Berlin. Militärexperte Carlo Masala sagt, welcher Krieg als erstes endet – und warum er sich Sorgen um Deutschland macht.

Carlo Masala hat keine Kristallkugel, mit der er in die Zukunft blicken könnte. Aber der Professor an der Münchener Bundeswehr-Universität ist dafür bekannt, globale Entwicklungen verlässlich einzuschätzen. Im großen Interview zum Jahreswechsel sagt Masala auch, was ihm Hoffnung macht.

Welcher Krieg endet im neuen Jahr?

Carlo Masala: Meine Einschätzung ist jedenfalls, dass der Krieg im Nahen Osten früher endet als der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Warum?

Masala: In Sachen Ukraine sehen wir bislang keine konkrete Bereitschaft Russlands, sich auf irgendeine Lösung einzulassen. Der designierte US-Präsident Donald Trump hat längst eingestanden, dass ein Deal in diesem Konflikt viel schwerer zu erreichen sein dürfte, als er sich das ursprünglich vorgestellt hatte. Im Nahen Osten hingegen sehen wir viele militärische Ergebnisse, die nun noch in politische Lösungen gegossen werden müssen – insbesondere die nachhaltige Schwächung der Hamas im Gazastreifen und der Hisbollah im Libanon.

Talkshow 'maischberger' in Berlin
Professor Carlo Masala lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Für die Portale und Zeitungen der FUNKE Mediengruppe analysiert er regelmäßig das Geschehen an den Krisenherden der Welt. © picture alliance / Geisler-Fotopress | Thomas Bartilla/Geisler-Fotopres

Israelische Truppen sind zuletzt auf syrisches Territorium vorgerückt - in die Pufferzone auf dem Golan. Nach Frieden sieht das nicht aus.

Masala: Tatsächlich trifft Israel Vorkehrungen für den Fall, dass die neue syrische Regierung einen radikalen Islamismus nach außen tragen sollte. Israel weitet die Pufferzone aus und zerstört das syrische Militärpotenzial, damit dschihadistische Kräfte keinen Zugriff darauf bekommen.

Und das Völkerrecht?

Masala: Das ist völkerrechtlich illegal, erhöht aber die Sicherheit Israels.

Sehen Sie die Gefahr, dass Premier Netanjahu, beflügelt von seinen militärischen Erfolgen, gleich noch Irans Atomanlagen ins Visier nimmt?

Masala: Das erscheint mir in der Tat möglich. Israels Luftschläge gegen militärische Ziele im Iran haben im Oktober gezeigt, dass die iranische Luftabwehr nicht wirkungsvoll ist. Das könnte dazu führen, dass die Iraner ihr Atomprogramm beschleunigen und sich die Israelis ihrerseits gezwungen sehen, darauf zu reagieren. Vermutlich würde die neue US-Regierung Israel dafür auch bunkerbrechende Bomben zur Verfügung stellt. Im Ergebnis würde Israel das iranische Atomprogramm vermutlich nicht zerstören, aber doch um Jahre zurückwerfen.

Auch interessant

Droht doch noch ein Flächenbrand?

Masala: Der Iran ist sehr geschwächt durch die Ereignisse, die sich nach dem 7. Oktober 2023 – also dem brutalen Hamas-Angriff auf Israel – eingestellt haben. Hamas und Hisbollah haben ihre Führungsstrukturen verloren. Mit dem Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad ist den Mullahs der staatliche Helfer abhandengekommen. Irans Angriffe mit Drohnen und Raketen auf Israel wiederum sind weitgehend wirkungslos verpufft. Auch das unterstreicht, dass dem Iran mittlerweile weitgehend die Fähigkeit zur Eskalation fehlt.

Wie könnte der Nahe Osten dann im neuen Jahr befriedet werden?

Masala: Das ist schwer vorherzusagen. Was Gaza betrifft: Ich gehe davon aus, dass es irgendwann einen Deal zur Freilassung der Geiseln geben wird. Aber dann stellt sich die Frage, was aus dem Gazastreifen insgesamt wird. Entweder haben sich die Israelis mit der Schwächung der Hamas nur Zeit verschafft – oder das Problem wird strukturell angegangen. Wie das allerdings genau aussehen könnte, wissen wir bisher nicht. Es gibt viele Ideen, auch die Stationierung einer internationalen Schutztruppe ist darunter. Aber bisher gibt es kein Szenario, auf das die Entwicklung hinausläuft.

Ein Hisbollah-Anhänger schwenkt Ende November eine Flagge auf einem zerstörten Gebäude im Großraum Beirut. Israels Armee hat die Miliz im Libanon nachhaltig geschwächt – so wie die Hamas im Gazastreifen auch.
Ein Hisbollah-Anhänger schwenkt Ende November eine Flagge auf einem zerstörten Gebäude im Großraum Beirut. Israels Armee hat die Miliz im Libanon nachhaltig geschwächt – so wie die Hamas im Gazastreifen auch. © SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa | Sally Hayden

Welche Rolle spielt Deutschland dabei?

Masala: Bei der finanziellen Absicherung eines Friedensschlusses werden Deutschland und die anderen Europäer sicherlich eine Rolle spielen. Das gilt für Gaza, Libanon, Syrien. Sollte im Gazastreifen eine multinationale Truppe stationiert werden, könnte sich auch die Bundeswehr daran beteiligen. Das wäre sogar im deutschen Interesse.

Wann und wie endet der Ukraine-Krieg, Professor Masala?

