Berlin. Der „letzte Diktator Europas“ lässt Soldaten an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren. Droht Kiew demnächst eine Nadelstich-Taktik?

Die Situation an der belarussisch-ukrainischen Grenze erfüllt internationale Beobachter mit Sorge: Der Minsker Machthaber Alexander Lukaschenko zieht in der Region Gomel verstärkt Truppen zusammen. Das ukrainische Außenministerium hat reagiert und Minsk vor „tragischen Fehlern“ unter dem Druck Russlands gewarnt. Besonderes Augenmerk liegt auf dem Gelände des früheren Atomkraftwerkes Tschernobyl. Die Ukraine warnte, Militärübungen im Grenzgebiet stellten wegen der Nähe zum Ort der Atomkatastrophe eine Gefahr für die „weltweite Sicherheit“ dar. 

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Kiew erklärte zudem, es habe die Anwesenheit von Kämpfern der russischen Söldnergruppe Wagner festgestellt, von denen einige nach dem gescheiterten Aufstand ihres Chefs Jewgeni Prigoschin in Russland im Juni 2023 von Belarus aufgenommen worden waren. „Wir betonen, dass die Ukraine niemals feindliche Aktionen gegen das belarussische Volk unternommen hat oder unternehmen wird“, fügte das ukrainische Außenministerium hinzu. 

Ukraine-Krieg: Verlegung von Truppen in ein Gebiet lässt Experten aufhorchen

Schon vor einigen Wochen hätten die Belarussen mit den Vorbereitungen für eine großangelegte bilaterale Übung begonnen, schreibt der polnische Analyst Konrad Muzyka auf der Plattform „X“. Minsk habe im September 2023 zum ersten Mal überhaupt eine Übung in der jetzigen Größenordnung durchgeführt. Auffällig bei der aktuellen Übung sei die Verschiebung des Gebietes: „Besonders besorgniserregend ist die Verlegung von Truppen in die Oblast Gomel, die während des Angriffs auf Kiew im Jahr 2022 als Aufmarschgebiet für russische Truppen diente“, schreibt Muzyka, der Direktor der Polit-Beratungsfirma Rochan Consulting ist.

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Der Analyst schreibt, zum jetzigen Zeitpunkt sei es unwahrscheinlich, dass Belarus die Ukraine direkt angreifen würde. „Nach unserer langfristigen Einschätzung fungieren die belarussischen Streitkräfte in erster Linie als Mobilisierungstruppe, die für die Durchführung von Offensivoperationen eine erhebliche Aufstockung der Truppenstärke durch Mobilisierung erfordern würde“, so Muzyka. Rein vom Gerät her gibt er Entwarnung: Lukaschenkos Truppen müssten auf altes Gerät zurückgreifen, das kaum modernisiert worden sei, „sodass sie für den Anforderungen auf dem heutigen Schlachtfeld schlecht gerüstet sind“. Die von der Ukraine teilweise massiv verminten Gebiete entlang der Grenze zu überrennen, bräuchte nach Einschätzung des Experten immense Kräfte – über die Belarus nicht verfüge.

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Im Krisenmodus

Ukraine-Krieg: Experten sehen ein mögliches Szenario an der Grenze zu Belarus

Eine echte Offensive aus Belarus sei daher fürs Erste nicht zu befürchten, so Muzyka. Allerdings erkennt er, was die Ukrainer offenbar fürchten: Belarussische Truppen könnten nadelstichähnlich kleinere Angriffe auf die Ukraine unternehmen und möglicherweise ein kleines Gebiet besetzen. Dies hätte zur Folge, dass die Ukraine Streitkräfte von anderen Kriegsschauplätzen abziehen müsste und geschwächt würde. „Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios ist gering“, schreibt der Analyst, „doch es kann nicht völlig ausgeschlossen werden.“

Unterdessen halten die Kampfhandlungen im russischen Gebiet Kursk an. Nach den Worten des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Sonntag machen die Ukrainer stetige Geländegewinne, am Samstag etwa einen bis drei Kilometer. Man habe die Kontrolle über zwei weitere Dörfer übernommen.

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Russland muss sich nach Meinung von Experten entscheiden, wo es Truppen abziehen will. Bislang, so schreibt die US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) bei „X“, widerstehe Putin dem operativen Druck, Truppen von der umkämpften und strategisch wichtigen Stadt Pokrowsk im Raum Donezk abzuziehen. Wahrscheinlicher sei es, dass die russische Militärführung Soldaten von weniger bedeutsamen Teilen der Front Richtung Kursk verlegt.

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Ukraine-Krieg: Analysten beobachten weniger russische Aktivität im Luftverkehr

Analysten des Thinktanks hätten zudem beobachtet, dass russische Flugzeuge auf Flugplätze verlegt wurden, die außerhalb der Reichweite westlicher Langstreckenwaffen liegen. Der gemeldete Rückgang der russischen Luftverkehrsaktivitäten im gesamten Gebiet stimme mit Berichten überein, wonach die russischen Streitkräfte Flugzeuge verlegt haben.

Nach Meinung der ISW-Experten muss die Ukraine nicht jedes russische Militärobjekt angreifen, das sich innerhalb der Reichweite westlicher Raketen befindet – auch mit einzelnen Angriffen entstehe ein erheblicher „operationaler Druck“ auf das russische Militär.

mit dpa