Düsseldorf. Mit dem Nein der Bürger zum Nationalpark Reichswald stirbt ein grünes Herzensprojekt. Die Landespartei muss ihre Leistung überprüfen.

NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) ist weitgehend ohne Kratzer und Schrammen durch zweieinhalb Jahre Regierungszeit gekommen. Der 55-Jährige genießt den Ruf eines Politik-Profis, während sich das Regieren für seine grünen Kabinettskollegen Benjamin Limbach (Justiz) und Josefine Paul (Flucht und Integration) wegen einer verkorksten Richterauswahl und offener Fragen rund um den Terroranschlag von Solingen zunehmend unbehaglich anfühlt.

Hat NRW noch die Chance auf einen zweiten Nationalpark? Die grüne Hoffnung stirbt zuletzt

Als Krischer aber am Donnerstag gegen halb elf im Landtag zum Rednerpult schreitet, scheint es, als sei der Routinier auf der Suche nach einem „Quantum Trost“.  Wenige Tage zuvor ist ein Herzensanliegen der Grünen in NRW, ein zweiter Nationalpark neben dem in der Eifel, vorerst und vielleicht sogar für immer an einem Bürgerentscheid im Kreis Kleve gescheitert. Das stolze Projekt liegt nun wie Totholz in der politischen Landschaft.

„Selbstverständlich gilt dieses Angebot weiter: Wenn eine Region einen Nationalpark einrichten will, werden sie bei dieser Landesregierung immer eine offene Tür finden“, sagt Krischer trotzig in der Aktuellen Stunde. Die Chance aber, dass da noch einer anklopft, tendiert gegen null. Sämtliche Regionen, in denen über einen Nationalpark geredet, vor allem aber erbittert gestritten wurde, sagten am Ende Nein, zum Beispiel Höxter, Paderborn, der Hochsauerlandkreis und zuletzt Kleve.

„Es hat keinen Zweck, einen Nationalpark einzurichten, wenn eine Region am Ende das nicht möchte“: NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne).
„Es hat keinen Zweck, einen Nationalpark einzurichten, wenn eine Region am Ende das nicht möchte“: NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne). © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Nationalpark-Dissens in der schwarz-grünen Landesregierung von Beginn an spürbar

Vor 15 Monaten hatte Krischer mit einer pompösen Pressekonferenz die Suche nach einem zweiten Nationalpark eingeläutet. Neben ihm gaben sich damals auch die Ministerinnen Mona Neubaur (Grüne, Wirtschaft) und Silke Gorißen (CDU, Landwirtschaft) die Ehre. Während Krischer Nationalparks als „Hotspots der Artenvielfalt“ anpries, setzte die CDU-Ministerin Gorißen schon damals andere Akzente und berichtete von „Skepsis, Sorgen und vielen offenen Fragen“ überall dort, wo solch ein Park im Gespräch sei.

Zuletzt hatte Gorißen mit einem Bericht für den Landtag sogar Spekulationen befeuert, dass ihr Ministerium von einem „Nein“ zum Nationalpark finanziell profitieren würde. Demnach hat das Land für den „Reichswald“ im Kreis Kleve Vorverträge mit Windrad-Betreibern geschlossen, die dem finanziell angeschlagenen Landesbetrieb Wald und Holz, Einnahmen von jährlich rund drei Millionen Euro bescheren würden. Den Vorwurf, sie verfolge hier monetäre Interessen, weist Gorißen von sich. Auch dort, wo es Windrad-Vorverträge gebe, dürfe ein Nationalpark entstehen, betont sie. Aber der Eindruck, dass die Union nicht für Nationalparks kämpft, dass sie sie sogar in den Regionen aktiv torpediert, lässt sich nicht verwischen. Unionspolitiker so berichten Grüne, seien in Kleve sogar Teil einer „Fake-News“-Kampagne gewesen.

