Düsseldorf. Das Land möchte junge Menschen mit einem Schulprogramm widerstandsfähiger machen. Der Bedarf ist riesig, denn die Sorgen sind groß.

Die vielen Krisen in der Welt und vor der eigenen Haustür drücken auf die Stimmung und befeuern Zukunftsängste. Nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder und Jugendliche leiden darunter, daher will das Land NRW jungen Menschen mit einem Training an Schulen widerstandsfähiger machen gegen die vielen Dinge, die sie bedrücken. Das Programm mit dem Namen „MindOut“ richtet sich zunächst vor allem an Jugendliche im Ruhrgebiet.

Schulministerin Feller: „Kriege, Corona-Folgen, Klimakrise treiben unsere jungen Menschen um“

„Wir leben in einer unruhigen Zeit mit Kriegen, Fluchtbewegungen, Auswirkungen der Corona-Pandemie, Umwelt- und Klimakrise. Das treibt auch unsere jungen Menschen um“, sagte NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) am Freitag im Landtag. Die zum Teil besorgniserregenden Ergebnisse von Bildungsstudien zeigten, dass viele Kinder und Jugendliche in NRW Probleme mit dem Schreiben, Lesen, Rechnen und anderen so genannten „Basiskompetenzen“ hätten. Zu selten, so Feller, sei in diesem Zusammenhang von fehlenden „sozial-emotionalen Kompetenzen“ die Rede, obwohl die genauso wichtig seien.

Plenarsitzung Landtag NRW mit Generaldebatte
„Die Problemlagen der vergangenen Jahre – zu nennen wären hier beispielsweise die Covid-Pandemie, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine oder auch Bedrohungen für unsere Demokratie wie Extremismus, Antisemitismus oder Fake News – haben dazu beigetragen, dass die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zunehmend belastet ist“; NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU). © DPA Images | David Young

Psychologin: „Im Alter von 15 Jahren nimmt die Lebenszufriedenheit bei vielen stark ab“

Damit ist die Fähigkeit gemeint, mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen sowie mit Stress und Krisen klarzukommen. Kriegsangst, Prüfungsnöte, Mobbing oder Isolation könnten gerade auf junge Leute  zerstörerische Wirkung entfalten, warnt die Psychologin Prof. Ricarda Steinmayr von der Technischen Universität (TU) Dortmund, die das Programm „MindOut“ wissenschaftlich begleitet. Im Alter von 15 Jahren nehme die Lebenszufriedenheit bei vielen stark ab. „Wenn sozusagen alles den Bach runtergeht, ist ein guter Zeitpunkt, um zu intervenieren“, betont die Professorin.

Daher können sich ab dem Frühjahr 2025 zunächst bis zu 80 Schulen im Ruhrgebiet sowie in den Regierungsbezirken Düsseldorf und Köln von Expertinnen und Experten der TU Dortmund für das Jugend-Stärkungsprogramm qualifizieren lassen. Im Rahmen des „Startchancen-Programms“ von Bund und Ländern sollen später weitere 120 Schulen folgen, erklärte Ministerin Feller.

Wer sich in jungen Jahren wohlfühlt, ist besser vor psychischen Erkrankungen geschützt

Worum geht es? In erster Linie ums Wohlbefinden, sagt Ricarda Steinmayr. Wer sich in jungen Jahren wohl und stabil fühle, werde später mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht an psychischen Störungen erkranken. Auf dem Weg zur „Resilienz“, also zur Widerstandsfähigkeit, liegen bekanntlich viele Hindernisse: nicht bestandene Klausuren, zerbrochene Freundschaften, Streit in der Familie und einiges mehr.

Das „MindOut“ Programm

„MindOut“ ist ein Programm, das laut der TU Dortmund in Irland zu beachtlichen Erfolgen geführt habe und in den kommenden Jahren an möglichst vielen Schulen in NRW in den Jahrgangsstufen neun bis zwölf durchgeführt werden soll. „MindOut“ fördert den Dortmunder Forschenden zufolge fünf Schlüsselkompetenzen für ein gutes Lebensgefühl: Selbstbewusstsein, Selbstorganisation, soziales Bewusstsein, Beziehungspflege und verantwortliches Entscheidungsverhalten. Diese werden in insgesamt 13 Sitzungen vermittelt. Nicht zusammenhängend in einem Block wie zum Beispiel während einer Projektwoche, sondern möglichst Woche für Woche in kleinen Einheiten.

Die Landesregierung hat 600 Schulen im Ruhrgebiet sowie in den Regionen Düsseldorf und Köln schriftlich zur Teilnahme eingeladen, in einem ersten Schritt werden 80 gefördert. Die Qualifizierung der Lehrkräfte leisten Psychologen und Pädagogen der TU Dortmund in Bildungszentren in Dortmund und Oberhausen.

Das Landesunternehmen „Westlotto“ fördert die Einführung von „MindOut“ mit 250.000 Euro.

Mit Gruppen-Übungen, Medienangeboten und Rollenspielen sollen die Jugendlichen den richtigen Umgang mit Enttäuschungen und Leistungsdruck trainieren. Als Hilfe im Kampf gegen negative Einstellungen wie „Das schaffe ich doch eh‘ nicht“ oder „Die können mich nicht leiden“. Die Flucht in Computerspiele zeige jedenfalls keinen einzigen Weg aus der Krise auf, so Steinmayr. Im Gegenteil: Diese Art des Spielens löse das Problem, das Stress verursache, überhaupt nicht und raube sogar wichtige Zeit zur Stressbewältigung. Man stelle sich einen Schüler vor, der aus Angst vor einer Prüfung ins Computerspiel flüchtet, statt sich die Zeit fürs Lernen zu nehmen.

Schulleiterin: „Man muss nicht meinen, dass an einem Gymnasium alles heile Welt wäre“

„MindOut“ zeige zum Beispiel auf, wie man Menschen erkenne, die es gut mit einem meinen. Es erleichtere das Knüpfen von Kontakten und helfe dabei, sich in die Gedanken und Gefühle eines anderen Menschen hineinzuversetzen, heißt es. „Das Programm hat durchschlagende Wirkung. Ich bin schwer begeistert“, sagt Alice Bienk, Leiterin des Elsa-Brandström-Gymnasiums in Oberhausen. Diese Schule hat das Programm in einer 9. Klasse in einem Pilotversuch getestet und für gut befunden. „Es hilft nicht nur Schülerinnen und Schülern in Brennpunktschulen, sondern allen. Man muss nicht meinen, dass an einem Gymnasium alles heile Welt wäre“, betonte Bienk.

Shell-Jugendstudie: Vier von fünf Jugendlichen haben Angst vor Krieg

Wie sehr die aktuellen Krisen auf die Psyche junger Menschen in Deutschland durchschlagen, hat im Herbst die Shell-Jugendstudie beschrieben. Bei der Frage nach den größten Ängsten und Befürchtungen liegen die Angst vor einem Krieg in Europa (81 Prozent) und die Sorge um die wirtschaftliche Lage (67 Prozent) an der Spitze. Auch eine wachsende Feindseligkeit zwischen den Menschen (64 Prozent) besorgt demnach die Jugend. „Altbekannte“ Ängste vor der Umweltverschmutzung (64 Prozent) und vorm Klimawandel (63 Prozent) bestünden weiter fort. Immerhin: Trotz Ängsten und Sorgen hätten 75 Prozent der Jugendlichen weiterhin hohes Vertrauen in die Demokratie, so die Autoren der Jugendstudie.

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