eine einfache Mehrheit. Es ist bindend, doch das Gericht hat keine Machtinstrumente, es auch durchzusetzen. Doch sollte Israel sich weigern, Gerichtsbeschlüssen nachzukommen, könnte der Fall an den UN-Sicherheitsrat verwiesen werden, der befugt ist, Sanktionen zu verhängen.
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