Die Bürgerinnen und Bürger im Kreis Kleve haben mehrheitlich Nein zum Nationalpark Reichswald gesagt. Ansicht eines Stimmzettels zum Bürgerentscheid.
Die Bürgerinnen und Bürger im Kreis Kleve haben mehrheitlich Nein zum Nationalpark Reichswald gesagt. Ansicht eines Stimmzettels zum Bürgerentscheid. © FUNKE Foto Services | Thorsten Lindekamp

Die Opposition streut Sand in die Wunde: „Krachend gescheitert“

Für SPD, FDP und AfD bietet das Nationalpark-Desaster Angriffsflächen: „Krachend gescheitert“ sei das grüne Herzensprojekt, die Landesregierung habe es regelrecht „versemmelt“. Der grüne Katzenjammer nach dem Bürgerentscheid in Kleve und der mühsam versteckte Groll über den Partner CDU klingt am Donnerstag in den Reden von Grünen-Abgeordneten mit: „Es ist traurig, dass sich heute nur noch wir Grüne für die Einrichtung von Nationalparks einsetzen“, sagt Volkhard Wille. Norwich Rüße macht keinen Hehl daraus, dass er sich auch von CDU-Landtagsabgeordneten Bekenntnisse für und nicht gegen den Nationalpark gewünscht hätte: „Da muss man als Abgeordneter auch sagen, ich bin dem Land NRW verpflichtet, nicht nur meiner Region.“

Der Bürgerentscheid

Bei einem Bürgerentscheid über die Ausweisung des Klever „Reichswaldes“ als neues Schutzgebiet hatte eine knappe Mehrheit von 52,7 Prozent der mehr als 110.000 teilnehmenden Bürger mit „Nein“ gestimmt. Der Klever „Reichswald“ war die letzte Chance für einen zweiten Nationalpark in NRW nach dem 110 Quadratkilometer großen Schutzgebiet in der Eifel, das schon vor 20 Jahren ausgewiesen wurde.

Das vorläufige Ende der Nationalparksuche ist die zweite herbe Niederlage, die sich für die Grünen in NRW anbahnt. Der vorzeitige Ausstieg aus der Braunkohle im Jahr 2030, also das größte Pfund, mit dem die Grünen in diese Koalition gestartet sind, ist wegen eines fehlenden Kraftwerksicherheitsgesetzes im Bund praktisch unmöglich geworden. Größere Erfolge verbuchen die Grünen, Stand heute, nur beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, vor allem bei den Genehmigungen für neue Windräder.

Fahren die Grünen als Regierungspartner mit angezogener Handbremse?

Die Grünen haben in den ersten zweieinhalb Jahren der ersten schwarz-grünen Koalition in NRW so ziemlich jede Kröte geschluckt, die ihnen über den Weg gehüpft ist: Drastische Sozialkürzungen, die erst unter dem Druck der aufgebrachten Öffentlichkeit zum Teil wieder einkassiert wurden; das neue „Sicherheitspaket“ nach dem Anschlag von Solingen, das den Abschiebe-Druck auf abgelehnte Asylbewerber erhöhen und dem Verfassungsschutz mehr Rechte bei der Vorratsdatenspeicherung geben soll; die umstrittene Bezahlkarte für Geflüchtete. Die „alten“ Grünen in der Opposition hätten nach den tödlichen Polizeischüssen in Dortmund auf den 16-jährigen Senegalesen Mouhamed Dramé und diversen umstrittenen Taser-Einsätzen durch Polizisten wohl die große Welle gemacht. In dieser Koalition sind die Grünen oft mit angezogener Handbremse unterwegs. Anders gesagt: Die Rollen von Koch und Kellner sind zwischen CDU und Grünen bisher klar verteilt.

Oliver Krischer betonte am Donnerstag im Landtag, dass er die Absagen an einen Nationalpark „Reichswald“ im Kreis Kleve zwar für falsch halte, die Mehrheitsentscheidung der Bevölkerung dort aber selbstverständlich respektiere. Der Profi Krischer weiß, wann er rhetorisch zurückrudern muss. Respekt für das Bürgervotum von Kleve hatte zu Wochenbeginn auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) gefordert. Der Unterschied: Die CDU kann damit gut leben, die Grünen nicht.  

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