Masala: Das Wann kann ich nicht vorhersagen. Beim Wie gibt es drei Möglichkeiten. Erstens: Russlands Präsident Wladimir Putin könnte zu Verhandlungen zu seinen Bedingungen bereit sein, wenn er sich eine zusammenhängende Landbrücke vom Donbass über die Krim bis nach Odessa am Schwarzen Meer einverleibt hat. Die wird er nicht wieder hergeben wollen. Er wird auch fordern, dass die ukrainische Armee massiv verkleinert wird und Wolodymyr Selenskyj als ukrainischer Präsident abtritt. All das ist für die Ukrainer natürlich inakzeptabel.

191615_1325_191615_cover.jpg

#1 Robert Habeck über Krieg, Frieden und Waffen

Meine schwerste Entscheidung

Was sind die Möglichkeiten zwei und drei?

Masala: Die zweite ist: Trump tut das, was er im Wahlkampf angekündigt hat – nämlich die US-Waffenlieferungen an Kiew einzustellen. Dann hat die Ukraine nur noch wenig Chancen, die Europäer allein könnten die Lücken kaum füllen. Anschließend hängt es von Russland ab, ob es sich mit den bisherigen Landgewinnen zufriedengibt oder ob es die Chance wittert, einfach weiterzumarschieren. Die dritte Möglichkeit: Trump könnte sich entgegen seinen Ankündigungen dazu entschließen, die Unterstützung der Ukraine sogar noch einmal deutlich auszuweiten. Und zwar mit dem Ziel, die Russen an den Verhandlungstisch zu zwingen. Das wäre eine Strategie der Eskalation, um zu deeskalieren.

Professor Carlo Masala
Militärexperte Carlo Masala kurz vor Weihnachten bei einem Besuch der FUNKE Zentralredaktion in Berlin. Er beklagt, dass die deutschen Parteien im Bundestagswahlkampf vor allem über ihre innenpolitischen Projekte redeten und kaum über Außen- und Sicherheitspolitik. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Wie wahrscheinlich ist diese dritte Option?

Masala: Es gibt in Trumps Umfeld relevante Leute, die sich in diese Richtung geäußert haben. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass es so kommt. Entscheidend wird sein, ob ihm seine Berater und die Verbündeten folgenden Gedanken nahebringen können: Ein Sieg Russlands in der Ukraine wäre letzten Endes ein Sieg Chinas in der internationalen Politik. Denn Putin hat sich im Laufe des Krieges in chinesische Abhängigkeit begeben. Und Du, Trump, wärst der große Verlierer, wenn Du das zuließest. Trump und seine Leute betrachten China als die größte Gefahr für die Vereinigten Staaten – ökonomisch, politisch, militärisch.

Ukraine-Krieg - Pokrowsk
Sanitäter versorgen einen verletzten ukrainischen Soldaten. Russlands Angriffskrieg gegen das Nachbarland geht bald in das vierte Jahr. © DPA Images | Evgeniy Maloletka

In Europa wird neuerdings viel über einen Verhandlungsfrieden geredet – obwohl Russland keine konkreten Schritte unternimmt. Was ist da los?

Masala: Das geschieht alles mit Blick auf den Machtwechsel in den USA und ist getrieben von der Sorge, dass der neue Präsident die Waffenlieferungen an die Ukraine einstellt. Im Wahlkampf hat Trump gesagt, dass er einen Deal herbeiführen werde und die Europäer diesen absichern müssten. Darauf bereiten sich die Europäer jetzt vor. Der Denkfehler besteht aber darin, dass ja nicht nur die Ukrainer, sondern auch die Russen mitspielen müssen.

Wie weit reicht Putins imperialer Hunger über die Ukraine hinaus?

Masala: Da darf man sich keinen Illusionen hingeben. Er benutzt gern den Begriff der „historisch russischen Gebiete“, die eigentlich zu Russland gehörten. Was er alles dazu zählt, ist unklar. Aber es liegt nahe, dass es zumindest mal um die Staaten der ehemaligen Sowjetunion geht – und damit auch um das Baltikum. Wir wissen auch, dass Russland schon heute Waffen produziert, um der Nato nach einem Ende des Ukraine-Kriegs die Stirn bieten zu können.

Auch interessant

Könnte Putin auch Deutschland angreifen?

Masala: Putin betrachtet uns längst als Gegner und tut alles, um Deutschland zu destabilisieren. Militärisch sind wir aber vor einem Versuch militärischer Eroberungen sicher. Das wird nicht passieren.

Welche Staaten sind nicht sicher?

Masala: Die baltischen Staaten – auch wenn sie der Nato angehören. Putin wird die Allianz nicht großflächig angreifen und etwa in Polen einmarschieren. Aber: Würde die Beistandsgarantie des Nato-Vertrags auch in jedem Fall und mit allen Konsequenzen zum Tragen kommen, wenn Russland eine einzelne Stadt in Estland besetzen würde? Oder sich über Gebiete der Arktis hermachen würde? Ich habe da Zweifel. Putin wird die Nato testen wollen. Erst recht, wenn der US-Präsident demnächst wieder Trump heißt.

Auch interessant

Im Bundestagswahlkampf reden alle über Wirtschaft, Steuern, Rente. Die Außen- und Sicherheitspolitik spielt kaum eine Rolle. Beunruhigt Sie das?

Masala: Ja, sehr. Man muss sich nur die Wahlprogramme der Parteien anschauen, das Thema kommt überall an letzter Stelle. Dabei hängen nahezu alle innenpolitischen Projekte – wie immer man diese im Einzelnen bewerten mag – entscheidend davon ab, ob wir ein stabiles internationales Umfeld haben werden oder nicht. Die Wahrheit ist: Je mehr Geld wir für Verteidigung ausgeben müssen, desto weniger wird im Inland möglich sein. Im Grunde führen die Parteien die Wähler hinters Licht.