Berlin. Die Eltern des neunjährigen André werfen den Behörden in einem TikTok-Video Versagen vor. Jetzt reagiert das das Innenministerium.
André war das jüngste der fünf Opfer, die beim Attentat in Magdeburg ihr Leben verloren. Er wurde neun Jahre alt – für seine Eltern ein schwerer Schlag. Doch der Schmerz über seinen Tod wird durch eine weitere Erfahrung verstärkt: Bislang durften sie keinen richtigen Abschied nehmen. In einem emotionalen Video, das sie auf der Plattform TikTok veröffentlichten, kritisieren sie scharf den Umgang der Behörden mit den Hinterbliebenen.
„Jetzt sollen noch mal zwei Tage vergehen, bis wir unser Kind sehen dürfen. [...] Ich verstehe nicht, warum man da eine Mutter noch so leiden lässt“, berichtet die Mutter des Neunjährigen im Video. „Wir fühlen uns vom Staat und der Stadt Magdeburg im Stich gelassen“, heißt es in dem Beitrag weiter. Die Familie beschreibt ihre Lage als hoffnungslos: „Wir sind jetzt bei Tag elf, und mit jeder Sekunde schwindet die Hoffnung, dass wir unser Kind noch einmal sehen dürfen.“
Eltern von André kritisieren Behörden scharf
Besonders enttäuscht zeigen sich Andrés Eltern darüber, dass sie bislang fast ausschließlich von privaten Initiativen Unterstützung erhalten hätten. „Von offizieller Seite kam außer einem Formbrief des Opferschutzes nichts“, beklagen sie. Der Brief habe weder Trost gespendet noch konkrete Hilfe angeboten.
Die Kritik richtet sich auch an die Behörden der Stadt Magdeburg, denen die Familie vorwirft, ihr Leben durch bürokratische Hürden zusätzlich zu erschweren. „Der Staat und Magdeburg machen uns das Leben gerade so richtig schwer“, fassen sie ihre Erfahrungen zusammen.
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Behörden erklären Verzögerung: Strenge kriminaltechnische Standards der Grund
Das Innenministerium Sachsen-Anhalts reagierte laut MDR auf die Vorwürfe der Eltern. In einem Schreiben des Innenstaatssekretärs Klaus Zimmermann an die Landtagsfraktionen, das dem Sender vorliegt, heißt es, dass die Verzögerung bei der Möglichkeit zur Verabschiedung auf kriminaltechnische Standards zurückzuführen sei.
„Es ist außerordentlich bedauerlich, dass bisher kein Termin zur Verabschiedung des verstorbenen Jungen ermöglicht werden konnte“, schreibt Zimmermann. Zwar habe die Justiz den Leichnam relativ schnell freigegeben, jedoch sei eine polizeiliche Freigabe noch ausstehend. Grund hierfür seien die bundesweit geltenden Standards der Identifizierungskommission des Bundeskriminalamts (BKA). Diese erfordern eine eindeutige Identifizierung der Toten durch Fingerabdrücke, DNA-Material oder den Zahnstatus, berichtet der MDR.
Im Fall des getöteten Jungen sei die Identifizierung nur durch einen Abgleich mit DNA-Material der Eltern möglich, da weder Fingerabdrücke vorlagen noch ein behandelnder Zahnarzt ermittelt werden konnte. „Um ein beweissicheres Strafverfahren durchführen zu können, müssen diese Standards eingehalten werden“, betont das Schreiben.
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Nach Kritik der Eltern: Innenministerium erklärt späte DNA-Anforderung
Zimmermann erklärt laut dem MDR weiter, dass das Landeskriminalamt (LKA) aus Rücksicht auf den Zustand der Mutter zunächst auf eine direkte Kontaktaufnahme verzichtet habe. Erst am Silvestertag, elf Tage nach dem Anschlag, sei die DNA-Probe der Mutter angefordert worden. An diesem Tag hatten die Eltern ihr TikTok-Video veröffentlicht, in dem sie die Behörden scharf kritisierten. Das Video wurde bis Donnerstag mehr als drei Millionen Mal aufgerufen.
Das Innenministerium betont, dass die Familie von Beginn an betreut worden sei. Bereits kurz nach dem Anschlag sei die Mutter telefonisch kontaktiert und eine psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) angeboten worden, die sie auch in Anspruch genommen habe. Nachdem das TikTok-Video bekannt wurde, habe der Leiter des „Einsatzabschnitts Betreuung“ am Dienstagabend erneut Kontakt zur Familie aufgenommen und die Gründe für die Verzögerung erläutert. Dabei habe sich die Familie bedankt, und der Kontakt werde weiter aufrechterhalten.
Laut Innenministerium soll der Familie zeitnah die Möglichkeit gegeben werden, Abschied von ihrem Sohn zu nehmen. Dabei sei die Begleitung durch PSNV-Kräfte vorgesehen.
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